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Mieses Zeugnis
Durch Homeschooling wächst laut Umfrage die Benachteiligung im Bildungssystem
Im Verlauf des ersten Schulhalbjahres im Jahr 2020 wurden die Schulen in Deutschland für mehrere Monate geschlossen. Welche gravierenden Auswirkungen das hat, zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte repräsentative Umfrage vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo-Institut).
»Es kam seltener zu Rückmeldungen von bearbeiteten Aufgabenblättern bei Nicht-Akademiker-Kindern«, sagte Larissa Zierow vom ifo-Institut am Mittwoch zur Vorstellung der Umfrage. 19 Prozent der Nicht-Akademiker-Kinder haben demnach nie Rückmeldung von den Lehrkräften zu ihren zu Hause bearbeiteten Schulaufgaben erhalten. Von den Kindern mit studierten Eltern erhielten demgegenüber nur zehn Prozent keine Rückmeldung.
Auch individuelle Gespräche mit den Lehrenden, etwa per Videoanruf, konnten 49 Prozent der Schüler*innen von Nicht-Akademikereltern nie wahrnehmen - über zehn Prozent mehr, als die Kinder aus Akademikerhaushalten. »Da hat was gefehlt«, betonte Zierow am Mittwoch die Bedeutung des Feedbacks von Lehrenden.
Die Befragung, die zwischen dem 3. und 31. Juli durchgeführt wurde, kommt außerdem zum Ergebnis, dass Kinder, die bereits vor der Corona-Pandemie leistungsschwächer waren, während der Homeschooling-phase besonders häufig das Lernen durch Medienkonsum ersetzt haben. Im Durchschnitt hat sich die Zeit aller Kinder für Computerspielen, Fernsehen und Handynutzung von vier auf über fünf Stunden am Tag erhöht. Der Anstieg von Aktivitäten wie Lesen, Musizieren oder Bewegung ist bei Akademikerkindern mit einer halben Stunde stärker ausgefallen als bei Kindern aus Nicht-Akademiker-Haushalten.
Insgesamt hat sich die tägliche Lernzeit während der Coronakrise von sieben auf dreieinhalb Stunden halbiert. Akademikerkinder haben durchschnittlich jedoch rund eine Viertelstunde mehr pro Tag mit Schulaufgaben verbracht. Einen weiteren Unterschied gibt es laut Umfrage auch bei der Bewertung des häuslichen Lernumfeldes. Eltern von lernschwächeren Schüler*innen schätzen dieses schlechter ein als Eltern von leistungsstärkeren.
Laut Ifo-Umfrage bewertet die Mehrheit der Bevölkerung die Schulschließung als richtige Maßnahme gegen die Corona-Ausbreitung. Aber für die Schulpolitik zugunsten der Kinder aus sozial schwachen Familien, vergibt die Mehrheit nur die Schulnote vier oder schlechter. Über die Hälfte der Befragten sind eher oder vollkommen dafür, dass alle Schüler*innen mit Laptops ausgestattet werden. Für Kinder, deren Familien sich keinen leisten können, sprechen sich sogar über 80 Prozent dafür aus.
Außerdem wollen jeweils zwischen 67 und 82 Prozent, dass benachteiligte Kinder durch die Lehrkräfte intensiver betreut werden. Dazu zählen demnach Kinder aus schwierigen Verhältnissen, von Alleinerziehenden, von Eltern mit geringerem Bildungsabschluss, von Eltern ohne Homeofficemöglichkeit sowie aus Familien mit Migrationshintergrund. Die letzte Gruppe wurde in der ifo-Umfrage darüber hinaus gar nicht berücksichtigt, zumindest dann nicht, wenn die Eltern nicht oder kaum Deutsch sprechen.
Ludger Wößmann vom ifo-Institut zieht die Schlussfolgerung, dass der Regelschulbetrieb nach den Sommerferien so weit und lange es geht, ermöglicht werden sollte. Bei Corona-Infektionen sollten nur einzelne Klassen statt ganze Schulen geschlossen werden. Wenn die Mehrzahl der Schulen jedoch nochmals geschlossen werden müssten, dürften Kinder nicht sich selbst überlassen werden. Mehr als die Hälfte der Schüler*innen hatten in der Krise seltener als einmal wöchentlich gemeinsamen Onlineunterricht. Bei der Digitalisierung liege Deutschland im internationalen Vergleich sehr weit hinten, so Wößmann. »Das ist uns jetzt auf die Füße gefallen.« Damit das Bildungsgefälle nicht noch weiter auseinanderklafft, braucht es zusätzliche Förderung. Aus der Analyse ergebe sich ein »klarer Auftrag an die Politik.«
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