- Sport
- Severin Freund
Ein letztes Mal an die Spitze
Nach langer Leidenszeit feiert Severin Freund sein Skisprung-Comeback im Weltcup.
Severin Freund hat in seiner Karriere schon fast alles erlebt. Rasnov, eine 15 000-Einwohner-Stadt in Rumänien, ist jedoch auch für den einst erfolgsverwöhnten Skispringer neues Terrain. »Da war ich noch nie«, sagte er vor dem Weltcup an diesem Wochenende. »Das wird sicher spannend und aufregend.« Diese Einschätzung hat nichts damit zu tun, dass hier in Transsilvanien einst der berüchtigte Graf Dracula daheim gewesen sein soll. Vielmehr startet Severin Freund auf der Normalschanze in der Skisprungprovinz sein Comeback im Weltcup. Im Alter von bald 32 Jahren ist es vielleicht sein letzter Versuch, wieder in der Weltspitze Fuß zu fassen.
Fast 14 Monate sind seit dem letzten Auftritt des Bayern beim Neujahrsspringen 2019 vergangen. Vor großer Kulisse in Garmisch-Partenkirchen landete Freund damals nur auf Platz 41 und flog wegen Formschwäche aus dem deutschen Team. In der siebenbürgischen Provinzstadt Rasnov darf er nun erstmals wieder mitmachen. Mehr als ein Platz im Mittelfeld darf man vom 32. der Qualifikation vom Donnerstag wohl nicht erwarten - dennoch ist das für den Siegertypen von einst nach langer Leidenszeit einer der größten Erfolge seiner wechselvollen Karriere.
»Ich freue mich wahnsinnig, wieder beim Team dabei zu sein. Seit dem letzten Wettkampf ist so viel Zeit vergangen«, erzählt Freund. In der letzten von vielen Zwangspausen musste er sich im Februar 2019 - zeitgleich mit der Eröffnung der Nordischen Ski-WM, bei der Teamkollege Markus Eisenbichler dreimal Gold gewann - erneut am Knie operieren lassen. Als er sich dann wieder herangekämpft hatte, zwickte der Rücken. Ende November war erneut eine OP notwendig. Nun hat es Severin Freund wieder nach oben geschafft. Nach einer starken letzten Trainingseinheit in Planica berief ihn Bundestrainer Stefan Horngacher etwas überraschend gleich ins Weltcupteam.
Das Risiko eines missglückten Comebacks oder gar einer neuerlichen Verletzung von Freund erschien dem Chefcoach auf der kleinsten Schanze im Weltcupkalender vergleichsweise gering. Außerdem wollte Horngacher ein Signal aussenden, dass er dem Routinier Freund auch in Zukunft eine faire Chance in einem starken Team geben wird: »Es wird sicher noch eine Zeit dauern, bis er ein gewisses Level hat. Aber obwohl Severin viele Verletzungen gehabt hat, kämpft er immer weiter. Und er ist definitiv einer der besten Skispringer der Welt.«
Es ist schon eine ganze Weile her, dass der Olympiasieger von 2014, dreimalige Weltmeister und Gesamtweltcupsieger das beweisen konnte. Den letzten seiner 22 Weltcupsiege feierte Severin Freund im November 2016. Schon damals hatte er sich nach einem Sturz samt Hüftoperation gerade wieder zurück an die Spitze gearbeitet. Seine Leidenszeit hatte damals aber erst begonnen: Freund erlitt in der Folge zwei Kreuzbandrisse, verpasste die Olympischen Spiele 2018 und musste fast zwei Jahre aussetzen. Es folgte ein kurzes Comeback und die neuerliche 14-monatige Pause bis zur Rückkehr in Rasnov.
Andere hätten längst aufgegeben, doch Severin Freund hat einfach immer weitergemacht. Das liegt ganz sicher daran, dass er sich in seinem Sportlerleben schon immer alles hart erkämpfen musste. Den großen Durchbruch schaffte Freund erst vergleichsweise spät mit 25 mit dem Team-Olympiasieg 2014. Sechs Jahre später will er nicht als einer abtreten, dem Verletzungen das Ende aufgezwungen haben. »Ich spüre, dass da noch etwas auf mich wartet, und bin immer noch hungrig auf Skispringen«, hat er in den vergangenen Jahren häufiger gesagt. Die ursprünglich angepeilte Skiflug-WM im März in Planica dürfte für den mittlerweile verheirateten Familienvater noch zu früh kommen. Aber bei den Heim-Weltmeisterschaften 2021 in Oberstdorf möchte er »konkurrenzfähig auf dem Balken sitzen«.
Den Respekt der Kollegen hat der Kämpfer in jedem Fall sicher. Sportlich sind in den letzten Wintern der derzeit verletzte Olympiasieger Andreas Wellinger, Eisenbichler und in den letzten Wochen auch Karl Geiger für ihn in die Bresche gesprungen. Im Teamgefüge steht Freund ob seiner Erfahrung und menschlichen Kompetenz dennoch gleich wieder mit ganz oben.
Und falls es mit dem Comeback des Bachelors für Internationales Management doch nicht mehr klappt, wird das einen Severin Freund auch nicht umhauen. Direkt nach der Geburt seiner Tochter hatte er ein Foto ihrer kleinen Babyhand gepostet. Mit dem Hashtag »Was wirklich zählt«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!