Werbung

Bäuerinnen tragen die Streikfront

Frauen sind weniger sichtbar, dabei bilden sie das Rückgrat der Proteste gegen die Agrarreform in Indien

  • Chandrika Yogarajah
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie trotzen der Covid-19-Pandemie mit bisher 149 000 Toten in Indien genauso wie der klirrenden Winterkälte: Seit fast 40 Tagen blockieren indische Bauern und Bäuerinnen die wichtigsten Zufahrtsstraßen nach Delhi, die die Hauptstadt mit dem Norden des Landes verbinden, um für eine Rücknahme von drei Landwirtschaftsgesetzen zu kämpfen, die die hindunationalistische Regierung im September verabschiedet hatte. Sie fürchten, dass die Agrarreform vor allem große, multinationale Konzerne begünstigen und die Farmer*innen unter das Existenzminimum treiben. Seit Ende November campieren Bauern und Bäuerinnen deshalb in den Außenbezirken Tikri und Singhu von Delhi, wo sie mit Lastwagen, Anhängern und Traktoren die Straßen versperren. Sie haben angekündigt, sich nicht von der Stelle rühren zu wollen, bis ihre Forderung nach Rücknahme der neuen Agrargesetze erfüllt ist.

Erst am Montag ist eine sechste Gesprächsrunde zwischen Führer*innen der Bauerngewerkschaften und Regierungsvertreter*innen ohne Einigung abgebrochen worden. Indiens regierende Bharatiya Janata Partei (BJP) nennt die Protestierenden mittlerweile »Antinationalisten« und einige sogar »Terroristen«. Seit Beginn der Proteste werden Tränengas und Wasserwerfer gegen die friedlichen Demonstrant*innen eingesetzt.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Während es vor allem Männer sind, die sichtbar in Erscheinung treten, hat sich auch eine große solidarische Gruppe von Bäuerinnen, Hausfrauen, Großmüttern, Studentinnen, Lehrerinnen bis hin zu Krankenschwestern formiert, die an vorderster Front stehen und das Rückgrat der Proteste bilden. Allein in Delhis Außenbezirk Tikri sind es mehr als 2000 Frauen, die dort campieren und den Protest tragen. Doch nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in anderen Städten oder in Dörfern bekunden Frauen, ob jung oder alt, ihre Solidarität und kämpfen mit. Sie übernehmen dabei wichtige Aufgaben, ohne die ein anhaltender Protest nicht möglich wäre: In den Camps vor Delhi versorgen Gruppen von Freiwilligen Tausende von Demonstrant*innen mit Essen und Wasser und richten ihnen Betten zum Schlafen. Die Herausforderung, hygienische Sanitäranlagen bereitzustellen, ist hoch, eine Nichtregierungsorganisation hat mittlerweile mobile Toiletten aus recyceltem Material installiert. Bisher hat es bei den Protesten laut Angaben der Polizei mindestens 25 Todesfälle gegeben, durch Herzstillstand, Unterkühlung oder Verkehrsunfälle, die aufgrund der schlechten Bedingungen verursacht wurden.

So manche Protestierende schafft es auch zu indienweiter Bekanntheit. So machte etwa die 80-jährige Mohinder Kaur aus dem nordindischen Bundesstaat Punjab Schlagzeilen in der indischen Presse, nachdem ein Foto von ihr auf Twitter veröffentlicht wurde. Sie sagt: »Ich bin nach Delhi gegangen, um am Protest teilzunehmen und um mein Land zu retten, das die Unionsregierung an die großen Konzerne geben will.«

Wie wichtig Frauen bei den Protesten gegen die Agrarreform sind, ist auch den Gewerkschaften bewusst. Shingara Singh Mann, Landessekretärin der BKU Ekta Urgrahan, eine der prominentesten Bauerngewerkschaften, wird in »The Tribune« zitiert: »Wir haben immer geglaubt, dass Frauen der gleiche Respekt und die gleichen Chancen gegeben werden sollten, da sie in jedem Aspekt nicht weniger sind als Männer. Deswegen hat unsere Gewerkschaft Frauen in großer Zahl mobilisiert, an diesem Protest teilzunehmen.«

Indische Bäuerinnen erfüllen die Doppelrolle von Hausfrau und Arbeiterin; sie arbeiten am meisten auf den Farmen und doch bilden sie die »unsichtbare Arbeitskraft«. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Oxfam India sind 75 Prozent aller in Indien als Farmer*innen in Vollzeit arbeitenden Personen Frauen. Diese Zahl könnte in der Zukunft weiter ansteigen, da Männer als Wanderarbeiter in die Städte ziehen, um dort Arbeit zu finden. Gleichzeitig liegt der Anteil von Frauen, die tatsächlich auch das Land besitzen, das sie bewirtschaften, bei weniger als 13 Prozent. Bäuerinnen sind so von der Agrarreform am stärksten betroffen. Durch die Teilnahme an den Protesten kämpfen sie auch für Gleichberechtigung und gegen ihre prekäre Situation. Allein im Jahr 2019 haben 10 000 indische Farmer*innen Selbstmord begangen.

Kavitha Kuruganti von Mahila Kisan Adhikaar Manch, einer Organisation, die sich für Frauen in der Landwirtschaft in Indien einsetzt, sagte zu »Al-Dschasira«, dass Bäuerinnen ohne eigenes Land nicht als solche anerkannt werden - trotz ihres großen Beitrags zum Landwirtschaftssektor. Diese Marginalisierung führt dazu, dass sie unter den neuen Gesetzen besonders anfällig für die Ausbeutung durch Großkonzerne sind. Die Agrarreform wird die Kluft zwischen den Geschlechtern vergrößern.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.