Zeit für einen Systemwechsel

Welthungerhilfe: Drei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten

Der UN-Generalsekretär António Guterres hat bereits 2019 und damit vor der Corona-Pandemie Alarm geschlagen: Der Hunger in der Welt nimmt wieder zu und ein Gegensteuern ist dringend notwendig. Die Möglichkeit dazu besteht beim für den Herbst von der Uno geplanten »World Food Systems Summit«, der dem Thema Hungerbekämpfung und Nachhaltigkeit öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen.

An der Dringlichkeit kann kein Zweifel bestehen: »Im letzten Jahr ist die Zahl der Menschen, die unter akutem Hunger leiden, auf 155 Millionen Menschen in 55 Ländern gestiegen. In Krisengebieten wie Syrien und dem Südsudan hungert mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Der Süden von Madagaskar erlebt in Folge des Klimawandels die schlimmste Dürre seit 40 Jahren und in einigen Gebieten herrscht bereits eine lebensbedrohliche Hungersnot«, so Mathias Mogge bei der Vorstellung des »Kompass 2021« am Mittwoch in Berlin. Laut dem Bericht können sich drei Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. Der »Kompass 2021« ist die Weiterentwicklung des jährlichen Berichts zur »Wirklichkeit der Entwicklungspolitik«, den die Nichtregierungsorganisationen terre des hommes und Welthungerhilfe seit 1993 herausgeben. Das Hauptaugenmerk ist eine kritischen Bestandsaufnahme der deutschen Entwicklungspolitik.

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In der deutschen Entwicklungspolitik hat sich manches zum Besseren gewendet in den vergangenen Jahren. Positiv erwähnte Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, dass das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) im Mai 2020 das Corona-Sofortprogramm im Umfang von drei Milliarden Euro aufgelegt hat. Die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) von Deutschland erreichte somit 2020 ein Rekordhoch von 24,9 Milliarden Euro und zum ersten Mal seit 2016 wurde die Zielmarke von 0,7 Prozent wieder übersprungen - zum zweiten Mal überhaupt erst, obwohl dieses Ziel 1970 im Rahmen der Uno unverbindlich ausgegeben wurde. Und dieses Mal, so Mogge, waren es nicht die Ausgaben für Geflüchtete in Deutschland wie 2016, die zum Überspringen der Schwelle halfen, sondern die Corona-Hilfen für Länder des Globalen Südens.
Positiv in diesem Zusammenhang sei zudem die finanzielle Unterstützung von Deutschland zum »Ac- cess to Covid-19 Tools Accelerator« (ACT-A). Diese globale Initiative wurde mit dem Ziel gegründet, die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19 zu beschleunigen sowie einen gerechten Zugang dazu weltweit sicherzustellen. Eine der vier Säulen ist Covax, die Einkaufsgemeinschaft für Impfstoffe, mit der vor allem ärmere Länder mit Impfstoffen versorgt werden sollen, was bisher nur schleppend funktioniert.

Mit Sorge schaut Mogge auf die mittelfristige Etatplanung für das BMZ: Demnach soll es von 12,43 Milliarden Euro 2021 bereits 2022 auf 9,32 Milliarden Euro abwärtsgehen und 2025 sind nur noch 9,25 Milliarden Euro vorgesehen - gut drei Milliarden Euro weniger. Mogge findet das falsch, auch weil die Bevölkerung laut Umfragen Entwicklungspolitik mehrheitlich positiv sehe und keine Kürzungen wünsche.

»Klimawandel, Kriege und Corona kosten täglich Menschenleben und daher brauchen wir langfristig mehr Gelder, politische Lösungen in den Konfliktregionen und den Fokus auf die ärmsten Länder in der Entwicklungszusammenarbeit. Es ist ein Skandal, dass in einigen Regionen der Welt wieder Menschen zu verhungern drohen«, betonte Mathias Mogge.

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Bei der Unterstützung der ärmsten Länder, den sogenannten LDCs, hinkt Deutschland weit zurück. Statt 0,2 Prozent der ODA fließen nur 0,11 Prozent in die Länder, die am wenigsten inländische Reserven haben, um auch in der Corona-Pandemie gegenzusteuern. »Wünschenswert wäre, dass eine neu gewählte Bundesregierung hier wieder gegensteuert«, heißt es im »Kompass 21«.

Zu kurz kommen nicht nur die LDCs, sondern auch die Kinder, erklärte Birte Kötter, Vorstandssprecherin von terre des hommes. »Im Moment erleben wir als Folge der Corona-Pandemie einen dramatischen Rückfall der Errungenschaften der Kinderrechte um Jahrzehnte. Millionen Kinder leiden an Hunger, landen auf der Straße oder müssen zum Überleben ihrer Familien arbeiten oder betteln. Jugendliche aus unseren Projekten erzählen uns, dass sie seit über einem Jahr nicht mehr zur Schule gehen und für sich keine Zukunft sehen.«

Die Zahl der Kinder, die in extremer Armut leben, ist laut Bericht infolge der Pandemie um etwa 150 Millionen auf 725 Millionen Mädchen und Jungen gestiegen. Extreme Armut heißt Hunger. Der Gipfel zum Welternährungssystem im Herbst darf kein Fehlschlag werden. Die Folgen wären tödlich. Und an Konzepten fehlt es nicht: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung plädiert für eine Diversifizierung der Landwirtschaft samt agrarökologischem Umbau.

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