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Am Rande der Illegalität
Die Sexarbeiter*innen auf der Berliner Frobenstraße arbeiten weiter, obwohl Prostitution derzeit verboten ist
In den vergangenen Monaten ist die Arbeit auf der Straße wirklich schwierig gewesen. »Es kommen nur wenige Freier, pro Nacht habe ich vielleicht ein oder zwei Kunden, und die bezahlen schlecht«, erzählt Rayna. Sie ist trans Frau und arbeitet als Sexarbeiterin auf der Berliner Frobenstraße - obwohl seit Beginn der Corona-Pandemie und den eingeführten Abstands- und Hygieneregeln ein Berufsverbot für Prostituierte gilt.
Rayna und einige andere Sexarbeiter*innen stehen wie immer in Berlin-Schöneberg auf der Straße, nahe dem bekannten Straßenstrich in der Kurfürstenstraße. »Früher hat in dem ganzen Kiez Straßenprostitution stattgefunden. Heute ist das anders, da gibt es die Frobenstraße, auf der trans Sexarbeiter*innen arbeiten und die Kurfürstenstraße, wo cis Frauen anschaffen«, erklärt Caspar. Er engagiert sich seit gut einem Jahr bei Trans*Sexworks, einem Projekt zur Unterstützung von Sexarbeiter*innen, und hat angeboten, die Gegend zu zeigen - spätabends, denn anders als auf der Kurfürstenstraße sei auf der Frobenstraße immer nur nachts was los, erklärt Caspar.
Das Projekt ist vor rund sechs Jahren durch eine Initiative des Vereins TransInterQueer entstanden. Bis dahin gab es deutschlandweit kein einziges Projekt, das sich mit Transgeschlechtlichkeit und Sexarbeit auseinandergesetzt hat. Die überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von Trans*Sexworks arbeiten meist auf der Frobenstraße, verteilen Essen und Getränke, Kondome und Gutscheine und helfen mit Papieren oder wenn jemand Schulden hat. nd
»Die meisten stehen hier dann bis irgendwas zwischen drei und sechs Uhr morgens. Wenn die Polizei da war und das Geschäft deswegen schlecht läuft, auch nur bis ein Uhr.« Zwar würden viele der Frauen hier Unterstützung vom Jobcenter erhalten, aber nicht genügend und eben auch nicht alle, berichtet Caspar, während wir etwas abseits vom Frobenbrunnen stehen, wo die Frauen sich auf Bänken ausruhen, quatschen oder Musik hören. »Zudem sprechen nicht alle Deutsch«, sagt er. Trans*Sexworks ist eine Peer-to-Peer-Gruppe. »Wir haben Leute, die selbst auf der Straße arbeiten und Bulgarisch sprechen, was hier die meist gesprochene Sprache ist.« So können wichtige Hilfestellungen geleistet werden, denn viele wissen gar nicht, was für Rechte sie haben oder kommen teilweise aus Ländern, wo sie kaum Rechte hatten.
Dass das enorm wichtig ist, zeigt sich gerade jetzt, wo Prostitution in die Illegalität gerutscht ist. Seit Mitte März sind »Prostitutionsstätten und ähnliche Einrichtungen« durch Corona-Verordnungen geschlossen, und auch die Straßenprostitution ist nicht erlaubt. Nur Massagesalons und BDSM-Studios dürfen nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Donnerstag wieder öffnen. »Momentan fährt die Polizei viel rum, hält aber nicht unbedingt an. Aber jede Streife ist anders. Manche machen Probleme, das ist abhängig von den Personen«, sagt Isabelle. Sie ist ebenfalls trans Sexarbeiterin aus Bulgarien und übersetzt die Geschichten der Frauen ins Englische oder Deutsche. Rayna erzählt: »Gerade haben wir weniger Probleme mit der Polizei, das war aber nicht von vornherein so.«
»Am Anfang hat es Bußgelder für Sexarbeiter*innen gegeben, seit Juni aber werden die Freier bestraft«, klärt Caspar auf. Die aktuelle Situation entspricht also dem »Schwedischen Modell«: Einem Sexkaufverbot, wie es in dem nordischen Land seit über 20 Jahren gilt, und für das es auch in Deutschland immer wieder Fürsprecher*innen gibt. An der Polizeipräsenz insgesamt hätte sich allerdings nichts geändert. Die sei seit Beginn des Berufsverbots sehr hoch. »Es fahren, besonders gegen Mitternacht, immer mehr Streifenwagen und manchmal auch Wannen rum«, sagt Caspar. Allerdings nicht, um Freier zu erwischen, glaubt er, sondern einfach, um das Geschäft für den Abend kaputt zu machen.
Weniger Sittenpolizei, mehr Schutz
Die Erzählungen von Rayna und Isabelle bestätigen das. »Die Kunden haben Angst, wenn sie die Polizei sehen.« Das ruiniere das Geschäft, sagt Isabelle. Denn viele der Kunden fahren zunächst um den Block, halten vielleicht kurz an und schauen, wer gerade arbeitet, erklärt Caspar. Er sieht das derzeitige Vorgehen kritisch, findet das Berufsverbot aus infektiologischer Sicht nicht unbedingt schlüssig. »Die Sexarbeiter*innen hier haben keine 30 Kunden am Tag, sondern vielleicht fünf. Momentan haben sie manchmal tagelang gar keine.
Wenn du im Restaurant arbeitest, triffst du auf mehr Leute.« Die Illegalisierung mache Sexarbeit in vieler Hinsicht gefährlicher: »Normalerweise, wenn Kunden anhalten, laufen ein paar Frauen vor und können den Preis und Bedingungen verhandeln. Aber wenn die Polizei präsent ist und man Angst hat, erwischt zu werden, dann steigen viele einfach ins Auto.« So könne nicht verhandelt werden, ob ein Kondom benutzt wird, und insgesamt drücke das die Preise in den Keller. »Die Frauen sind viel abhängiger von jedem einzelnen Kunden«, erzählt Caspar.
Nicht zuletzt mache das derzeitige Berufsverbot die Arbeit von Hilfsprojekten schwer, so die Erfahrung bei Trans*Sexworks. Man könne die Frauen schließlich nicht suchen, wenn sie nicht mehr auf die Straße kommen. »Als es das Bußgeld für Sexarbeiter*innen noch gab, wurden trans Frauen auch einfach fürs Auf-der-Straße-lang-laufen von der Polizei angehalten. Dadurch haben die Frauen sich gar nicht mehr getraut, zu uns zu kommen, wenn wir hier standen.« Man müsse sich aber klar machen: »Es ist nicht so, dass Sexarbeit einfach verschwindet, nur weil sie verboten ist.«
Unter den Sexarbeiter*innen im Kiez erzählt man sich, dass es auch schon zu Taschenkontrollen gekommen sei. Erst vor gut zwei Wochen sollen Beamt*innen auf der Kurfürstenstraße damit gedroht haben, Taschen auf Kondome zu kontrollieren - als Beweis für die Sexarbeit. Auf Anfrage der »taz« erklärte die Polizei Berlin, dass es an jenem Tag keinen Einsatz auf der Kurfürstenstraße gegeben habe. Ob es überhaupt schon mal zu »Kondomkontrollen« gekommen sei, werde derzeit noch recherchiert, heißt es auf Anfrage von »nd.DieWoche«.
Das sei jedoch nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen, berichtet Caspar. Vor Wochen hätte eine Sexarbeiterin sogar ein Bußgeld dafür erhalten, dass sie sich außerhalb der Wohnung aufgehalten hat. Sie gehe nun juristisch dagegen vor. »Es wird schon eher versucht, den Frauen hier das Leben so schwer wie möglich zu machen«, meint Caspar. Und zwar nicht erst seit Beginn der Pandemie. Jahrelang hätten Sexarbeiter*innen gefordert, sogenannte Verrichtungsboxen aufzustellen, also Container, wo Leute Sex haben können. Stattdessen wurden jedoch drei mobile Toilettenhäuschen installiert. »Das ist so menschenverachtend«, meint Caspar.
Bessere Hilfe und Solidarität
Falls tatsächlich nach Kondomen kontrolliert werde, hätte das eine »sehr schädliche Wirkung«, erklärt Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe. »Wenn Kondombesitz bestraft wird, wächst die Gefahr, dass Menschen sich nicht mehr schützen.« Es könne Angst davor entstehen, Kondome bei sich zu tragen. Nicht zuletzt wirke man damit jahrzehntelanger Arbeit der Prävention entgegen. »Schutz darf nie zum Nachteil werden«, betont Wicht und fordert gleichzeitig, die Sexarbeiter*innen in der aktuell schwierigen Situation stärker zu unterstützen. Viele seien durch das Verbot ihrer Tätigkeit derzeit in Notsituationen. Auch er betont: »Prostitution findet weiter statt, nur im Verborgenen - und damit unter gefährlichen Bedingungen.«
Mehr Unterstützung seitens der Politik und sozialen Organisationen wünscht sich auch Isabelle. »Die Regierung muss endlich Lösungen finden, für Menschen, die auf der Straße arbeiten. Außerdem muss es mehr Hilfe durch soziale Organisationen geben.« Beim Projekt Trans*Sexworks hofft man, in Zukunft zumindest, eigene Räumlichkeiten zu bekommen. Am Liebsten die eines Stehcafés um die Ecke, wo man auch nachts offen haben könnte. »Für viele gibt es keine Möglichkeit, sich in Ruhe für die Arbeit fertig zu machen, zu duschen oder Wäsche zu waschen. Solche Orte fehlen einfach.«
Den Straßenstrich in der Nähe des Nollendorfplatzes gibt es seit 1885. Die dortige Prostitution schuf auch ein Klima der Toleranz gegenüber Homosexuellen und führte dazu, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Schöneberger Norden zu einem Szenetreff für jene entwickelte, die nicht zur heterosexuellen Norm gehörten. Gerade mit Blick auf die Geschichte der Gegend findet Caspar es schade, dass in der queeren Community oft vergessen werde, wie stark sie mit den Sexarbeiter*innen verbunden sei.
»Seit 1920 haben hier immer mehr schwule und lesbische Bars, Kneipen und Kulturstätten aufgemacht. Das hat viel damit zu tun, dass die Sexarbeitenden vorher hier waren. Deswegen würde ich mir manchmal stärkere Solidarität wünschen.« Stattdessen aber werde in der trans* Community nicht über Sexarbeit gesprochen und in der Community der Sexarbeiter*innen häufig transgeschlechtliche Perspektiven weggelassen, meint Caspar. »Obwohl es eine hohe Überschneidung gibt.«
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