Wenig Leute, die wenig saufen
Ein Krimi, der kein Krimi sein soll, delegiert die Gefühle an die Musik und macht aus Ermittlern philosophierende Trostspender. Matthias Dell über den Nürnberger »Tatort: Das Recht, sich zu sorgen«
Um den »Tatort« herum wird seit einiger Zeit zusätzliches Bildmaterial produziert, das online vorab zu sichten ist: kurze Filme mit Aufnahmen von den Dreharbeiten und den Akteuren, Portraits von Leuten, die an den Folgen mitwirken. Im Falle der neuen Nürnberger Folge »Das Recht, sich zu sorgen« (BR-Redaktion: Stephanie Heckner) gehört dazu auch ein Clip über den Komponisten Fabian Römer.
Da sieht man den Komponisten an weißem Klavier vor pink gestrichener Wand etwas spielen, während die Erzählerstimme mit dramatischer Schwere dünne Sätze sagt: »Fabian Römer lässt sich von seiner Intuition leiten, wenn er beginnt, die Musik für einen Film zu komponieren.« Römer erscheint ein wenig wie ein Koch, wenn er Moll spielt und »Melancholie« sagt, um anzufügen, es brauche jetzt noch etwas »Hoffnung«. Man könnte den Film leicht für eine Parodie auf geläufiges Kreativgelaber halten, eben weil aus dem Werkstattgespräch mit dem Künstler nur völlig banale Informationen dringen (»probiert aus, verwirft Ideen wieder; über Wochen hinweg entsteht so ein unverwechselbarer Sound, der dem Film seinen Charakter gibt«).
Wenn nicht auch sehr traurig-aber-wahre Sachen gesagt würden von der Sprecherstimme (»Der Franken-«Tatort» ist für ihn kein klassischer Krimi«) und dem Komponisten Römer (»Der Krimi ist in dem Sinne zweitrangig«). Denn die Emotionen, die sich die Musik aus dem richtig bemessenen Mix von »Melancholie« und »Hoffnung« backen will, verdaut »Das Recht, sich zu sorgen« schlecht (Regie: Andreas Senn). Genau betrachtet ist der Krimi, der kein Krimi sein will, nur die Umgebung für ein Kitschkunstprojekt, der Raum, in dem Römers generischer Grobgefühlssound (trist, aber mit ein bisschen Hoffnung) zu schick getönten Bildern (Kamera: Holly Fink) installiert wird. Derart zielt der »Tatort« auf etwas, das man mit weniger Aufwand genauso gut herstellen könnte: einen recht allgemeinen Begriff vom Sentimentalen.
Dabei ist Nürnberg among all Schauplätze doch der, der sich einer spezifischen Idee verdankt: dem eigenwilligen Spiel des Schauspielers Fabian Hinrichs, der mit dem tragischen Gisbert in der Münchner Folge »Der große Schlaf« 2012 eine Figur für die »Tatort«-Geschichtsbücher spielte. Nürnberg trat an als eine Art Gisbert-Spin-off, als Versuch, eine Umgebung nicht für Allerweltsgefühle, sondern Hinrichs' radikalsubjektive Spielweise zu schaffen.
Der Emo-Eintopf von »Das Recht, sich zu sorgen« ist davon weit entfernt. Hinrichs' Kommissar Felix Voss, von dem sich eine plumpe Zuschauererwartung doch dauernd Gisbert-Momente erwartete, erscheint in der Folge so zurückhaltend, dass man von Understatement kaum mehr sprechen mag. Dass die Schauspieler so wenig zu sagen haben, neben Hinrichs Dagmar Manzel als Kommissarin Ringelhahn, liegt nicht nur daran, dass die Gefühlsproduktion in die Verantwortung der Musik abgegeben ist. Es hat auch mit der Geschichte zu tun.
Das Drehbuch stammt von Beate Langmaack, einer Autorin, der man in der Kurzvorstellung ein paar Preise anheften kann, was einem aber nicht über den Schematismus der Story hinweghilft. In der werden gleich mehrere Geschichten motivisch miteinander verbunden und so stur paritätisch aufgelöst (nach 30 Sekunden wird jeweils zum nächsten Fragment geschaltet), dass man sich bald zu fragen beginnt, was daran spannend sein soll. Im Krimi, der kein Krimi sein soll, sind die Kommissare dafür da, philosophischen Trost auf dem Niveau des Kalenderblatts zu spenden (»Nicht nur das Schönste ist im Körper eines Menschen, sondern auch das Furchtbarste.«)
Was hat man von drei Variationen über die Sorge, wenn man keine richtig versteht? Die große Sibylle Canonica muss ihre Uni-Professorin wie ein barockes Laster spielen, statt dass einem der Film erzählte, wieso sie so viel Wert auf Geheimhaltung legt. Genau so wie die tötende Mutter (Barbara Prakopenka) tötet aus einer Verzweiflung, die die Betrachterin nie gesehen hat. Deshalb müssen die Kommissare im Krimi, der kein Krimi sein soll, am Ende immer die entscheidenden Motive soufflieren: »Romys Erinnerung an Sie wäre langsam verblasst.« Das aber ist die Kapitulation vor den Möglichkeiten filmischen Erzählens.
Eine Auskunft, mit der man auf Stehpartys reüssieren kann: »Meine Skelette sind alle in Ordnung«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: »Kindern können sie alles erzählen«
Ein Bewusstsein, mit dem man in Gehaltsverhandlungen gehen sollte: »Sie kennen mich doch gar nicht«
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