nd-aktuell.de / 12.10.2006 / Sport
»Es wurde geduldet und gebilligt, was da bei dem Spiel passierte«
Berliner Fußballverband verhandelt beispielslose antisemitische Pöbeleien gegen TuS Makkabi
Michael Müller
Die Verhandlung der 1. Kammer des Sportgerichts des Berliner Fußballverbandes endete in der Nacht zum Mittwoch gegen 23 Uhr nach mehr als vierstündiger Dauer ohne Urteilsspruch. Doch sie endete nicht ohne Ergebnis. »Ich halte die Aussagen der Spieler und Offiziellen von TuS Makkabi für zutreffend und glaubwürdig«, räumte Berlins Fußballverbandschef Bernd Schultz nämlich gegenüber ND unmittelbar nach der Zeugenbefragung ein. Das Urteil ist für Freitag angekündigt.
Auschwitz-Sprechchöre
Was Schultz für glaubwürdig und zutreffend hält, sind die Aussagen der Fußballer des jüdischen Makkabi-Vereins, bei einem Berliner Kreisligaspiel gegen die VSG Altglienicke am 26. September von dortigen Zuschauern beispielsweise mit Sprechchören folgenden Inhalts belegt worden zu sein: »Synagogen müssen brennen!«, »Führer, Führer, Führer!«, »Auschwitz ist wieder da!«, »Juden, Juden, Juden!«, »Wir bauen euch eine U-Bahn nach Auschwitz!«, »Hier regiert nicht der DFB, hier regiert die NPD!«.
Was der Berliner Fußballchef damit indirekt für unglaubwürdig und unzutreffend hält, sind die Aussagen des Schiedsrichters und der Offiziellen des Altglienicker Klubs. Nämlich von all dem »nichts mitbekommen« zu haben (Schiedsrichter Klaus Brüning) oder sich »an nichts erinnern« zu können (Kerstin Forchert, Trainerin der VSG Altglienicke).
Bei der Verhandlung in der Nacht zum Mittwoch standen sich die Sichtweisen beider Seiten unverrückbar gegenüber. So beharrte der Referee auf seiner schriftlichen Erklärung: »Da ich nichts gehört habe, konnte ich nicht eingreifen.« Selbst wenn das so zuträfe, bleibt indes die Frage, warum er drei Makkabi-Spieler des Feldes verwies (»wegen Meckerns«), ohne sich in irgendeiner Weise um die Gründe ihrer Interventionen, nämlich Protest gegen das Gegröle am Spielfeldrand, zu scheren. Zudem liegt ND der handschriftliche Spielbericht eines der beiden Linienrichter vor: »Ich wies den Schiedsrichter auf dieses Verhalten mehrmals hin: vor, im und nach dem Spiel.«
Fragwürdig erscheint auch das Verhalten des gastgebenden Altglienicker Vereins. So gaben seine Vertreter zwar nunmehr zu Protokoll, inzwischen fünf Leuten aus dem betreffenden Zuschauerkreis Platzverbot erteilt zu haben. Allerdings nicht definitiv wegen antisemitischer Äußerungen, sondern wegen der Randale nach dem Spiel, wozu dann auch die Polizei gerufen worden war.
Ein offenes Bekenntnis, Bedauern oder gar Selbstkritik, dem Hausrecht nicht Genüge getan oder der Veranstalterhaftung nicht entsprochen zu haben - Fehlanzeige. Stattdessen war jüngst aus dem Webforum des Vereins u. a. ein Eintrag entfernt worden, in dem es hieß: »Wir bedauern, dass es in unserem Verein zu solchen mehr als beleidigenden Ausrufen kam ... Wir wollen spielen, fair und sauber ... Dazu brauchen wir solche Zuschauer nicht und werden Vorfälle wie diese nicht dulden ...«
Tuvia Schlesinger, Vorsitzender von TuS Makkabi, sah sich nach der Verhandlung in seinem Eindruck bestätigt, dass es bei den skandalösen Vorfällen »anwesende Personen gab, die nichts hören und nichts sehen wollten. Es wurde geduldet und gebilligt, was da bei dem Spiel passierte«. Erst nachdem die Makkabi-Spieler in der 78. Minute unter Protest das Spielfeld verlassen hatten, »wurden einige aufmerksam und versuchten, etwas zu reparieren«.
Falsche Toleranz zugelegt
Nun läuft der Sportgerichtsprozess in Berlin. Den Abstand von zwei, drei Wochen zum Ereignis hält Verbandsgeschäftsführer Dirk Brennecke für normal. Und das ist er auch, wenn man die Reaktionsfähigkeit und -willigkeit des Verbandes in diesem Fall mit sonstigen Routineangelegenheiten vergleicht, die vorm Sportgericht landen. Doch Routine dürfte gegenüber Rassismus ein schlechter Leitfaden sein. So hat sich der Berliner Verband beispielsweise politisch erst bewegt, nachdem TuS Makkabi ultimativ eine »öffentlich verbreitete Erklärung« forderte. Die kam dann endlich am 2. Oktober, also immerhin fast eine Woche nach dem Skandalspiel.
Verbandschef Schultz stellt nun für Berlins Fußball ein antirassistisches Drei-Punkte-Aktionsprogramm in Aussicht. Das, was TuS Makkabi passiert sei, passe leider genau in eine schlimme Tendenz im Fußballgeschehen hier zu Lande, resümiert er: »Wir haben uns eine falsche Toleranz zugelegt, über vieles hinwegzusehen. Doch das, was dort passierte, hat mich tief betroffen gemacht.«
Auf die ND-Frage, ob er TuS Makkabi für die Zivilcourage eigentlich dankbar sei, zögerte er etwas. Dankbar wäre nicht so der richtige Ausdruck, meint Schultz. Womit er wohl Recht hat. Denn auch Makkabi will nicht etwa Dank und Anerkennung. »Wir wollen nur überall in Berlin friedlich Fußball spielen können«, wünscht sich Mittelfeldregisseur Verner Liebermann, der in der Verhandlungsnacht 24 Jahre alt wurde.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/98489.es-wurde-geduldet-und-gebilligt-was-da-bei-dem-spiel-passierte.html