Keine Immunität gegen rechts

In den französischen Gewerkschaften steigt der Anteil der Front-National-WählerInnen

  • Bernhard Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Die französischen Gewerkschaften kämpfen gegen den steigenden Anteil rechter WählerInnen in ihren Reihen - und um ihre gesellschaftliche Anerkennung.

Die Gewerkschaften in Frankreich haben derzeit keine besonders gute Presse. Eine Umfrage des Instituts Odoxa, die am 28. Februar durch die Sonntagszeitung »Le Parisien dimanche« publiziert wurde, kam jedenfalls zu dem Ergebnis, 65 Prozent der Befragten hätten eine negative Einstellung zu ihnen. Allerdings erklären zugleich etwa 56 Prozent, die Vertretungen hätten eine »nützliche« Aufgabe. Der größere Teil der Befragten betrachtet überdies die geplante Arbeitsrechts-»Reform«, gegen die eine Mehrheit der französischen Gewerkschaften derzeit Sturm läuft, als »fundamental negativ« für die abhängig Beschäftigten. Wahrscheinlich mischen sich in diesem Ergebnis sehr unterschiedliche Antwortmotive; und während die einen Befragten Gewerkschaften generell skeptisch sehen, würden die anderen sich vielleicht eher andere und durchsetzungsstärkere Gewerkschaften wünschen.

Die Umfrage enthält jedoch noch ein anderes scheinbares Paradoxon. Man hätte sicherlich vermutet, dass die Ergebnisse bei SympathisantInnen der politischen Linken (im weiteren Sinne) anders ausfallen als auf der Rechten. Dies ist auch der Fall: 59 Prozent unter den AnhängerInnen der Linksparteien, aber nur 19 Prozent von jenen der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten haben demnach ein positives Bild von den Gewerkschaften. Überraschend wirkt jedoch, dass die Anhängerschaft der rechtsextremen Front National (FN) dabei zwischen den beiden Blöcken zu landen scheint. Dessen WählerInnen sollen demzufolge zu 30 Prozent eine positive und zu 69 Prozent eine negative Meinung zu den Gewerkschaften haben - ein Ergebnis, das nuancierter ausfällt als bei der bürgerlichen Rechten.

Doch es gibt Erklärungen für diesen Befund. Tatsächlich weist die extreme Rechte, zieht man etwa die Ergebnisse der jüngsten Regionalparlamentswahlen vom Dezember 2015 heran, einen erheblichen »Unterklassenbauch« in ihrer Wählerschaft auf. Eine Ursache dafür liegt in dem politischen Vakuum, das vor allem die französische Sozialdemokratie in Teilen der Gesellschaft hinterlassen hat, seitdem sie eine nach allgemeinem Dafürhalten durch und durch kapitalfreundliche Politik an der Regierung verfolgt.

Der zweite gewichtige Grund liegt darin, dass auch der Diskurs der extremen Rechten in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen sich verändert hat. In den 1980er Jahren war die Front National noch eine aggressiv neoliberale Partei, die als ihre wirtschaftspolitischen Vorbilder explizit Ronald Reagan und Margaret Thatcher benannte. Doch in den frühen 1990er Jahren vollführte die Parteiführung einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Ihr neuer Diskurs kombinierte soziale Demagogie - Versprechen, die allerdings nur an »die französischen Arbeiter« unter Ausschluss der Migranten gerichtet wurden -, Etatismus sowie die Behauptung, die Ursache aller sozialen Probleme läge in der Globalisierung. Letztere gehe zu Lasten der Nationen ebenso wie der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Allerdings gerät diese Orientierung derzeit innerhalb der extremen Rechten wieder unter erheblichen Beschuss. Denn von Teilen der FN wird heftig kritisiert, dass er etwa jeglichen Brückenbau zu konservativen Bündnispartnern verhindere, die man jedoch benötige, um eines Tages mehrheitsfähig zu werden. Vor allem seit einem »Strategieseminar« der Parteiführung vom ersten Februarwochenende werden verstärkt wirtschaftsliberale Kurskorrekturen eingefordert. Der Ausgang dieses Kräfteringens ist derzeit noch unentschieden.

So zu tun, als ob das Anwachsen der Stimmenanteile der extremen Rechten sie nichts angehe, kann sich unterdessen keine französische Gewerkschaft erlauben. Denn längst ist ein solches Stimmverhalten tatsächlich auch in ihrem eigenen sozialen Umfeld angekommen. Wie bei jeder landesweit stattfindenden Wahl in Frankreich, wurde auch bei der im Dezember 2015 eine Umfrage über den Zusammenhang von gewerkschaftlicher Orientierung und Stimmverhalten durchgeführt. Wie immer gelten dabei die üblichen Vorbehalte: Die erhobenen Daten über »Nähe zu einer Gewerkschaft« beruhen auf einer nicht näher überprüfbaren Selbsterklärung der Befragung, das heißt auf subjektiven Sympathieerklärungen und nicht auf einer Messung objektiver Faktoren wie etwa einer Mitgliedschaft.

Die Haupterkenntnis dabei lautet: Schon seit zwanzig Jahren ist auch das Umfeld französischer Gewerkschaften nicht vom Rechtswählen verschont. Eine fest Konstante dabei ist, dass der politisch schillernd auftretende (drittstärkste) Gewerkschaftsdachverband, Force Ouvrière - FO (sinngemäß: Arbeitermacht) dabei bei jeder Wahl deutlich in Führung liegt. Die Organisation wahrt ein Prinzip vordergründiger »politischer Neutralität«, was sie davon abhält, Erklärungen gegen die extreme Rechte wie die oben zitierte mitzutragen. Schon 1995 lagen die FO-SympathisantInnen unter allen, die sich subjektiv »gewerkschaftsnah« erklärten, in Sachen Stimmangabe für FN deutlich vorne, mit damals 19 Prozent. Zwanzig Jahre später ist dieser Wert bei 34 Prozent angelangt.

Doch seit Neuestem ist der Stimmenanteil der FN auch bei erklärten SympathisantInnen anderer Gewerkschaften sprunghaft angestiegen. Bei denen, die von sich selbst angeben oder behaupten, der CGT nahe zu stehen, sind es bei den Regionalwahlen im Dezember 2015 etwa 29 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten, die sich »mit keiner Gewerkschaft« auch nur vage identifizieren möchten, sind es derselben Umfrage zufolge übrigens 33 Prozent.

Die Gewerkschaften versuchen gegenzusteuern. Etwa durch massive Bildungsarbeit zur extremen Rechten. Oder durch eine Anti-Rechts-Kampagne, die am 29. Januar 2014 mit einer Großveranstaltung im Pariser Gewerkschaftshaus begann. Seitdem wird sie auf regionaler Ebene fortgeführt. Die Mehrzahl der französischen Gewerkschaften schließt Mitglieder aus, wenn sie sich erkennbar bei der FN betätigen. Gegen das ideologische Gift des Rassismus, das die Partei verbreitet - das wissen die Gewerkschaften - sind nicht alle ihrer Mitglieder immun. Umso wichtiger bleibt die offensive Auseinandersetzung mit ihr.

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