Seehofer verliert das Recht aus dem Blick

Masterplan des Bundesinnenministers weckt Besorgnisse von UNHCR, UNICEF und weiteren Organisationen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Maßnahme ist schon auf den Weg gebracht: Minister Horst Seehofer (CSU) teilte bei der Vorstellung seines Masterplans am Dienstag in Berlin mit, die Mitwirkung anerkannter Flüchtlinge bei der Überprüfung ihrer Fluchtgründe nach drei Jahren solle nun zur Pflicht werden. Bei Weigerung drohen Sanktionen. Der entsprechende Gesetzentwurf sei von ihm unterzeichnet und am Montag in die Ressortabstimmung gegeben worden, so Seehofer.

Seehofers Plan ist dabei alles andere als ein Kompendium von Einzelmaßnahmen. Er folgt dem Ziel der Eindämmung von Migration, der er undifferenziert auch die Flucht aus Krisengebieten zuordnet, damit sich eine «Situation wie die des Jahres 2015 nicht wiederholen wird und kann». Es werden vier Handlungsfelder ausgemacht - in den Herkunftsländern, den Transitländern, der Europäischen Union und in Deutschland. Es gelte das «Versprechen, die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren».

Das Papier benennt auch nötige Überlebenshilfe, Aufbau von Infrastruktur in den Krisengebieten und langfristige Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung stellt der Masterplan allerdings unter den Vorbehalt «guter Regierungsführung» und der Wahrung der Menschenrechte und nennt hier das Prinzip des Forderns und Förderns. Eine besondere Rolle spielen internationale polizeiliche Zusammenarbeit und das Ziel der Rücknahme von Geflüchteten durch die Herkunftsländer.

«Transitländer illegaler Migration» etwa in Nordafrika sollen bei der Stabilisierung ihrer politischen Lage wie auch bei der «vorübergehenden Aufnahme Geflüchteter unterstützt werden. Die Frage, wieso Länder wie Ägypten oder Jordanien noch mehr Menschen aufnehmen sollten als bisher, weil Europa dies für sich nicht akzeptiert, konnte Seehofer nicht schlüssig erklären. Er verwies in diesem Zusammenhang auf einen Interessensausgleich, den es auszuhandeln gelte. Das Papier plädiert für eine Stärkung von Frontex und Europäischer Grenzpolizei und fordert EU-weite Standards in Asylverfahren sowie eine »Steigerung der Effizienz bei Dublin-Überstellungen«. Weitere Punkte zielen auf die Sicherung des existierenden Asylsystems, das die EU-Außenstaaten be- und alle Binnenstaaten entlastet. Gleichzeitig soll gegen die Sekundärmigration, also gegen die Flüchtlingswanderung in der EU vorgegangen werden.

In Deutschland spielen die geplanten AnKER-Zentren eine entscheidende Rolle für Seehofers Ziel beschleunigter Asylverfahren. Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl liest aus dem Plan die Absicht, ein faires Verfahren für Schutzsuchende solle »auf möglichst vielen Ebenen verhindert werden«. Die Organisation wendet sich gegen den Generalverdacht, Geflüchtete seien unberechtigt hier. Sie erinnert daran, dass 2017 über die Hälfte der Asylbewerber einen Schutzstatus erhielt. Und die zunächst abgelehnten Personen hätten oftmals noch vor Gericht ihren Schutz bekommen.»

Auch andere Hilfswerke und Kinderschutzorganisationen üben scharfe Kritik an Seehofers Plan. Die Vertretung des UNO-Flüchtlingskommissars in Deutschland kritisierte einen «bedenklichen Grundtenor» in dem Papier. Dominik Bartsch, Repräsentant in Deutschland, erklärte: «Der Plan konzentriert sich nur auf Verschärfungen bei der Verwaltung und in Verfahrensfragen und vernachlässigt das Wichtigste: den Menschen.» Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF in Deutschland rief dazu auf, das Wohl und den Schutz von Kindern jederzeit vorrangig zu behandeln. «Kein Kind darf zusätzlichen Schaden nehmen oder erneut Gefahren ausgesetzt werden», erklärte Geschäftsführer Christian Schneider.

Das evangelische Hilfswerk «Brot für die Welt» sprach von einem «Debakel für die Humanität». Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, hob hervor: «Die Herausforderung für unsere Gesellschaft liegt in der Integration der zu uns gekommenen Menschen.» Dafür engagierten sich jeden Tag weiterhin Tausende von Haupt- und Ehrenamtlichen. «Nun verlieren sie die vorbehaltlose Rückendeckung der Politik», kritisierte Lilie.

«Save the Children Deutschland» kritisierte, dass der Masterplan die Interessen von Kindern an keiner Stelle berücksichtige. Die Menschenrechtsorganisation «terre des hommes» erklärte, der Maßnahmenkatalog sei «ein Dokument der Abschottung». Vorstandssprecher Albert Recknagel verwies darauf, dass knapp die Hälfte der neu ankommenden Flüchtlinge Kinder und Jugendliche seien. Anstatt ihre besondere Schutzbedürftigkeit ernst zu nehmen, wolle Seehofer die Rechte von Flüchtlingen auf ein absolutes Minimum reduzieren. Der Paritätische kritisierte auch die verwendeten Begriffe. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider: «Begriffe wie ›AnKER-Zentren‹ sollen uns in die Irre führen. Es handelt sich um nichts anderes als Lager. Auch nach Einschätzung der Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, sind Menschenrechte in dem »Masterplan« kaum zu finden. Sie erklärte, beharrlich werde die Schutzbedürftigkeit von Geflüchteten ausgeblendet. Flucht und Migration, die unterschiedliche Ursachen haben, würden miteinander vermischt. »Damit geraten die verbindlichen Menschenrechte der Betroffenen aus dem Blick«, sagte Rudolf. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.