Ein Bürgerentscheid zur »Privatisierungsbremse« für Leipzig kann wohl auch vor Gericht zunächst nicht erzwungen werden. In einer Verhandlung am Verwaltungsgericht äußerte sich der Vorsitzende am Dienstag skeptisch zu den Aussichten einer Klage, mit der eine Entscheidung des Stadtrats von Januar 2014 korrigiert werden sollte. Er hielt den Antrag für einen Bürgerentscheid, den 21 819 Leipziger unterstützt hatten, für unzulässig. Widersprüche lehnte die Landesdirektion Sachsen ab. Drei Initiatoren hatten dagegen geklagt. Das Gericht will sein Urteil am heutigen Mittwoch bekannt geben.
Mit dem Bürgerentscheid sollte durchgesetzt werden, dass Leipzig kein städtisches Eigentum verkaufen darf. Genannt wurden Immobilien, Eigenbetriebe, öffentliche Einrichtungen und Kulturgüter. Allerdings sollte quasi eine »Hintertür« geöffnet bleiben: Der Stadtrat hätte das Verkaufsverbot in Ausnahmefällen mit Zweidrittelmehrheit umgehen können.
Der Streit um den Verkauf von »Tafelsilber« wird in Leipzig schon geraume Zeit ausgefochten. 2008 hatte es bereits einen Bürgerentscheid gegeben, bei dem sich die Bürger zu 90 Prozent gegen einen damals geplanten Teilverkauf der Stadtwerke ausgesprochen hatten. Das Votum war drei Jahre bindend. Danach kam es indes erneut zu Verkäufen von kommunalem Eigentum. So beschloss der Stadtrat mit knapper Mehrheit die Veräußerung zweier Stadtwerke-Töchter, HL Komm und Perdata. Zudem habe die städtische Wohnungsgesellschaft LWB rund 6000 Wohnungen verkauft, heißt es bei der Anti-Privatisierungsinitiative »APRIL-Netzwerk«. Daher wurde ein neuer Anlauf für ein Verkaufsverbot gestartet - der dann vorerst im Stadtrat versandete.
In der Verhandlung bei Gericht zeichnete sich ab, dass sich daran vorerst nichts ändern dürfte - und dass den Gegnern der Privatisierungen ausgerechnet ihre »Hintertür« zum Verhängnis werden könnte, also das Zugeständnis an den Stadtrat, das grundsätzliche Votum der Bürger mit Zweidrittelmehrheit aushebeln zu können. Eine solche »qualifizierte Mehrheit« sieht die sächsische Gemeindeordnung aber nur für wenige, klar benannte Fälle vor; der Regelfall ist, dass Entscheidungen mit einer einfachen Mehrheit getroffen werden. Auf den Einwand von Klägeranwalt Thomas Walther, es handle sich um eine »Öffnungsklausel«, erwiderte Richter Albert Bell: »Vielleicht gibt es hier gar nichts zu öffnen«. Er halte die Regelung der Gemeindeordnung für »abschließend«. Bell wies auch auf einen Gesetzentwurf der LINKEN im Landtag hin, in dem es um eine Privatisierungsbremse für die Kommunen geht. Dieser lässt die gleiche »Hintertür« offen wie der Leipziger Bürgerentscheid - erachtet es aber für notwendig, dafür einen eigenen Passus in die Gemeindeordnung einzufügen. Bisher gibt es diesen nicht - was die Erfolgsaussichten der Klage in Leipzig zu mindern scheint.
Die Stadt hält die Abstimmung über ein generelles Verkaufsverbot auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für möglich. Es handle sich um einen unzulässigen »Vorratsbeschluss«, sagte Rathaus-Justiziar Thomas Kube. Bei Einstellung aller Verkäufe wäre die Stadt »handlungsunfähig«. Die Gegner fortgesetzter Verkäufe von Tafelsilber hoffen derweil weiter, eine Privatisierungsbremse durchsetzen zu können - notfalls in einem Berufungsprozess, wie ihr Anwalt klarmachte. Allerdings kostet bereits der jetzige Prozess viel Geld: Nachdem die Kläger zuvor von 5000 Euro Streitwert ausgegangen waren, nannte der Richter eine Summe von 30 000 Euro.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/990755.skepsis-beim-verkaufsverbot-mit-hintertuer.html