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Jobcenter zahlt zu wenig für die Miete
Sozialhilfeempfänger haben gegen zu niedrige Übernahme der Mietkosten geklagt und Recht bekommen
Wer Hartz IV bezieht, hat neben dem Regelsatz auch einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung. Allerdings nur in einer »angemessenen« Höhe. Was das genau bedeutet, ist gesetzlich nicht klar definiert und richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten. So sollen die regional unterschiedlich hohen Durchschnittspreise pro Quadratmeter berücksichtigt werden. Eine »angemessene« Wohnungsgröße für einen Alleinlebenden liegt in der Regel vor, wenn die Wohnung nicht größer als 45 bis 50 Quadratmeter ist. Die örtlichen Mietpreise pro Quadratmeter werden jedoch nicht immer realitätsnah festgesetzt. Das macht ein Urteil des hessischen Sozialgerichts deutlich.
Eine Frau aus Eschwege hatte 2016 geklagt, weil sie die vom Jobcenter Werra-Meißner im Regierungsbezirk Kassel angesetzten Leistungen für die Miethöhe nicht anerkannt hatte. Die 55-Jährige muss monatlich rund 375 Euro für ihre Miete zahlen, das Jobcenter hatte ihr jedoch nur monatliche Wohnkosten in Höhe von 274 Euro gezahlt. Mehr sei nicht »angemessen«. Die Differenz musste sie von ihrem Hartz-IV-Regelsatz zahlen. Grundlage für die Entscheidung des Jobcenters war ein Gutachten der Firma »Analyse und Konzepte« aus Hamburg, die auf ihrer Homepage ihre »Beratung für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft von morgen« anpreist.
Der Werra-Meißner-Kreis hatte das Gutachten als Grundlage für die Kürzung der Unterkunftskosten in den Sozialleistungen genommen. Die Wohnungsmarkterhebung von »Analyse und Konzepte« ist jedoch nicht rechtmäßig. Zu diesem Schluss kam das das Sozialgericht Kassel bereits im Jahr 2018 und verurteilte das betroffene Jobcenter dazu, der Klägerin höhere Leistungen zu bewilligen. Jedoch ging das Jobcenter damals gegen das Urteil in Berufung. Ende 2020 hatte auch die Zweite Kammer des Sozialgerichts Kassel in gleich drei Urteilen entschieden, dass die Wohnungsmarkterhebung auch nach einer »Nachbesserung« aus dem Jahr 2019 weiterhin unschlüssig und damit nicht anwendbar sei.
Jetzt hat das Jobcenter Werra-Meißner die Berufung vor dem Hessischen Landessozialgericht zurückgenommen. Rechtsanwalt Sven Adam, der die Klägerin vertreten hatte, geht davon aus, dass das Jobcenter damit eine negative Entscheidung des hessischen Landessozialgerichts verhindern wollte. »Es ist nun zu erwarten, dass das Jobcenter in allen insoweit noch offenen Verfahren ebenfalls aufgeben und erhebliche und verzinste Nachzahlungen leisten wird«, erläutert Adam in einer Pressemitteilung von vergangenem Freitag. Auch Peter Menges ist der Meinung, dass das Urteil für viele weitere Sozialhilfeempfänger eine große finanzielle Entlastung bedeuten wird. Menges ist stellvertretender Vorsitzender der Erwerbsloseninitiative Owei aus Witzenhausen, ebenfalls im hessischen Werra-Meißner-Kreis. Auch er selbst ist von den zu niedrig gezahlten Mietkosten betroffen. Schon 2015 hatte er gemeinsam mit 26 weiteren Betroffenen vor Gericht geklagt, weil das Jobcenter nicht die vollen Sätze für die Mietkosten gezahlt hat. »Die haben sich nicht an den örtlichen Mietspiegel gehalten, sondern durch das Gutachten von ›Analyse und Konzepte‹ einfach die Quadratmeterpreise geschätzt«, erklärt er gegenüber »nd.DerTag«.
Seit 2015 muss Menges 150 Euro aus seinem Regelsatz für seine Miete abzwacken. 2019 lag der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende bei 424 Euro im Monat. Ihm blieben also nur rund 274 Euro zum Leben. Dabei liegt der Hartz-IV-Regelsatz sowieso schon unterhalb der Armutsgrenze. »Eigentlich muss ich sogar noch mehr Miete zahlen, Witzenhausen ist eine Studentenstadt, die Mietpreise sind enorm«, so Menges. Auch eine kleinere Wohnung zu finden, sei unmöglich. Da er den Vermieter persönlich kenne, wäre seine Miete mit 450 Euro schon außergewöhnlich günstig. Doch selbst das wollte das Jobcenter nicht zahlen.
Anfangs ist er, um zu überleben, zur Tafel gegangen, später sei er nur mit Hilfe von Bekannten über die Runden gekommen. »Ich bin dann nicht mehr zur Tafel gegangen, weil ich das politisch nicht unterstützen wollte«, erklärt Menges, der auch im Ortsverband der Linken aktiv ist. Wegen des Urteils vom Sozialgericht Hessen erwartet er, demnächst rund 6000 Euro für nicht bewilligte Mietkosten vom Jobcenter zurückzubekommen. Gemeinsam mit Mitstreitern setzt er sich jetzt dafür ein, dass auch diejenigen die Wohnkosten vom Werra-Meißner-Kreis zurückgezahlt bekommen, die nicht geklagt haben.
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