Gesundheitskarte setzt sich durch
Verschiedene Landkreise signalisierten Interesse an der Chipkarte für Flüchtlinge
Ab 1. Juli werden in Brandenburg die ersten elektronischen Gesundheitskarten an Flüchtlinge ausgegeben, allerdings nur in der kreisfreien Stadt Potsdam. Droht die Karte eine Luftnummer zu werden?
Nein, wir haben inzwischen Signale aus verschiedenen Landkreisen, dass sie mitmachen wollen. Allerdings entscheidet in einigen Landkreisen der Landrat darüber, andere Kreisverwaltungen holen sich das Votum des Kreistags ein. Darüber mache ich mir jedoch keine Sorgen. Ich weiß beispielsweise, dass sich in Teltow-Fläming der Sozialausschuss des Kreistags bereits einstimmig für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ausgesprochen hat. Ich gehe davon aus, dass der Kreistag nicht anders entscheiden wird. Allerdings braucht die Einführung der Gesundheitskarte einen gewissen Vorlauf. Darum kann nun erst einmal in Potsdam mit der Ausgabe der Karten begonnen werden. Die anderen Landkreise und kreisfreien Städte können die Karten dann zum 1. Oktober ausgeben.
Die Landkreise hatten Angst, sie würden bei einem Missbrauch von Gesundheitskarten auf Behandlungskosten sitzen bleiben. Wie konnte das Gesundheitsministerium diese Bedenken ausräumen?
Wir haben umfassend informiert, alle Sozialbeigeordneten angeschrieben und Detailfragen beantwortet. Mit der Kassenärztlichen und mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung wurden Verträge geschlossen, in denen genau geregelt ist, welche Leistungen bezahlt werden. Die Kommunen haben einen Vorteil von der Gesundheitskarte, denn künftig bezahlt das Land Brandenburg die medizinische Versorgung der Flüchtlinge in jedem Fall komplett. Bisher erhielten die Kommunen Pauschalsummen, die oft nicht ausreichten, denn Operationen zum Beispiel oder Krebstherapien sind sehr teuer. Da kann im Einzelfall schnell eine sechsstellige Summe zusammenkommen. Was den Missbrauch betrifft, so haben es die Landkreise selbst in der Hand, das auszuschließen. Die Gesundheitskarten gelten nur befristet. Die Laufzeit der Karte richtet sich nach der Gültigkeit des Aufenthaltstitels, der in den meisten Fällen zwischen drei und sechs Monaten beträgt. Längstens gilt die elektronische Gesundheitskarte 15 Monate.
Die 41-jährige Diplom-Sozialpädagogin Diana Golze (LINKE) ist seit dem 5. November 2014 brandenburgische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Vorher saß sie im Bundestag. Geboren in Schwedt und in Angermünde zur Schule gegangen, lebt Golze inzwischen in Rathenow. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Über die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge sprach mit ihr für »nd« Andreas Fritsche.
Glauben Sie, dass zum Oktober alle Landkreise und die übrigen kreisfreien Städte Brandenburgs die Gesundheitskarte einführen werden?
Das bleibt abzuwarten. Einige Landräte haben bisher die grundsätzliche Ansicht vertreten, die Gesundheitskarte sei ein Anreiz für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen. Diesen Anreiz wollten sie nicht. Ich kann dazu nur sagen, dass die Karte keine bessere medizinische Versorgung verspricht, sondern lediglich eine Entbürokratisierung der Abrechnung bedeutet. Bei den Behandlungen sind wir an die Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes gebunden. Dazu zählen unter anderem Behandlungen akuter Erkrankungen und Schmerzzustände einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln sowie die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Schutzimpfungen. Werdende Mütter und Wöchnerinnen erhalten ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung.
Die Flüchtlinge bleiben also auch in Brandenburg Patienten zweiter Klasse?
Leider ja.
Wie wird die Abrechnung organisiert?
Der kranke Flüchtling gibt wie jeder gesetzlich Krankenversicherte im Vorzimmer des Arztes seine Chipkarte zum Einlesen der darauf gespeicherten Datensätze ab. Die AOK Nordost, die DAK, die Knappschaft und vier Betriebskrankenkassen kümmern sich um die Abrechnung. Das Land Brandenburg bezahlt die einzelnen Leistungen. Manche Bürger beschweren sich über diese Regelung. Sie empören sich, dass hier für Asylbewerber gleich die medizinische Versorgung bezahlt werde, die in Deutschland niemals Krankenversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Aber das geschieht nicht wegen der elektronischen Gesundheitskarte. Der Staat bezahlt so oder so, mit Karte oder ohne. Es ist eine steuerfinanzierte Leistung. Aus den Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung wird kein Geld für die Flüchtlinge entnommen. Es wird also keinem gesetzlich Versicherten etwas weggenommen.
Warum bezahlt das Land die einzelnen Behandlungen? Warum werden nicht stattdessen Krankenversicherungsbeiträge für die Flüchtlinge entrichtet, aus denen dann die Behandlungen finanziert werden könnten?
Wir als Land Brandenburg konnten das nicht machen. Dazu hätte es einer bundeseinheitlichen Regelung bedurft, zu der es nicht gekommen ist. Ich bedauere das. Jetzt haben wir einen Flickenteppich. Einige Bundesländer haben die elektronische Gesundheitskarte und andere nicht. Das ist auch ein unnötiger Aufwand, wenn Flüchtlinge nach der Bewilligung ihres Asylantrages umziehen oder wenn sie in einem anderen Bundesland zum Arzt müssen.
Gilt das auch für Berlin?
Nein. Mit dem Land Berlin, das an die in der Hauptstadt untergebrachten Flüchtlinge selbst elektronische Gesundheitskarten ausgibt, haben wir vereinbart, dass die Gesundheitskarten der Flüchtlinge aus Brandenburg dort auch akzeptiert werden.
Über die Gesundheitskarte ist in Brandenburg bereits vor Ihrem Amtsantritt im November 2014 nachgedacht worden. Warum hat die Einführung so lange gedauert?
Wir waren uns mit der AOK Nordost recht schnell einig. Zwischenzeitliche Regelungen des Bundes führten dazu, weitere Krankenkassen mit ins Boot zu nehmen. Mit diesen Kassen haben wir uns verständigt. Das hat etwas Zeit in Anspruch genommen.
Politiker sind in der Regel privat versichert. Sie auch?
Nein. Ich habe mich freiwillig gesetzlich versichert. Das ist für mich finanziell ungünstiger, weil ich den Höchstbetrag zahle. Aber ich tue dies aus politischer Überzeugung - schon seit meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete.
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