- Politik
- Verschärfung der Polizeigesetze
»Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien werden außer Kraft gesetzt«
Polizeiforscher Florian Krahmer im Gespräch über Gesetzesverschärfungen, Terrorismus und den Wandel polizeilicher Arbeit
Herr Krahmer, Bayern hat vorgelegt, andere Bundesländer werden folgen. Warum hat die Verschärfung von Polizeigesetzen gerade politische Konjunktur?
Das ist Teil eines kontinuierlichen Paradigmenwechsels in der Sicherheitsarchitektur. Die Polizeigesetze sind in dieser Entwicklung nicht der Anfang. Ich würde sie eher als Ankerstein beschreiben, eine weitgehende Erweiterung polizeilicher Befugnisse der letzten Jahre wird noch einmal in Gesetzesform gegossen.
Also sind die Gesetze nur eine nachträgliche Legitimation von polizeilicher Praxis, die schon stattfindet?
Polizeiliche Praxis verändert sich. Und damit auch die Gesetze. Die aktuell diskutierten Gesetztesverschärfungen sehen zum Einen eine Aufrüstung der Polizei vor. Das plastischste Beispiel für diese Aufrüstung sind die Ausstattung der Polizei mit Militärgerät wie Handgranaten und Maschinengewehren.
Zum anderen ist da ein Paradigmenwechsel in der Arbeit der Polizei. Diese besteht aus zwei Komponenten: Prävention und Repression. Momentan ist zu beobacht, dass die Polizei viele ihrer präventiven Tätigkeiten mit repressiven Mitteln machen sollen darf. Zum Beispiel werden, bevor eine Straftat überhaupt passiert ist, präventive Strafmaßnahmen verhängt, wie Kontaktverbote und Fußfesseln.
Worin besteht dieser Paradigmenwechsel genau?
Die Polizeiarbeit soll effektiver und weniger personalintensiv werden. Wir Wissenschaftler stellen zum Beispiel einen höheren Einsatz von Vorhersagetechnologien in der Polizeiarbeit fest. In Sachsen wird gerade die Software Radar getestet. Diese berechnet anhand von Algorithmen und Daten die Gefahr, die mutmaßlich von einer Person ausgeht. Das ist höchst problematisch. Wer zum Beispiel in Syrien war, könnte von dem Algorithmus automatisch in eine höhere Gefährderstufe eingeordnet werden. Egal, ob die Person dort Urlaub gemacht oder ein Ausbildungscamp für Terroristen besucht hat.
Die präventive Vereitlung von terroristischen Straftaten scheint doch aber zunächst sinnvoll zu sein.
Terrorismus ist immer die Begründung zur Einführung solcher Gesetze. Sie zielen aber nicht nur auf Terrorismus. Maßnahmen wie Störsender zur Abschaltung von Handynetzen oder Gummigeschosse dienen explizit der inneren Aufstandsbekämpfung.
Haben die Regierenden also ihrer Meinung nach Angst vor einem kommenden Aufstand?
Nein, zumindest müssten sie keine Angst haben. Ich glaube eher, es besteht kein Problembewusstsein in der Politik dafür, dass mit diesen Gesetzen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. Der Skandal ist, dass Sanktionsmaßnahmen gegen Menschen verhängt werden können, ohne dass diese eine Straftat begangen haben.
Aber können solche präventiven Maßnahmen nicht auch sinnvoll sein? Ein Kontaktverbot eines islamistischen Gefährders zu einer salafistischen Gemeinde könnte doch durchaus die Planung von Straftaten erschweren.
Klar, einzelne Maßnahmen können sinnvoll sein. Im speziellen Fall. Aber im Allgemeinen sind sie eben eine Gefährdung für den Rechtsstaat. Es gibt übrigens auch viel effektivere Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Der sogenannte Islamische Staat muss sein gesamtes Geld waschen, dass er in Syrien durch Menschenhandel einnimmt, bevor er es in Europa einsetzen kann. Paradoxerweise sind die Institutionen in Deutschland, die zur Bekämpfung der Geldwäsche zuständig sind, seit etwa einem Jahr ausgeschaltet.
Das hat den Grund, dass die Zuständigkeit vom Bundeskriminalamt zum Zoll übertragen worden ist. Der Zoll hat aber gar nicht die Manpower und die Kompetenzressourcen. Das führt zu einer abstrusen Situation: Auf der einen Seite werden Gesetze verabschiedet, die Terrorismus bekämpfen sollen, aber die Allgemeinheit treffen werden, auf der anderen Seite werden Maßnahmen, die den Terrorismus effektiv bekämpfen könnten, durch die Politik konterkariert.
Sind die neuen Polizeigesetze auch eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Rechtsruck? Eine Antwort auf den Schrei der AfD nach mehr innerer Sicherheit?
Nein, das würde ich nicht so sehen. Das gesellschaftliche Klima, welches momentan vorherrscht, hat die Einführung solcher Gesetzte politisch möglich gemacht, sie sind aber Teil einer Entwicklung, die viel früher eingesetzt hat.
In Bayern hat das »Polizeiaufgabengesetz« 30.000 Menschen auf die Straße gebracht hat. Sie forschen in Sachsen. Ist dort Ähnliches zu erwarten?
Vielleicht nicht in der Größenordnung. Ich denke aber durchaus, dass es einen großen Protest geben wird. Das Problem ist nur: In Bayern hat es ja auch nichts gebracht. In Sachsen ist ein zusätzliches Problem, dass im Unterschied zu Bayern die SPD an der Ausformulierung des Gesetzes beteiligt war und nicht dagegen mobilisieren wird. Deshalb denke ich, für die außerparlamentarischen Proteste wird es am wichtigsten sein, Druck auf die SPD auszuüben. Diese ist eine Schaltstelle, die das Gesetz noch verhindern könnte, wenn genügend Leute darauf pochen, dass das Gesetz den sozialdemokratischen Ansprüchen der Partei zuwiderläuft.
Die SPD war in Sachsen an der Formulierung des Gesetzes beteiligt. Aber auch Teile der LINKEN, eine Partei, die Sie wissenschaftlich beraten, äußern sich positiv zum Gesetz.
Es gibt Ordnungsbürgermeister der LINKEN in einigen Städten in Sachsen, die vielleicht mit den Gesetzesverschärfungen nicht ganz unglücklich sind. Ich glaube aber schon, dass die LINKE als Bundesverband in Sachsen breit gegen das Gesetz mobilisieren wird.
Sind die Gesetzesverschärfungen denn noch zu verhindern?
In Sachsen hat die Opposition aus Grünen und LINKE bereits eine Kontrollklage angekündigt. Das müssen sie schnell machen, denn für eine solche Klage vor dem sächsischen Verfassungsgericht braucht man einen gewissen Stimmanteil der Parteien im Landtag. In Sachsen ist unsicher, ob nach den Wahlen dieses Quorum erreicht wird, weil der erneute Einzug der Grünen in den Landtag noch ungewiss ist. Klar ist: Eine Klage wird nur abmildernd wirken. Das eigentliche Problem ist fehlendes Problembewusstsein in Politik und Bevölkerung. Das liegt auch daran, dass sich die Politik als Anfangsbegründung immer gesellschaftlich allgemein abgelehnte Handlungsweisen heraussucht, zum Beispiel Pädophilie oder Terrorismus, und dann Maßnahmen in Gesetzesform gießt, unter denen dann am Ende alle leiden müssen.
Für mich ist auch ein Problem, dass man mit den Protesten für die Erhaltung des Status Quo kämpft. Das würde ich niemandem zum Vorwurf machen. Aber der Status quo ist eben auch schon eine Zumutung. Zur Frage zurück: Die Polizeigesetze sind nur ein Baustein im Paradigmenwechsel in der Sicherheitsarchitektur, aber ein wichtiger. Sind sie einmal beschlossen, wird es schwer, sie noch zu kippen. Deshalb hoffe ich auf einen breiten gesellschaftlichen Protest.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!