nd-aktuell.de / 28.01.2016 / Politik / Seite 2

Eichmanns banaler Bettelbrief

Wie erbärmlich. Was für ein Wurm war dieser Eichmann. »Den Richtern ist in der Beurteilung meiner Person ein entscheidender Irrtum unterlaufen«, heißt es im zweiten Satz seines Gnadengesuchs an den damaligen israelischen Staatspräsidenten Izchak Ben Zvi. »Es ist nicht richtig, dass ich so eine hochgestellte Persönlichkeit gewesen wäre, dass ich die Verfolgung der Juden selbstständig hätte betreiben können, und betrieben hätte«, schrieb er 48 Stunden vor seiner Exekution. Er habe »keine einzige Anordnung im eigenen Namen gegeben, sondern stets nur im Auftrag gehandelt«, behauptet dreist der Leiter des für die Organisation des Völkermords an den Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes. Und: »Es ist auch nicht richtig, dass ich mich niemals von menschlichen Gefühlen hätte beeinflussen lassen.« Er habe um Versetzung gebeten, gibt er vor. Falsch wie scheinheilig die Beteuerung: »Ich verabscheue die an den Juden begangenen Greuel als größtes Verbrechen und halte es für gerecht, dass die Urheber solcher Greuel jetzt und in Zukunft zur Verantwortung gezogen werden.«

Man möchte in diesem Wisch nicht mehr weiterlesen. Israels heutiges Staatsoberhaupt, Reuven Rivlin, hat zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz Eichmanns Gnadengesuch veröffentlichen lassen.

Was für ein bösartiger Lügner, dieser Eichmann, der mit einem Federstrich Tausende Menschenleben auslöschte. Hat er gehört, wie seine seine Opfer weinten, schrien, nach Luft röchelten? Hat er nur einen Gedanken an die Todesahnungen, Todesqualen der von ihm ins Gas geschickten Frauen, Kinder, Männer, Greise verschwendet? Würdevoll und stolz sind viele seiner Opfer in den Tod gegangen. Gelehrte, Künstler, Arbeiterinnen - Menschen, die etwas geschaffen haben und noch so viel hätten schaffen können. Für die Menschen, für die Menschheit. Was hatte der Schulabbrecher aus Solingen, SS-Obersturmbannführer Eichmann, vorzuweisen? Er konnte nur töten, töten lassen. Das am 15. Dezember 1961 in Jerusalem verhängte Urteil war mehr als gerecht. Eichmann hätte sechs Millionen Mal zum Tod durch den Strang verurteilt werden müssen. Er war kein »Hanswurst«, wie Hannah Arendt in ihren Prozessberichten schrieb; die Philosophin bereute später selbst ihr Wort von der »Banalität des Bösen«. Das Böse ist nie banal. Banal ist der Bettelbrief des Massenmörders. ves Foto: dpa/Jim Hollander