Seehofers Anti-Migrationspolitik tötet

Seit 2018 will der Innenminister Einwanderung »reduzieren« - und greift zu rechtlich fragwürdigen Mitteln

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonntag kritisierte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Coronapolitik der Ministerpräsident*innen und machte sie indirekt für die hohe Zahl der Neuinfektionen und der Toten in Deutschland mitverantwortlich. Doch wie steht es um seine eigene Verantwortung für Menschenleben? Seit er 2018 zum Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat ernannt wurde, sind mindestens 4441 Menschen im Mittelmeer gestorben. Ab dem 1. Januar 2021 will Seehofer auch für Syrien »jeden einzelnen Fall genau prüfen und versuchen, eine Abschiebung zu ermöglichen« - eine Erweiterung seiner Praxis, Menschen absichtsvoll in Kriegsgebiete ausfliegen zu lassen.

Längst ist es Seehofer nicht mehr genug, eine »Obergrenze« für Schutzsuchende festzulegen, wie er es 2016 forderte. Obwohl Asyl ein Menschenrecht ist, das nicht nach oben begrenzt sein kann, hat er sein damaliges Ziel, höchstens 200 000 Asylsuchende jährlich in Deutschland aufzunehmen, de facto erreicht. Im Jahr 2020 stellten hierzulande nur noch 108 884 Menschen einen Antrag auf Asyl, etwas mehr, als in der nordrhein-westfälischen Stadt Moers leben. 2016 waren es 745 545 Menschen.

Es wäre also ohne weiteres möglich, und sogar im Rahmen des (zumindest damals) laut Seehofer »Verkraftbaren«, mindestens 91 116 Menschen zusätzlich nach Deutschland einfliegen zu lassen. Menschen warten im kalten, schlammigen und unhygienischen Lager Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos, im libanesischen Minja oder im bosnischen Lipa, wo während der Feiertage jeweils ein Flüchtlingslager abbrannte. Stattdessen blockiert der Bundesinnenminister seit Monaten aufnahmewillige Städte und Bundesländer und verpflichtet sie dazu, die Menschen auf Lesbos darben zu lassen.

Zwei Jahre ist es her, dass Seehofer die »Migrationsfrage« als »Mutter aller politischen Probleme in diesem Land« bezeichnete und sich darüber freute, dass zu seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben wurden. Heute sind seine Auslassungen zu dem Thema zwar verhaltener geworden, seine Politik aber umso radikaler. In Bezug auf das Datenaustauschgesetz sagte er einmal, es sei »stillschweigend« eingebracht worden. »Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges. Aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig in Frage gestellt«, sagte er der ARD. Stillschweigend würde er wohl gern auch die Anti-Migrations-Maßnahmen von ihm und seinen europäischen Kolleg*innen durchsetzen.

Doch diese stehen auf einer zweifelhaften rechtlichen Basis. Und sie zeigen, dass es nicht mehr darum geht, Asyl zu regulieren, sondern darum, es abzuschaffen. »Die Entrechtung von Flüchtlingen und Migranten auch innerhalb Europas ist in den letzten Jahren zum Normalzustand geworden«, sagte Ramona Lenz, Referentin für Flucht und Migration der Menschenrechtsorganisation medico Anfang Dezember.

Dazu hat Seehofer nicht unwesentlich beigetragen. Er und die anderen europäischen Innenminister haben es quasi unmöglich gemacht, dass Menschen das Recht auf Asyl in den jeweiligen Ländern geltend machen können; Schutzsuchende werden an den EU-Außengrenzen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Camps festgehalten. Seit März 2020 beobachten zivilgesellschaftliche Organisationen und Pressevertreter*innen vermehrt Pushbacks durch die griechische Küstenwache. Dabei werden Flüchtlinge zunächst gerettet und dann illegal auf dem Meer ausgesetzt und in türkische Gewässer gezogen. Eine »Spiegel«-Recherche legte offen, dass Beamte der Bundespolizei von zumindest einer dieser illegalen Aktionen wussten. Weder die Behörde noch der Innenminister hat sich zu den Vorwürfen geäußert, dass sie Menschenrechtsverletzungen in Griechenland deckten. Zudem versuchte Seehofer im Frühjahr, wie am Donnerstag durch die Rechercheplattform »Frag den Staat« öffentlich wurde, die zivile Seenotrettung zu blockieren. In einem Brief an Verkehrsminister Andreas Scheuer forderte er diesen im Mai auf, die Anforderungen an Rettungsboote zu erhöhen. Dies könnte die Schiffe am Auslaufen hindern. In Seehofers Brief heißt es weiter, die Seenotretter würden die Beziehungen der Bundesregierung zu Partnern an den europäischen Außengrenzen belasten. Scheuer antwortete, die Seenotrettung habe nach internationalem Recht im Zweifel Vorrang vor sicherheits- und umweltrechtlichen Anforderungen.

Dass Seehofer nun Menschen nach Syrien ausfliegen lassen will, wo ihnen Folter und Tod drohen, ist vermutlich völkerrechtswidrig. Und doch eine logische Konsequenz der Anti-Migrationspolitik eines Innenministers, der Einwanderung um jeden Preis verhindern will - auch wenn durch seine Politik regelmäßig Menschen sterben.

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