nd-aktuell.de / 05.10.2015 / Politik

Merkel gegen CDU und CSU

Innenminister bezweifelt Prognose von 1,5 Millionen Flüchtlingen / Kanzlerin will Asylrecht und Flüchtlingsschutz nicht antasten / Neue Rufe aus der Union nach «Aufnahmestopp» / CDU-Generalsekretär rät SPD zum Kurshalten

Update 15.40 Uhr: Grüne warnen vor Überbietungs-Wettbewerb bei Flüchtlingszahlen
Grünen-Chef Cem Özdemir hat vor Spekulationen mit immer höheren Flüchtlingszahlen in Deutschland gewarnt. Ein Überbietungs-Wettbewerb nütze niemandem, sagte Özdemir am Montag in Berlin zu bisher unbestätigten Berichten, wonach in diesem Jahr inzwischen bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge erwartet würden. Das wäre fast doppelt so hoch wie die bisher offiziell veranschlagten Zahlen. Eine Quelle für die in Medien genannte Zahl gibt es bisher nicht.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) scheine überfordert zu sein: «Was wir jetzt brauchen, ist Ordnung und Struktur.» Es müsse zunächst ermittelt werden, wie viele Flüchtlinge überhaupt in Deutschland seien und wo diese sich aufhielten.

Aus Sicht Özdemirs fällt inzwischen auch die SPD als ordnende Kraft in der großen Koalition aus. Dies mache es für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schwieriger, einen klaren Kurs zu halten. Die Grünen teilten die Position Merkels, wonach das Grundrecht auf Asyl nicht zur Disposition stehe. Eine Abschaffung wäre reine Symbolpolitik.

Mit Blick auf die Gespräche der EU mit der Türkei warnte Özdemir vor Abmachungen zu Lasten von Menschenrechten. Hilfe für die Türkei bei der Bewältigung der steigenden Flüchtlingszahlen sei richtig. Ein Deal mit Ankara müsse aber transparent sein. «Was nicht geht, ist ein schmutziges Geschäft.» Die Aufnahme von Flüchtlingen könne nicht verrechnet werden mit der Forderung nach Menschenrechten.

Update 14.35 Uhr: Dreyer fordert von Merkel die Aufnahme von weniger Flüchtlingen
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist gegen eine Obergrenze für Flüchtlinge, fordert aber einen gebremsten Zuzug nach Deutschland. «Es ist vollkommen klar: »Der Zustrom kann so nicht bleiben«, sagte Dreyer am Montag in Mainz. »Es heißt immer, die Kanzlerin ist die mächtigste Frau der Welt, und deshalb habe ich auch die Erwartung, dass die Kanzlerin europäisch und international klärt, wie das weitergeht mit dem Zustrom.« Dreyer dringt auf eine faire Aufteilung in der EU und auf bessere Lebensumstände in Syrien.

Update 14.25 Uhr: Asyl-Bundesamt eröffnet drei neue Entscheidungszentren
Um Asylverfahren zu beschleunigen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Montag drei neue sogenannte Entscheidungszentren eröffnet. In den Einrichtungen in Berlin, Bonn und Mannheim sollen vor allem entscheidungsreife Verfahren von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Eritrea konzentriert werden, wie das Bundesamt am Montag mitteilte. Menschen aus diesen drei Ländern werden in der Regel als Flüchtlinge anerkannt. Insgesamt verfügt die Bundesbehörde dann über vier Entscheidungszentren. Anfang Juli nahm bereits ein Zentrum am Hauptsitz des Amts in Nürnberg den Betrieb auf.

Nach Angaben der Behörde sollen in den Zentren jeweils 50 Entscheider arbeiten. Bei entscheidungsreifen Fällen sind demnach keine persönlichen Anhörungen nötig. Ziel ist es, Zehntausende anhängige Verfahren abzuschließen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge steht wegen der anhaltend hohen Zahl neu ankommender Asylsuchender besonders unter Druck. Mehr als 250.000 Asylverfahren sind derzeit unbearbeitet, weil das Aufkommen zu groß ist. Zudem ist die Behörde bemüht, Asylverfahren schneller abzuschließen als bisher, um schneller Klarheit über die Bleibeperspektive einzelner Asylantragsteller zu bekommen.

Update 13.35 Uhr: Rote Kreuz warnt vor Überlastung Ehrenamtlicher
In der Flüchtlingskrise hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) vor einer Überstrapazierung ehrenamtlicher Helfer gewarnt. »Die Grenze der Belastbarkeit unserer Frauen und Männer ist erreicht«, sagte der baden-württembergische DRK-Präsident, Lorenz Menz, am Montag in Stuttgart. Noch mehr Ehrenamtliche seien im Land nicht mehr zu aktivieren. »Jeder, der sich ehrenamtlich engagiert, tut das auch«, sagte Menz. »Ein Dauerbetrieb von Flüchtlingseinrichtungen geht nur mit hauptamtlichem Personal«, sagte er an die Adresse der grün-roten Landesregierung.

Angesichts wachsender Spannungen in Flüchtlingsunterkünften forderte das DRK deutliche Verbesserungen bei der Unterbringung. »Wir brauchen mehr und größere Erstaufnahmeeinrichtungen, die auch Räume für Freizeitangebote bieten«, sagte der schleswig-holsteinische DRK-Landesvorstand Torsten Geerdts der Deutschen Presse-Agentur. Dies sei wegen des nahenden Winters besonders dringlich, weil die Flüchtlinge dann fast nur noch in ihren Wohncontainern säßen. »Da können Probleme wachsen«, warnte er.

Update 12.50 Uhr: Innenminister bezweifelt Prognose von 1,5 Millionen Flüchtlingen
Das Bundesinnenministerium hält die Schätzung von 1,5 Millionen Flüchtlingen in diesem Jahr für zweifelhaft. Man könne auf Basis der großen Zahl von Neuankömmlingen im September keine Hochrechnungen anstellen, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Montag in Berlin. »Wir gehen noch davon aus, dass die Wintermonate dazu führen werden, dass sich der Migrationsdruck verringern wird«, fügte er hinzu. Mit Blick auf die aktuellen Gespräche zwischen der EU und der türkischen Regierung über eine Begrenzung des Andrangs, sagte er, es sei auch möglich, dass die Ergebnisse konkrete Auswirkungen auf die Zahl der Asylbewerber haben würden.

Die »Bild«-Zeitung berichtete am Montag, in einer internen Prognose einer nicht näher benannten Behörde sei von bis zu 1,5 Millionen Asylbewerbern im laufenden Jahr die Rede. Die offizielle Prognose ging zuletzt von 800 000 aus.

Im September waren in Deutschland mehr als 160 000 Flüchtlinge offiziell registriert worden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ging vergangene Woche davon aus, dass im September insgesamt aber mehr als 270 000 Menschen in Deutschland angekommen sind.

Merkel gegen CDU und CSU

Berlin. Während aus den Unionsparteien immer neue Forderungen nach Einschränkung des Asylrechts sowie einer Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen kommen und selbst in der SPD über angebliche »Grenzen der Belastbarkeit« geredet wird, will die Kanzlerin beim Asylrecht keine weiteren Einschränkungen zulassen, was ein klares Signal in die Union hinein ist. Und ihr CDU-Generalsekretär Peter Tauber ermahnt auch die SPD zum Kurshalten.

Das Grundrecht auf Asyl und den gesetzlichen Flüchtlingsschutz will die Kanzlerin aber weiter nicht antasten, wie sie dem Deutschlandfunk am Sonntag sagte. Merkel sagte, an der Gesetzgebung zu Asyl und dem Schutzstatus für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention »werden wir nichts ändern«. Merkel räumte zwar ein, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen Schwierigkeiten mit sich bringe.»Aber mich jetzt wegzuducken und damit zu hadern, das ist nicht mein Angang«, sagte sie.

Auch der CDU-Generalsekretär Peter Tauber lehnte einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik ab. Der »Saarbrücker Zeitung« sagte er mit Blick auf immer neue Anti-Asyl-Äußerungen aus Bayern, »der Kurs lautet: Fluchtursachen beseitigen, EU-Außengrenzen sichern, Hilfe nur für die, die wirklich verfolgt sind«. Er glaube nicht, »dass die CSU diesen Kurs ändern will, und die SPD ist klug beraten, auf dieser Linie zu bleiben«. Schaue man auf die Taten der Regierung und lasse die »markigen Sprüche« der CSU außer Acht, so stelle man fest, so Tauber: »Wir haben die größten Verschärfungen im Asylrecht seit 20 Jahren auf den Weg gebracht. Darauf sind wir als CDU stolz, und das sollte die CSU auch sein.«

Aus der Union waren am Wochenende weiter Forderungen nach einem kompletten Aufnahmestopp, der Schließung der Grenze zu Österreich und gegen das Asyl-Grundrecht gekommen. Bayerns Finanzminister Markus Söder sagte der »Passauer Neuen Presse« vom Samstag, sein Bundesland fordere eine »massive Begrenzung« der Zuwanderung. Er fügte hinzu: »Ebenso werden wir über das Grundrecht auf Asyl reden.«

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verlangte in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« eine »Kursänderung«, einen »Aufnahmestopp« und die Diskussion einer »Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern«. Sonst gerate die Lage außer Kontrolle.

Auch der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer hält eine zeitweilige Schließung der Grenzen für notwendig. »Wenn weiter so viele Asylbewerber nach Deutschland kommen wie in den letzten Wochen, dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als einen zeitweiligen Aufnahmestopp zu verhängen und die Grenzen für sie zu schließen«, sagte Mayer der »FAS«.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wies die Aussagen von Söder umgehend zurück. »Die Grundrechte haben sich auch in den vergangenen 25 Jahren bewährt. Niemand sollte sie am Tag der deutschen Einheit in Frage stellen«, erklärte Maas in Berlin.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow lehnte die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl im Grundgesetz ebenso kategorisch ab. »Das Grundrecht auf Asyl ist ein zentrales Menschenrecht und schlicht nicht verhandelbar«, sagte er der in Halle erscheinenden »Mitteldeutschen Zeitung«. »Eine zahlenmäßige Obergrenze von Grundrechten gibt es nicht und einen Grundrechtskatalog nach Kassenlage auch nicht. Ansonsten wäre der erste Satz unserer Verfassung hinfällig.« Der Linkenpolitiker fügte hinzu: »Die Unantastbarkeit der Menschenwürde gilt nicht nur für einige, sondern für alle. Darin hat die Kanzlerin meine volle Unterstützung. Ich wünsche mir, dass sich aus allen demokratischen Parteien Menschen finden, die sich in dieser Frage vor unsere Verfassung stellen.« Agenturen/nd