»Nicht mit Unrecht identifizieren«

Rolf Verleger über den Nahostkonflikt, die Erklärung Shalom 5767 und Kritik an Israel

Rolf Verleger, geboren 1951, ist Professor für Neurophysiologie an der Universität zu Lübeck. Seine Kritik am Vorgehen Israels im Libanon und der Haltung des Zentralrats der Juden in Deutschland, in dessen Direktorium Verleger sitzt, fand bundesweit Beachtung. Ende November startete er die Unterschriften-Liste Schalom 5767 - Berliner Erklärung, die mehr kritische Distanz der Bundesregierung gegenüber Israels Politik fordert. Mit ihm sprach Rolf-Henning Hintze.

ND: In einer »Berliner Erklärung« fordern deutsche Juden die Bundesregierung auf, »die israelische Besatzungspolitik nicht länger zu tolerieren«. Was hat Sie dazu veranlasst?
Verleger: Anlass ist die Ungerechtigkeit der israelischen Besatzungspolitik und der tiefe dunkle Schatten, den sie auf das Judentum wirft. Das Judentum, das über Jahrtausende hinweg das Gebot der Nächstenliebe hochhielt, das in der chassidischen Tradition durch freudige Erfüllung der Gebote die Heilung der Welt bewirken wollte, das über Jahrhunderte hinweg unter christlicher Herrschaft und zuletzt unter Nazi-Terror erfahren hat, was Diskriminierung bedeutet - dieses Judentum kann sich nicht mit diesem Unrecht identifizieren.

Was finden Sie besonders schwer zu ertragen?
Das fehlende Unrechtsbewusstsein. Man findet es normal, Mauern auf fremdem Gebiet zu errichten, der palästinensischen Regierung das ihr zustehende Geld vorzuenthalten, Aktivisten umzubringen.

Die »Berliner Erklärung« fordert auch die Beendigung des Boykotts der palästinensischen Autonomiebehörde und einen lebensfähigen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967. Halten Sie die zweite Forderung wirklich für realistisch?
Sie ist durchsetzbar, wenn Deutschland und die EU sich entsprechend positionieren. Und sie ist wünschenswert für Israel, denn nur ein friedliches Auskommen mit den Palästinensern garantiert mittelfristig Israels Existenz.

Ihr Aufruf wendet sich ausdrücklich auch an Deutsche nichtjüdischen Glaubens und ruft sie zur Unterzeichnung auf. Warum?
Jeder sieht, dass die israelische Politik im Widerspruch zu internationalen Rechtsnormen steht. Jeder weiß auch, dass der ungelöste Nah-ostkonflikt die wichtigste Quelle des internationalen Terrors ist. Aber man sagt das alles ungern öffentlich. Dadurch brodelt es unter dem Deckel, die Diskussion wird nicht rational geführt, und dadurch - begünstigt durch die unkritische Solidarität der jüdischen Gemeinschaft mit Israels Politik - entsteht ein neuer Hass gegen Juden. Wir möchten den Leuten sagen: Hört auf, Euch da rauszuhalten. Denn seit Rabins Ermordung ist klar, dass nicht alles von alleine gut werden wird und sich in Israel selbst eine Mehrheit für eine friedliche Politik durchsetzt. Deutschland, als mächtigste Nation der EU, muss dafür aktiv werden. Wir sind überzeugt davon, dass die Mehrheit der Deutschen für Frieden und Verständigung im Nahen Osten ist. Dieser Wunsch soll laut und vernehmlich werden, dafür haben wir die Initiative ergriffen.

Wir erleben gegenwärtig eine neue Zuspitzung im Nahen Osten. Meinen Sie, dass die israelische Regierung die jetzige Eskalation mitzuverantworten hat?
Das israelische Militär hat den Flughafen von Gaza zerbombt, es besteht eine Seeblockade, Fabriken wurden zerschossen, verderbliche Waren für den Export verrotten, das Elektrizitätswerk wurde zerbombt, die Mehrheit hat keine vernünftige Arbeit mehr, die halbe Regierung wurde deportiert, Hunderte von Menschen wurden seit Mai umgebracht. Es wirkt wie ein soziologisches Experiment über die eigene Vergangenheit: Wie reagieren Menschen unter unerträglichen Umständen in einem großen Ghetto, wenn sie an den eigentlichen Verursacher dieser Umstände nicht herankommen?

Sie haben einmal gesagt, seit Yitzak Rabin ginge es in Israels Politik ständig bergab, es zähle fast ausschließlich die militärische Stärke. Gilt das weiterhin?
Ich lasse mich jederzeit gerne eines Besseren belehren. Als der rabiate Haudegen Yitzak Rabin und Yasser Arafat, der Pate der Flugzeugentführer, den Weg zum Frieden einschlugen, da standen mir vor Glück die Tränen in den Augen.

Wie bewerten Sie, dass ja auch die EU versucht, die gewählte Hamas-Regierung zu isolieren?
Diese Parteinahme war nicht klug. Die EU hat es in der Hand, ob die Welt zu einem Krieg zwischen islamisch und christlich geprägter Welt driftet oder ob wir wie kultivierte Menschen unsere Streitigkeiten durch Gespräche beilegen.

Sie haben sich als Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden während des Libanonkrieges in einem Brief an das Präsidium gewandt und geschrieben, die israelische Regierung brauche »nicht mehr Waffen oder mehr Geld oder mehr Public Relations, sondern mehr Kritik«. Welche Wirkungen hatte dieser Brief?
Die Hauptwirkung war, dass ich durch das unerwartete Medienecho und Hunderte von Zuschriften merkte, dass ich hiermit die Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung vertrete und dass diese Meinung deswegen besteht, weil Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt hat.

Sie mussten Ihr Amt als Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein aufgeben, dem Direktorium des Zentralrats gehören Sie jedoch weiter an. Welche Wirkungsmöglichkeiten sehen Sie dort?
Oberflächlich betrachtet kann ich dort nicht viel bewirken, denn mein Verhalten wird als unsolidarisch angesehen. Jedoch sitzen in diesem ca. 30-köpfigen Direktorium viele nette, verständige Menschen. So mancher könnte sich inzwischen gedacht haben, dass ich so Unrecht nicht hatte mit meiner Kritik am Libanonkrieg.ND: In einer »Berliner Erklärung« fordern deutsche Juden die Bundesregierung auf, »die israelische Besatzungspolitik nicht länger zu tolerieren«. Was hat Sie dazu veranlasst?
Verleger: Anlass ist die Ungerechtigkeit der israelischen Besatzungspolitik und der tiefe dunkle Schatten, den sie auf das Judentum wirft. Das Judentum, das über Jahrtausende hinweg das Gebot der Nächstenliebe hochhielt, das in der chassidischen Tradition durch freudige Erfüllung der Gebote die Heilung der Welt bewirken wollte, das über Jahrhunderte hinweg unter christlicher Herrschaft und zuletzt unter Nazi-Terror erfahren hat, was Diskriminierung bedeutet - dieses Judentum kann sich nicht mit diesem Unrecht identifizieren.

Was finden Sie besonders schwer zu ertragen?
Das fehlende Unrechtsbewusstsein. Man findet es normal, Mauern auf fremdem Gebiet zu errichten, der palästinensischen Regierung das ihr zustehende Geld vorzuenthalten, Aktivisten umzubringen.

Die »Berliner Erklärung« fordert auch die Beendigung des Boykotts der palästinensischen Autonomiebehörde und einen lebensfähigen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967. Halten Sie die zweite Forderung wirklich für realistisch?
Sie ist durchsetzbar, wenn Deutschland und die EU sich entsprechend positionieren. Und sie ist wünschenswert für Israel, denn nur ein friedliches Auskommen mit den Palästinensern garantiert mittelfristig Israels Existenz.

Ihr Aufruf wendet sich ausdrücklich auch an Deutsche nichtjüdischen Glaubens und ruft sie zur Unterzeichnung auf. Warum?
Jeder sieht, dass die israelische Politik im Widerspruch zu internationalen Rechtsnormen steht. Jeder weiß auch, dass der ungelöste Nah-ostkonflikt die wichtigste Quelle des internationalen Terrors ist. Aber man sagt das alles ungern öffentlich. Dadurch brodelt es unter dem Deckel, die Diskussion wird nicht rational geführt, und dadurch - begünstigt durch die unkritische Solidarität der jüdischen Gemeinschaft mit Israels Politik - entsteht ein neuer Hass gegen Juden. Wir möchten den Leuten sagen: Hört auf, Euch da rauszuhalten. Denn seit Rabins Ermordung ist klar, dass nicht alles von alleine gut werden wird und sich in Israel selbst eine Mehrheit für eine friedliche Politik durchsetzt. Deutschland, als mächtigste Nation der EU, muss dafür aktiv werden. Wir sind überzeugt davon, dass die Mehrheit der Deutschen für Frieden und Verständigung im Nahen Osten ist. Dieser Wunsch soll laut und vernehmlich werden, dafür haben wir die Initiative ergriffen.

Wir erleben gegenwärtig eine neue Zuspitzung im Nahen Osten. Meinen Sie, dass die israelische Regierung die jetzige Eskalation mitzuverantworten hat?
Das israelische Militär hat den Flughafen von Gaza zerbombt, es besteht eine Seeblockade, Fabriken wurden zerschossen, verderbliche Waren für den Export verrotten, das Elektrizitätswerk wurde zerbombt, die Mehrheit hat keine vernünftige Arbeit mehr, die halbe Regierung wurde deportiert, Hunderte von Menschen wurden seit Mai umgebracht. Es wirkt wie ein soziologisches Experiment über die eigene Vergangenheit: Wie reagieren Menschen unter unerträglichen Umständen in einem großen Ghetto, wenn sie an den eigentlichen Verursacher dieser Umstände nicht herankommen?

Sie haben einmal gesagt, seit Yitzak Rabin ginge es in Israels Politik ständig bergab, es zähle fast ausschließlich die militärische Stärke. Gilt das weiterhin?
Ich lasse mich jederzeit gerne eines Besseren belehren. Als der rabiate Haudegen Yitzak Rabin und Yasser Arafat, der Pate der Flugzeugentführer, den Weg zum Frieden einschlugen, da standen mir vor Glück die Tränen in den Augen.

Wie bewerten Sie, dass ja auch die EU versucht, die gewählte Hamas-Regierung zu isolieren?
Diese Parteinahme war nicht klug. Die EU hat es in der Hand, ob die Welt zu einem Krieg zwischen islamisch und christlich geprägter Welt driftet oder ob wir wie kultivierte Menschen unsere Streitigkeiten durch Gespräche beilegen.

Sie haben sich als Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden während des Libanonkrieges in einem Brief an das Präsidium gewandt und geschrieben, die israelische Regierung brauche »nicht mehr Waffen oder mehr Geld oder mehr Public Relations, sondern mehr Kritik«. Welche Wirkungen hatte dieser Brief?
Die Hauptwirkung war, dass ich durch das unerwartete Medienecho und Hunderte von Zuschriften merkte, dass ich hiermit die Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung vertrete und dass diese Meinung deswegen besteht, weil Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt hat.

Sie mussten Ihr Amt als Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein aufgeben, dem Direktorium des Zentralrats gehören Sie jedoch weiter an. Welche Wirkungsmöglichkeiten sehen Sie dort?
Oberflächlich betrachtet kann ich dort nicht viel bewirken, denn mein Verhalten wird als unsolidarisch angesehen. Jedoch sitzen in diesem ca. 30-köpfigen Direktorium viele nette, verständige Menschen. So mancher könnte sich inzwischen gedacht haben, dass ich so Unrecht nicht hatte mit meiner Kritik am Libanonkrieg.

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