nd-aktuell.de / 14.10.2006 / Kultur
Wie die Kirche im Dorf bleibt
Viele mittelalterliche Kirchen in Sachsen-Anhalt sind von Verfall gezeichnet. Architekturstudenten aus ganz Deutschland suchen nach unkonventionellen Lösungen, um die alten Gotteshäuser zu retten.
Stefan Tesch, Köthen
Allgemeine Aufregung in Thurau bei Köthen. Zur besten Mittagszeit rollt eine Autokarawane in das anhaltische Dorf. Die Wagen haben Nummernschilder aus ganz Deutschland. Vor der großen Backsteinkirche stoppen sie - und heraus klettert ein Pulk junger Leute. Es sind gut doppelt so viele, wie der 78-Seelen-Ort überhaupt Einwohner zählt. Sofort zieht es auch viele Thurauer zum imposanten Gotteshaus, dessen schlank aufragender Westturm als »wichtigste Landmarke im Köthener Umland« gilt, wie Pfarrer Dietrich Lauter den Gästen erzählt.
»Es tut sich offenbar etwas mit unserer Kirche«, zeigt sich Gertrud Sopart hoch erfreut. Sie gehört zum Förderkreis Thurauer Kirche, der sich nicht damit abfinden will, dass der markante neogotische Bau irgendwann zusammenfällt. »Schon über 20 Jahre finden hier keine Feiern mehr statt!«, pflichten ihr Edith und Josef Gossler bei. Sie heirateten hier vor 49 Jahren, auch ihre beiden Kinder wurden hier getauft. Und selbst wenn im Dachstuhl der Schwamm stecke und die Fassade einer Grundsanierung bedürfe, sei doch die Bausubstanz noch okay, so die erregten Einwohner.
Kernland des Protestantismus
Das finden offenbar auch die jungen Leute. Sie entpuppen sich als Bauingenieurs- und Architekturstudenten von zahlreichen deutschen Hochschulen. Schon klicken Fotoapparate, holen manche einen Block heraus und beginnen, erste vage Ideen zu skizzieren. Andere fachsimpeln über Baustil und Zustand der Kirche. Erste Stichworte machen die Runde: Pilgerherberge. Projektstätte für Jugend- oder Musikgruppen, Konzerthalle ...
Doch was hat sie überhaupt hierher gelockt? Luise Schier vom Landesdenkmalamt in Halle weiß es: »Die Leipziger Messeakademie.« Das sei ein bundesweit einzigartiger studentischer Entwurfswettbewerb, der alle zwei Jahre im Vorfeld der Europäischen Messe für Restaurierung, Denkmalpflege und Stadterneuerung »denkmal« in Leipzig stattfinde, ergänzt Ina Malgut. Die junge Bauingenieurin vom Förderverein für Handwerk und Denkmalpflege in Schloss Trebsen bei Leipzig betreut diese Akademie fachlich. Diesmal geht es um »Historische Kirchen - modern genutzt«. Hierzu wurden den Studenten elf bewahrenswerte Gotteshäuser in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vorgestellt. »Sie sollen sich kreative Gedanken machen, wie sich leer stehende und oft stark reparaturbedürftige Gotteshäuser durch behutsame bauliche Eingriffe so rekonstruieren lassen, dass eine neue Nutzung möglich wird«, erzählt Ins Malgut.
Dass sich dabei gut die Hälfte der präsentierten Patienten in Sachsen-Anhalt befindet, erklärt der Magdeburger Kirchenoberbaurat Michael Sußmann mit der herausragenden Rolle der Region in der Vergangenheit: »Nirgendwo in Deutschland findet sich eine so große Anzahl mittelalterlicher Kirchen wie im Kernland des Protestantismus.« Doch jedes zehnte der knapp 2400 Gotteshäuser in seinem Land laboriere heute halt an einem kritischen Bauzustand.
So standen weitere evangelische Sakralbauten auf dem Exkursionsprogramm der angehenden Ingenieure. Einen Höhepunkt bildete die imposante Stadtkirche St. Nikolai zu Zerbst, oder das, was von ihr den letzten Weltkrieg überlebte. Direkt im Stadtzentrum gelegen, ist das dachlose Kirchenschiff der einst größten mitteldeutschen Hallenkirche nur noch eine Ruine. Lediglich eine 28 Meter hohe Aussichtsplattform war 2001 zwischen den zwei notgesicherten Glockengeschossen eingeweiht worden.
Ginge es nach dem Willen von Landeskirche, Denkmalschutz sowie den Mitgliedern eines engagierten Fördervereins, soll das Schiff zumindest wieder ein Dach bekommen, unter dem dann ein multifunktionaler Begegnungsraum entstehen könne. Hier ließen sich auch die Reste der künstlerisch wertvollen Ausstattung integrieren, etwa Wandmalereien und Epitaphe, erfahren die Studenten. Und auch äußere Gestalt und einstige Kubatur sollten wieder erstehen.
Emsig am Notieren und Fotografieren waren auch Judith Dräsecke und Dirk Borchering von der FH Wismar. Welcher der vier an diesem Tag erlebten Kirchen sie nun ihre Kreativität widmen wollten? Sie wirkten noch unentschlossen. »Vermutlich nehmen aber Judith Bernburg und ich Zerbst, da behalten wir beides im Blick«, meint schließlich Dirk.
Auch unter den Studenten der Hochschule Bremen, die gleich als halbe Hundertschaft in einem gecharterten Bus nach Leipzig gekommen waren, fand der gewaltige Zerbster Torso viel Sympathie. »Weil er eben Raum für große Entwürfe bietet«, schwärmten zwei Mädchen aus dem sechsten Semester. Professor Dr. Hans-Joachim Manske, einer der drei Hochschullehrer, die sie begleiten, versichert dazu: »Wir lassen den Studenten das letzte Wort bei der Auswahl der Objekte, machen keine Vorgaben.«
Mut zum Querdenken soll belohnt werden
Nicht erwünscht seien jedoch Luftschlösser, betont Ina Malgut. Sie warnte die Studiosi vor allzu schrägen Ideen. Denn die besondere Herausforderung des Wettbewerbs bestehe darin, »Neues so in Beziehung zum Historischen zu setzen, dass man dem Alten nicht die Würde nimmt, das Neue sich aber dennoch selbstbewusst daneben präsentieren kann«. Das erfordere vor allem Kreativität, ganz gleich »ob im supermodernen oder im klassischen Gewand«. Bestandteil der eingereichten Entwürfe müssten zudem Kosten- und Rentabilitätsberechnungen sein.
Ein außergewöhnliches Gotteshaus erwartete die Gäste auch in Kleinwülknitz bei Köthen. »Ein einzigartiges architektonisches Kleinod«, schwärmte etwa Professor Manske. Hier lasse sich klassizistische Architektur »fast wie im Lehrbuch studieren«. Doch auch diese Kirche macht einen jammervollen Eindruck. Sie dient heute vor allem als Baulager.
Die zuständige Kirchenbauamtsleiterin Konstanze Förster-Wetzel aus Dessau sieht drum im Engagement der Studenten einen »hoffnungsvollen Strohhalm«. Sie erwartet von ihnen »frische und unverbaute Ideen«, wie sie etablierte Architekten sich oft nicht mehr auszusprechen trauten. Vielleicht könne man hier eine Stätte für Sammler von baukunst- und bauhandwerklichen Gegenständen und Materialien schaffen, die dann ihre Schätze in einem zeit- und architekturhistorischen Kontext präsentieren, sinnieren zwei Mädchen. Möglich seien auch musische, bildkünstlerische oder kulinarische Events, überlegen andere Studiosi. Nur der Denkmalschutz dürfe darunter nicht leiden, betont die Kirchenbauexpertin.
Überrascht von den Angeboten und den »Objekten, die allesamt ihren eigenen Reiz haben«, zeigte sich auch Diplomingenieur Mark Escherich vom Lehrstuhl Bauaufnahme und Baudenkmalpflege der Bauhaus-Universität in Weimar. Seine Hochschule nahm erstmals an der Messeakademie teil, nun immerhin gleich mit 21 Studenten. »Aber sicher nicht das letzte Mal. Eigentlich müsste hier schon das erste Semester mitmischen«, fand Escherich.
Ob denn die Entwürfe auch je eine Chance haben, umgesetzt zu werden? Ina Malgut, die nunmehr um die 70 Arbeiten erwartet, zeigte sich zuversichtlich. »Sicher selten 1 zu 1, aber zumindest als originelle Ideengeber machen sich die Studenten schon verdient - eben weil sie sich auch noch trauen, quer zu denken«, erzählt sie. Ein typisches Beispiel wären das neue Besucherzentrum und ein zusätzliches Ausstellungsgebäude an Martin Luthers Geburtshaus in Eisleben, die gerade entstehen. Ende August war Richtfest, im März 2007 wird es eröffnet. Auch hier gaben Studenten wichtige Impulse. Der Bauherr - die Stiftung Luther-Gedenk-stätten - übernahm den Entwurf in wesentlichen Elementen und machte ihn zum Teil einer beschränkten Ausschreibung.
Die gewagte Modernität inmitten des archaischen Kontextes zog sich damit durch bis zum Schluss »und sie führte dazu, dass die Pläne zunächst bei den Behörden ein halbes Jahr auf Eis lagen«, erinnert sich Matthias Ehrhardt, Architekt bei der Luther-Stiftung. Denn die Verantwortlichen der Stadt hatte die Angst umgetrieben, die Weltkulturerbestätte könne an zu viel gestalterischer Unkonventionalität Schaden nehmen. Dennoch habe man am Ende die »Ungezwungenheit und den Mut zum ungewöhnlichen Umgang mit der historischen Materie« ein ganzes Stück weit erhalten können, freut sich Ehrhardt.
Über die eingereichten Kirchenentwürfe berät nunmehr im Herbst eine renommierte Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Gerd Weiß, Landeskonservator in Hessen und Vorsitzender der Vereinigung der deutschen Landesdenkmalpfleger. Einen ganzen Tag wollen sich die Experten hierfür auf Schloss Trebsen Zeit nehmen. Dabei gehe es neben Originalität und technischer wie wirtschaftlicher Machbarkeit der Arbeiten auch darum, wie die Denkmalschutzvorgaben beachtet worden seien, so Ina Malgut.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/98599.wie-die-kirche-im-dorf-bleibt.html