DiEM25 startet Transparenz-Kampagne
Petition gegen »zwielichtige Vereinbarungen« / Europäische Bewegung auch in Italien gegründet / EU-weit inzwischen mehr als 17.000 Mitglieder
Berlin. Die linke europäische Bewegung DiEM25 hat ihre erste große Kampagne gestartet: In Rom hat am Mittwochabend eine EU-weite Aktion für mehr Transparenz in den europäischen Institutionen begonnen. Die Kampagne ziele darauf ab, »Einblick in alle Entscheidungen auf EU-Ebene für die europäischen Bürger einzufordern«, so das unter anderem vom früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ins Leben gerufene Netzwerk. »Wir sollten erfahren wann sie Entscheidungen treffen, wie unsere Vertreter abstimmen und mit welchen Lobbygruppen sie sich treffen. Wenn wir alle gemeinsam diese Transparenz einfordern, können uns die EU-Institutionen nicht ignorieren.«
Mit der Aktion soll erreicht werden, dass die Treffen des Europäischen Rates, der Euro-Finanzminister und von Institutionen wie dem Rettungsmechanismus ESM »für alle Europäer zugänglich werden«. Zudem will DiEM25 »die Intransparenz der Entscheidungsprozesse« aufdecken, welche »die Macht haben, die Demokratie auf lange, lange Sicht zu verdrängen«, heißt es unter anderem mit Blick auf das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP.
Auf der Kampagnenplattform WeMove.EU wurde eine Online-Petition gestartet. In den ersten Stunden kamen dort bereits knapp 1.500 Unterstützer zusammen – noch nicht sehr viel in der 500-Millionen-EU. Auch Varoufakis sprach zunächst von einem kleinen Schritt, der den Europäern »einen Platz in der ersten Reihe der Treffen« der Herrschenden ermöglichen soll. Dies könne »einen enormen Schritt in Richtung der Demokratisierung Europas und der Relegitimierung der EU in den Augen der Bürger darstellen«, so der Politiker und Ökonom. Dass man »auf dem richtigen Weg« sei, habe die Tatsache gezeigt, dass noch vor dem Start der DiEM-Kampagne der Chef der Eurogruppe, der Niederländer Jeroen Dijsselbloem, »ein bisschen mehr Transparenz bei den Eurogruppen-Treffen versprochen« habe. »Aber wir lassen uns nicht blenden. Wir fordern volle Transparenz«, so DiEM25.
Bereits im Februar hatten sich die Euro-Finanzminister tatsächlich zu mehr Transparenz ihrer Sitzungen bekannt - allerdings war dies allenfalls ein Minischritt auf dem politischen Millimeterpapier. Dijsselbloem kündigte an, dass künftig ein vollständiger Entwurf der kommentierten Tagesordnung und eine Zusammenfassung des Treffens aus Sicht des Präsidenten der Eurogruppe veröffentlicht werden soll. Auch gebe es »grundsätzliche Unterstützung« für die Veröffentlichung von Dokumenten - allerdings nur, soweit dies auch möglich sei.
Schon länger drängt auch der Grünen-Politiker Sven Giegold auf mehr Transparenz. Der Verfassungsausschuss des Europaparlaments hatte vergangenes Jahr den Ex-Attac-Aktivisten beauftragt, Vorschläge für mehr »Transparenz, Verantwortlichkeit und Integrität in den EU-Institutionen« zu formulieren - einer von Giegolds Punkten in dem Entwurf zum Bericht: »Transparenz und Rechenschaftpflichtigkeit bei Entscheidungen in der Eurozone«. Den von der Eurogruppe angekündigten Schritt bezeichnete Giegold als grundsätzlich positiv - aber er ermögliche »noch keine demokratische Kontrolle« des Gremiums. »Die Hinterzimmerpolitik der Eurogruppe muss ein für alle mal vorbei sein. Da die Eurogruppe nur Zusammenfassungen ihrer Treffen und keine vollständigen Protokolle veröffentlichen will, bleibt weiterhin unklar, welche Positionen einzelne Regierungen vertreten haben«, so der Grünen-Politiker.
Die Forderungen von DiEM25 nach mehr Transparenz gehen noch weiter. Man verlange »volle Transparenz bei der Entscheidungsfindung« auf EU-Ebene, heißt es im Gründungsmanifest der europäischen Bewegung. Dazu gehöre es, Sitzungen des EU-Rats, von Ecofin, Beratungen über Steuerfragen und Sitzungen der Eurogruppe »per Livestream« öffentlich zu machen. Auch die Protokolle der Sitzungen des Gouverneursrats der Europäischen Zentralbank sollen nach dem Willen von DiEM25 »innerhalb weniger Wochen veröffentlicht werden«. Für Dokumente über wichtige Verhandlungen wie die über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP oder so genannte »Rettungskredite« für Staaten, sollen ins Netz gestellt werden - für alle sichtbar.
Bei dem Treffen in Rom am Mittwochabend, das gemeinsam mit den Organisationen European Alternatives, Piroetta und Talk Real vorbereitet wurde, ist DiEM25 als Bewegung zugleich auch in Italien an den Start gegangen. »Als Europäer sind wir häufig gezwungen zwischen zwei entsetzlichen Optionen zu wählen: uns in den Kokon unserer Nationalstaaten zurückzuziehen oder uns der demokratiefreien Zone von Brüssel zu ergeben«, heißt es bei DiEM25. Es gebe aber eine Alternative, die in einem »einfachen aber radikalen Ziel« bestehe: Europa bis spätestens 2025 zu demokratisieren.
Ohne Transparenz versage die Demokratie, warnen die DiEM-Aktivisten. »Dort wo zu viel im Dunkeln geschieht, können Regierungen zwielichtige Vereinbarungen treffen, ohne je zur Verantwortung gezogen zu werden, weil ihre Bürger nicht erfahren was vor sich geht, bevor es zu spät ist.« Gemeinsam könne man am Status quo etwas ändern, glaubt man bei DiEM25. Seit der Gründung der Bewegung Anfang Februar in Berlin hätten sich bereits über 17.000 Menschen DiEM25 angeschlossen - darunter namhafte Linke wie Noam Chomsky, Ken Loach, James K. Galbraith, Saskia Sassen, Walter Baier und Brian Eno.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!