Die EU bringt sich in Stellung
Sondergipfel am Samstag soll Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen beschließen
Was ist bloß mit der EU los? Da steht ein Gipfel vor der Tür, und es gibt keinen Streit. Möglich macht das der Brexit. Seitdem Großbritanniens Premierministerin Theresa May Ende März das offizielle Austrittsgesuch ihres Landes aus der EU gestellt hat, tickt die Uhr. Zwei Jahre haben die Partner Zeit, die Briten aus der Union zu verabschieden und - wenn möglich - ein neues Verhältnis zu ihnen aufzubauen. Und genau diese Reihenfolge ist es auch, auf die sich die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten am Samstag in Brüssel einschwören wollen. Erst alles zum Austritt klären und dann in die Zukunft schauen.
Diese Devise hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon vor Wochen ausgegeben. Und EU-Ratspräsident Donald Tusk nennt diese zwei Phasen in seinem am Freitag veröffentlichten Einladungsschreiben den Schlüssel dazu, um die Verhandlungen aus Sicht der EU erfolgreich zu führen. Das Prinzip der zwei Phasen müsse von allen genau verstanden und vollständig akzeptiert werden. »Das ist keine Frage der Taktik, sondern der einzig mögliche Ansatz«, schreibt Tusk.
Das kann man natürlich auch anders sehen, und May sah das lange anders. Gerne hätte sie sofort auch über die künftige Partnerschaft ihres Landes mit der EU verhandelt. Doch solche Forderungen sind jetzt nicht mehr aus London zu hören. Am Mittwoch empfing May übrigens Juncker und EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Die EU-Vertreter werden May auf das vorbereitet haben, was am Samstag als Gipfelergebnis auf sie zukommen wird. Und das ist dann schon relativ konkret, will man den bereits im Vorfeld zirkulierenden Entwürfen für die Gipfelbeschlüsse - die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen - glauben. Da wird direkt zu Beginn des Papiers die Geschlossenheit der 27 verbleibenden Staaten betont. Nur gemeinsam und in einer Einheit wolle man handeln. Dazu gehört auch, dass keine bilateralen Verhandlungen geführt, keine Sektoren aus dem Gesamtpaket ausgeklammert werden und die 27 nur über einen einzigen Kanal kommunizieren sollen.
Dann folgt der zwei Phasen-Ansatz. Phase eins soll - wenn möglich - bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Zentral darin die Frage nach den Bürgerrechten. Was wird mit den EU-Bürgern, die in Großbritannien leben? Was mit den Briten, die in der EU wohnen? Angeblich will die EU fordern, dass die rund 3,2 Millionen aktuell in Großbritannien lebenden EU-Bürger weiterhin von allen Vorzügen wie bisher profitieren. Arbeitsmarkt, Sozialsysteme, Bildung - alles soll ihnen offen bleiben. Polen und Ungarn sollen Druck gemacht haben, dass alle EU-Bürger, die bereits länger als fünf Jahre in Großbritannien leben, dort auch bleiben können.
Zweites großes Thema: das Finanzielle sein. Unter anderem will die EU, dass die Briten allen Verpflichtungen aus dem finanziellen Finanzrahmen der EU bis Ende 2020 weiter nachkommen. Wie hoch die britische Rechnung ausfallen könnte, wird im Gipfelentwurf wohl nicht genannt. Schon länger macht die Zahl von 60 Milliarden Euro die Runde.
Drittes großes Thema sollen Grenzfragen sein. Irland sorgte dafür, dass die Forderung nach einer offenen Grenze zu Nordirland mit in die Verhandlungen kommt. Es gehe darum, den Friedens- und Aussöhnungsprozess in Nordirland nicht durch neue Grenzen zu gefährden. Für Gibraltar soll es nur dann neue Bestimmungen geben, wenn Spanien dem zustimmt. »Menschen, Geld und Irland« - das müsse als erstes geklärt werden, fasst Tusk Phase eins zusammen.
In welche Richtung es danach in Phase zwei weitergehen könnte, darüber verliert Tusk kein Wort in seiner Einladung. Vielmehr erinnert er daran, dass diese Phase erst dann beginnen kann, wenn die 27 EU-Mitgliedsländer gemeinsam zu dem Schluss kommen, dass die Kapitel aus Phase eins soweit gediehen seien, dass man vorbereitende Gespräche über das künftige Verhältnis zwischen EU und Großbritannien beginnen könne.
Die Tage vor dem Gipfel erweckten den Eindruck, dass all diese Positionen die Zustimmung der 27 Teilnehmer finden werden. Tusk selbst schreibt, dass er »aufgrund der konstruktiven Haltung aller während der Vorbereitung« am Samstag nicht mit Überstunden rechne, der Gipfel wäre dann um 16.00 Uhr beendet.
Danach wäre die EU gleichsam bereit für die Brexit-Verhandlungen. Lediglich Großbritannien wird es noch nicht sein. Dort sollen erst die Unterhauswahlen am 8. Juni abgewartet werden.
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