Als Mahnung zu einem entschiedeneren Handeln wollten die sichtlich betroffenen Würdenträger in der Wiener Hofburg die Nachricht vom Erstickungstod von 50 Flüchtlingen verstanden wissen. Die Toten waren 50 Kilometer südlich von Wien in einem Lkw entdeckt worden. Es müsse sich in der Flüchtlingspolitik etwas ändern, »wir können nicht für jedes Opfer eine Schweigeminute einlegen«, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei der Westbalkan-Konferenz in Wien.
Zumindest bei Bundeskanzlerin Angela Merkel stieß ihre Botschaft auf offene Ohren: Die Regierungschefin kündigte in Wien bis Jahresende die Einrichtung von Registrierungszentren in Griechenland und Italien, faire Aufnahmequoten sowie eine Überarbeitung der faktisch außer Kraft gesetzten Rücknahme-Abkommen von Dublin an. Die EU-Kommission könne dabei aber nur die Initiative übernehmen.
Doch genau an der geforderten gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik mangelt es bisher. Während Griechenland die Flüchtlingsmassen über die EU-Außen- und Schengengrenze in Richtung Mazedonien durchwinkt, hat Ungarn mit dem Bau eines Grenzzauns die Intensität des Flüchtlingsaufkommens erst recht verstärkt und den EU-Nachbarn Serbien brüskiert. Mittel- und osteuropäische EU-Mitglieder stellen sich bei der Forderung nach Aufnahmequoten taub. Andere wie Polen oder Slowakei machen aus ihrem Unwillen, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, gar keinerlei Geheimnis. Diejenigen Mitglieder, die bisher nicht betroffen seien, hätten an der Lösung der Krise nur wenig Interesse, erklärte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Deshalb scheint - im Gegensatz zu Euro- und Griechenland-Krise - offenbar selbst die Ansetzung eines Flüchtlingssondergipfels ein Problem zu sein. Bislang wiesen 18 EU-Mitglieder gemeinsam eine geringere Zahl von aufgenommenen Flüchtlingen als das kleine Österreich auf, sagte Kurz.
Eine »faire Verteilung« der Lasten und Flüchtlinge forderte sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier in Wien: Jene, die die Hauptlast tragen, würden damit nicht fertig, wenn sie damit alleine gelassen werden. Vor »Alleingängen« in der Flüchtlingspolitik warnte er mit Blick auf Ungarns ohne jegliche Abstimmung errichteten Grenzzaun. Dessen Ankündigung erst hatte für die drastische Intensivierung des Flüchtlingsmassen gesorgt.
Kurz sah hingegen vor allem Griechenland als erstes EU-Aufnahme-Land auf der Balkanroute in der Pflicht. »Durchwinken« der Flüchtlinge sei auch keine Lösung, schrieb der Minister Athen ins Stammbuch - und forderte verstärkte Grenzkontrollen und einen intensivierten Kampf gegen die Schlepper: »Es ist beschämend, dass aus einem EU-Land täglich Tausende Flüchtlinge in ein Nicht-EU-Land weiterströmen, ohne dass wir etwas tun.« Es könne nicht angehen, die Bewältigung des Flüchtlingsproblems Ländern wie Griechenland oder Italien alleine zu überlassen, meinte hingegen Merkel. Auch die Rückführung von Flüchtlingen nach Ungarn oder in die Transitstaaten und EU-Anrainer Mazedonien und Serbien mache »keinen Sinn«: »Das Dublin-Abkommen funktioniert nicht mehr.« Seite 4
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/982693.handeln-statt-schweigeminuten.html