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Klagerufe aus dem Gefängnis
Yücel Özdemir über Hungerstreiks von kurdischen Politikern und einen Besuch bei Abdullah Öcalan
Bereits am 6. November berichtete ich an dieser Stelle über den Protest der Abgeordneten der Linkspartei HDP Leyla Güven. Es war der zehnte Tag des Hungerstreiks von Güven, seither sind 69 weitere Tage vergangen. Die 55-Jährige befindet sich seit insgesamt 79 Tagen im Hungerstreik und ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich. Laut einer Presseerklärung, die zu Beginn der Woche von der HDP veröffentlicht wurde, verweigert Güven ärztliche Untersuchungen. Zudem beantragte sie bei der Gefängnisleitung, dass im Fall der Bewusstlosigkeit nur ein unabhängiges Komitee des Türkischen Ärztebundes TTB eingreifen darf.
Eine auf demokratischem Weg ins Parlament gewählte Politikerin, die vom Regime gefangen gehalten wird, befindet sich an der Grenze zum Tod. Güven ist außerdem nicht nur gewählte Abgeordnete des türkischen Parlaments, sondern auch Ko-Vorsitzende des größten zivilgesellschaftlichen Vereins von Kurden in der Türkei, des Demokratischen Gesellschaftskongresses DTK. Der DTK war während des - 2015 beendeten - Friedensprozesses ein vom damaligen Ministerprädienten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan akzeptierter Verhandlungspartner.
Bezüglich ihrer Hauptforderung, der Isolationshaft des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan ein Ende zu setzen, gab es zumindest eine kleine Annäherung. Seit April 2015 waren die Gespräche mit Öcalan ausgesetzt. Lediglich im September 2016 war ein Besuch seines Bruders gestattet worden. Nun wurde nach über zwei Jahren erneut ein Besuch Mehmet Öcalans auf der Gefängnisinsel İmralı genehmigt.
Dieser kurze Austausch bot zwar für Güven keinen Grund, ihren Hungerstreik zu beenden. Doch dass nach Jahren ein Wiedersehen mit Öcalan ermöglicht wurde, stieß in der Türkei, bei Kurden und demokratischen Kräften, auf positive Resonanz. Immerhin konnte so bestätigt werden, dass er am Leben und bei guter Gesundheit ist.
Über den Inhalt des Gesprächs mit Öcalan ist öffentlich nichts bekannt. Dies wiederum ist Ausdruck der Tatsache, dass sich politisch nichts geändert hat. Die Gespräche waren und sind stets auch Gradmesser: Wenn die Gefängnistore der Familie, den Anwälten und den Vertretern Abdullah Öcalans offen stehen, ist dies ein Zeichen politischer Milderung. Sind die Tore indes verschlossen, bedeutet dies eine Verhärtung der Fronten, wie wir sie seit April 2015 erleben. Kurdische Städte wurden seither dem Erdboden gleich gemacht, Hunderte gewählte Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister von ihren Ämtern entfernt und ins Gefängnis geworfen. In den kurdisch geprägten Gebieten Syriens wurden Militäroperationen durchgeführt.
Der Hungerstreik von Leyla Güven ist auch ein Aufschrei gegen diese Unterdrückung und himmelschreiende Ungerechtigkeit. Und es sieht nicht danach aus, als würde Erdoğan nachgeben. Ebenso wenig jedoch die kurdische Bewegung: Gemeinsam mit Leyla Güven befinden sich in 59 Gefängnissen über 250 Gefangene seit 41 Tagen in Hungerstreiks. Unter ihnen weitere bekannte Politiker. Und sogar außerhalb des Landes wurden Solidaritätsstreiks begonnen.
Die Entscheidung dieser kurdischen Politiker, Erdoğan zum Rückzug zu zwingen, indem sie ihr Leben aufs Spiel setzen, ist auch Ausdruck der Ausweglosigkeit und Verzweiflung. Ob der Weg des »Todesfastens« der richtige ist, kann hinterfragt werden - in der Türkei gibt es dazu auch unter Linken sehr unterschiedliche Ansichten.
Die Geschichte der Türkei ist voll von Protesten dieser Art, die sich gegen die Unterdrückung in Gefängnissen richteten. Ein geringer Teil davon endete erfolgreich, der weitaus größere mit enormen Verlusten. Während der Militärdiktatur wurden die Gefängnisse zu Zentren der revolutionären Opposition. Bei den Protesten gegen die Einheitskleidung und Einzelhaft in den 1990er Jahren starben unzählige Inhaftierte. Viele weitere erlitten schwere körperliche Schäden.
Für autoritäre Staaten ist der Tod von Oppositionellen oft nur ein kleines Detail, eine Randnotiz. Die Reaktionen auf den Hungerstreik von Leyla Güven zeigen dies erneut deutlich. Dabei ist ihr einziger Wunsch lediglich eine Türkei, in der türkische und kurdische Jugendliche nicht mehr sinnlos ihr Leben lassen müssen. Ihr einziger Wunsch ist Frieden.
Aus dem Türkischen von Svenja Huck. Auf Türkisch gibt es die Kolumne hier zu lesen.
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