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Fliegen in der Krise
Mit der Corona-Pandemie offenbaren sich die Probleme der Luftfahrtbranche schonungslos
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es. Doch das gilt nicht immer, jedenfalls nicht in vollem Umfang. Angenommen, der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) wäre 2011 doch fertig geworden: Für sein Passagieraufkommen würde dann eine Prognose des globalen Beratungsunternehmens Avia Solutions gelten. Danach hätte der BER jetzt im Jahr 2020 rund 30 Millionen Passagiere abzufertigen - und im Jahr 2030 rund 38 Millionen. Tatsächlich entwickelte sich der Luftverkehr von und nach Berlin rasanter. Dem einst für 2030 prognostizierten Aufkommen kamen die Airports der Hauptstadt schon 2019 nahe: Mehr als 35 Millionen Menschen flogen letztes Jahr von den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld ab oder kamen dort an. Das ist ziemlich genau auch die Menge an Passagieren, für die der BER am Ende gebaut ist. So bekam der neue Airport dank der Verzögerung zumindest bei der Kapazität eine Punktlandung hin.
Für die Zukunft sah sich die Berliner Flughafenholding in höhere Regionen entschweben. Mit einem »Masterplan BER 2040« sollten in den kommenden 20 Jahren schrittweise Kapazitäten für 55 Millionen Passagiere jährlich geschaffen werden. Die Corona-Pandemie ließ diese Pläne regelrecht abstürzen. Von Januar bis September dieses Jahres zählten die Berliner Airports nur noch knapp über acht Millionen Passagiere - 70 Prozent weniger als im Vorjahr. Im deutschen wie im weltweiten Schnitt gingen die Passagierzahlen um 60 bis 66 Prozent zurück.
Vom BBI-Desaster zum Hauptstadtairport BER
1990 Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau fordert nach der Wiedervereinigung, dass für einen zukunftsfähigen Großflughafen im Umkreis von 60 Kilometern um Berlin ein Standort gefunden wird.
Januar 1992 Beginn der Planungen für den Flughafen.
1996 »Konsensbeschluss« von Bund, Berlin und Brandenburg zum Bau eines Hauptstadtflughafens in Schönefeld. Fachleute hatten Sperenberg, 70 Kilometer südlich von Berlin, favorisiert.
5. September 2006 Erster Spatenstich für den Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI), die Bezeichnung wird später geändert. 30. Oktober 2011 wird als Eröffnungstermin festgelegt.
Juni 2010 Eröffnung wird nach Pleite einer Planungsfirma auf den 3. Juni 2012 verschoben.
8. Mai 2012 Eröffnung wird abgeblasen - wegen Problemen mit der Brandschutzanlage, wie es heißt. Der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) - neuer Name - soll nun am 17. März 2013 in Betrieb gehen.
7. September 2012 Eine Analyse des Technikchefs Horst Amann ergibt zahlreiche Mängel über den Brandschutz hinaus. Aufsichtsrat verschiebt Eröffnung auf den 27. Oktober 2013.
Januar 2013 Auch der 27. Oktober ist nicht zu halten. Amann führt inzwischen eine Liste mit Zehntausenden Baumängeln. Eröffnung wird auf unbestimmte Zeit verschoben.
12. Dezember 2014 Auf Vorschlag von Hartmut Mehdorn, inzwischen Flughafenchef, beschließt der Aufsichtsrat einen Zeitplan mit Ziel einer Eröffnung im 2. Halbjahr 2017. Die Baufertigstellung wird zum März 2016 anvisiert.
August 2015 Laut dem neuen Flughafenchef Karsten Mühlenfeld ist der Bau nicht bis März 2016 fertigzustellen. Grund sei die Insolvenz des Gebäudetechnikausrüsters Imtech.
März 2016 Der Flughafen muss umfangreiche Genehmigungsunterlagen an mehreren Stellen nachbessern, möglicherweise auch noch mehr umbauen. Das ergibt sich aus Nachforderungen des Bauordnungsamts.
Januar 2017 Mühlenfeld verschiebt die Eröffnung auf 2018. Auf der Baustelle gab es immer wieder neue Probleme, darunter mit der Steuerung der Sicherheitstüren und den Sprinklern.
Dezember 2017 Aufsichtsrat und Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, seit März im Amt, einigen sich auf BER-Inbetriebnahme im Oktober 2020, gefolgt von der Schließung Tegels. Das Terminal von Schönefeld (Alt) soll weiter genutzt werden.
November 2019 Inbetriebnahme soll am 31. Oktober 2020 erfolgen, Airport Tegel am 8. November schließen.
September 2020 Aufsichtsrat bestätigt Eröffnungstermin. Erweiterungsterminal T2 geht, obwohl fertig, wegen coronabedingt niedriger Fluggastzahlen erst im Frühjahr 2021 in Betrieb.
25. Oktober 2020 Schönefeld bleibt als »BER Terminal 5« für weitere zehn Jahre am Netz, tags darauf geht der Bahnhof unter dem Terminal 1 in Betrieb. tm/dpa
Die Pandemie traf die Flugbranche hart, legte aber - wie anderswo auch - nur die tiefer liegenden Probleme schneller und schärfer offen. Während sich die Autoindustrie schon mit dem Dieselskandal plagte, gelang es der Luftfahrt noch über lange Zeit, ihre Interessen als alternativlos darzustellen. Nicht nur über, sondern vor allem unter den Wolken sollte die Freiheit grenzenlos sein. Bis heute funktioniert das bestens. Die öffentliche Hand subventioniert Flugzeugentwicklung, Flughäfen, Flugbenzin und -tickets mit Milliarden. Allein bei Treibstoff und Tickets werden dem deutschen Flugverkehr jährlich mehr als zwölf Milliarden Euro erlassen.
Zugleich darf die Branche - als einzige neben der Schifffahrt - selbst bestimmen, wie viel CO2 sie einspart, wenn man überhaupt von Einsparen reden kann. Denn bisher haben sich die Luftfahrtunternehmen nur darauf verständigt, die direkten CO2-Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Niveaus von 2005 zu senken. Vor allem durch die umstrittene Kompensation mit Emissionszertifikaten will die Branche von jetzt an CO2-neutral wachsen.
Geflogen wird seit Jahren in einer »flug-freundlichen Welt«, beklagt auch das Umweltbundesamt in einer Veröffentlichung aus dem November 2019 mit dem schönen Titel »Wohin geht die Reise?«. Zu den Freundlichkeiten zählt das UBA: immer mehr Flughäfen, immer mehr Verbindungen, ein maßgeschneidertes Angebot von Hotel- und Freizeitinfrastruktur und vereinfachte Visabestimmungen - all das mache das Flugzeug zu einem »sehr attraktiven Verkehrsmittel«.
Attraktiv wird es auch dadurch, dass Politik und Allgemeinheit bis dato akzeptieren, dass die Airlines sich bei den Kosten für Beschäftigung und Umweltfolgen billig rechnen und Passagiere als bessere Verschiebemasse betrachten, um die Flugzeuge vollzubekommen. Geflogen wurde nicht mehr, um von A nach B zu kommen, sondern um die Bedürfnisse der Airlines und Airports zu erfüllen - und immer mehr Flugzeuge zu verkaufen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Geschäftsmodell an Grenzen stoßen musste. Weit vor der Corona-Pandemie, im Oktober 2018, stürzte eine Boeing 737 Max in Meer ab, nicht viel später eine weitere in Äthiopien. Als Gründe stellten sich später teils vermutlich kriminell vernachlässigte Sicherheitsvorkehrungen, Behördenversagen und schlichte Gewinngier heraus. Die Nummer 1 der Flugzeugbauer der Welt war zu einem Staat im Staate geworden.
Und Mitte Februar 2020 - die Pandemie war gerade dabei, den österreichischen Skiort Ischgl zu erreichen - beerdigte die Nummer 2 der Flugzeugbauer, der europäische Airbuskonzern, seinen Riesenflieger A 380. Der sollte eigentlich Passagiere zu den Megadrehkreuzen transportieren, von denen diese dann mit weiteren Flügen auf ihre eigentlichen Ziele verteilt werden. Dafür war der A 380 am Ende aber zu groß geraten.
Die Zeiten, in denen die Gesellschaft die Sonderstellung des Fliegens guthieß und dafür alles in Kauf nahm, gehen zu Ende. Dabei spielt der Klimaschutz eine zunehmende Rolle. Er könnte sogar die Art des Fliegens, wie wir sie uns heute noch ausmalen, vollends in Frage stellen. Der globale Luftverkehr trägt zwar nach aktueller Schätzung »nur« etwa 3,5 Prozent, also etwa so viel wie Japan, zur weltweiten Klimaerwärmung bei. Zwei Drittel dieser Klimawirkung beruhen aber darauf, dass die Flugzeuge über ihre Antriebe Partikel in die oberen Luftschichten einbringen - und das passiert unabhängig davon, ob fossiles oder in Zukunft »grünes« Kerosin verbrannt wird.
Die Brisanz ist allen noch nicht richtig bewusst geworden: Es reicht nicht, auf grüne Antriebe wie Wasserstoff umzusteigen, um klimaneutral zu werden. Effekte über den CO2-Ausstoß hinaus lassen sich nur begrenzt damit bekämpfen, dass man Bäume pflanzt oder anderweitig CO2 aus der Atmosphäre holt. Am Ende hilft eigentlich nur: wenig oder am besten gar nicht fliegen.
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