Transparenz statt Willkür

Diakonie stellt ein neues alternatives Modell für die Berechnung des Existenzminimums vor

»Die Methode der Regelbedarfsermittlung ist aus unserer Sicht unsauber«, erklärte Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland am Freitag auf einer Pressekonferenz. Ein Problem sei etwa, dass Haushalte, die selbst einen Anspruch auf Sozialleistungen haben und die selber unterhalb des Existenzminimus leben, Teil der Vergleichsgruppe sind, die für die Berechnung der Hartz-IV-Sätze herangezogen werden. An den Ausgaben der Vergleichsgruppe der unteren 15 Prozent der Einkommen werden darüber hinaus noch »willkürlich Streichungen von bis zu 180 Euro vorgenommen.« Gestrichen werden etwa Ausgaben für einen Weihnachtsbaum, für Haustierfutter oder für Malstifte.

Auch Ausgaben für seltene, aber teure Gegenstände wie für eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank werden nur mit Minipauschalen in die Regelsätze eingerechnet. »Diese Ansparweise von wenig Geld der Regelsätze ist völlig lebensfremd«, sagte Loheide. Eigentlich müssen die Regelsätze, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 2010 festgestellt hat, transparent und realitätsgerecht ermittelt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. »Trotz der vielen Mängel, die wir seit Jahren kritisieren, wurden die Regelsätze im November 2020 im Schnellverfahren im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet«, so Loheide. Beschlossen wurde, dass der Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen ab 2021 bei 446 Euro im Monat liegt.

Die Diakonie Deutschland fordert die Bundesregierung auf, die Berechnungsmethode für die Regelsätze grundlegend zu ändern. Dazu hat der Verband am Freitag ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept vorgelegt. Dieses sieht ab 2021 einen Hartz-IV-Satz von von 579 Euro für eine alleinstehende Person vor. Auch in Paargemeinschaften und für Kinder würden die Bezüge laut dem Rechenmodell der Diakonie höher als die von der Bundesregierung abgenickten Bezüge liegen. »Wesentliches Element des Reformvorschlags ist die Ermittlung einer unteren Haltelinie für das Existenzminimum, die nicht unterschritten werden darf«, sagte die Verteilungsforscherin Irene Becker, die das Diakonie-Modell ausgearbeitet hat.

Der Kern des Rechenmodells ist, dass Referenzausgaben für physische Grundbedarfe wie Nahrung und Kleidung nur um maximal 25 Prozent, die weiteren Ausgaben um nicht mehr als 40 Prozent hinter dem zurückbleiben dürfen, was die gesellschaftliche Mitte ausgibt. »Das neue Verfahren belässt einen politischen Entscheidungsspielraum, stellt aber auch sicher, dass der Abstand zwischen dem Existenzminimum und dem mittleren Lebensstandard nicht zu groß ist«, so Becker.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte im August diesen Jahres ebenfalls ein Alternativmodell zur Berechnung der Hartz-IV-Sätze vorgestellt, und geht dabei etwas weiter als die Diakonie. Der Paritätische fordert eine Anhebung des Regelsatzes für alleinlebende Erwachsene ab 2021 auf 644 Euro im Monat, noch einmal 65 Euro mehr, als aus dem Rechenmodell der Diakonie hervorgeht. Beide Modelle sehen vor, dass bestimmte Posten wie Kühlschrank und Waschmaschine, sowie Strom nicht mehr wie bisher im Regelsatz pauschaliert erfasst werden.

Loheide betonte auch, dass die Diakonie-Berechnung deutlich mache: »In der Sozialpolitik müssen wir offen darüber diskutieren, wie weit das Existenzminimum sich von dem entfernen darf und soll, was in der gesellschaftlichen Mitte normal ist.« An die Stelle willkürlicher Entscheidungen in Rechendetails gehöre eine klare und transparente Festlegung dieses Abstands.

Auf Grundlage des Diakonie-Modells könnte das Statistische Bundesamt die Auswertung der nächsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorbereiten. Die Diakonie schlug zudem vor, eine Sachverständigenkommission einzusetzen, die die Methodik der Regelsatzermittlung weiterentwickelt. »Wir müssen bereits jetzt Weichen für eine korrekte Berechnung im Jahr 2024 stellen. Es ist genug Zeit, Expertise aus Wissenschaft und Verbänden zu nutzen, damit methodische Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden«, so Loheide. »Wir würden uns wünschen, dass darüber eine offene, transparente, ehrliche politische Debatte geführt wird.« Eine gesetzestechnische Umsetzung sieht sie aktuell noch nicht.

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