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Der Praxisschock im Pflegeheim

Sozialausschuss des Landtags befasst sich mit den Nachwuchsproblemen im Gesundheitswesen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Einen bettlägerigen Menschen füttern und waschen, ihm die Windel wechseln. Wohlgemerkt, das ist mit der Pflege eines Babys nicht zu vergleichen. Anfangs sind diese Tätigkeiten in der Alten- und Krankenpflege gewöhnungsbedürftig, um es ganz vorsichtig auszudrücken. Manch einer gewöhnt sich nicht daran, sondern gibt auf. In Deutschland werfen etwa 30 Prozent der Auszubildenden in den Pflegeberufen das Handtuch. In Brandenburg sind es 15,4 Prozent, versichert Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Aber von den Pflegeschulen selbst ist zu hören, es seien viel mehr.

An der Schule für Gesundheits- und Pflegeberufe in Eisenhüttenstadt betrage die Abbrecherquote 30 bis 40 Prozent, erzählt Geschäftsführerin Jacqueline Böttcher am Mittwoch bei einer Anhörung durch den Sozialausschuss des Landtags. Das heiße, so erläutert sie, dass von 100 Schülern nur 65 bis zur Prüfung bleiben – und nicht alle bestehen.

Der größte Teil gibt bereits im ersten Lehrjahr auf. Experten sprechen vom »Praxisschock«, berichtet Jens Reinwardt, Geschäftsführender Vorstand der Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg, die 14 Pflegeschulen betreibt. Die jungen Leute werden in Deutschland bereits nach zehn Wochen theoretischer Ausbildung erstmals in die Praxis geschickt, während es im europäischen Vergleich ein halbes Jahr dauert. »Das führt offensichtlich zu einer fachlichen und emotionalen Überlastung«, sagt Reinwardt. Zumal angesichts des Fachkräftemangels die Zeit fehlt, die Azubis in den Kliniken und Pflegeheimen gut zu betreuen. Sie müssen gleich ordentlich mit zupacken. Ratsam wäre es, die Auszubildenden länger auf den ersten Einsatz in der rauen Wirklichkeit vorzubereiten. Vermeiden lässt sich der Schock wohl dennoch nicht. »Diesen sogenannten Praxisschock hast du in fast allen Ländern«, weiß Reinwardt. Von den Krankenhäusern, für die seine Akademie Personal ausbildet, hört er, die Belastung für die Minderjährigen in der Ausbildung sei zu hoch.

Bedauerlich, ja dramatisch ist die Abbrecherquote, weil doch Pflegekräfte jetzt schon händeringend gesucht und in Zukunft noch viel mehr gebraucht werden. 55 200 von ihnen werde man im Jahr 2030 in Berlin und Brandenburg benötigen, sagt Reinwardt.
Jacqueline Böttcher von der Pflegeschule in Eisenhüttenstadt bringt das Beispiel der Pharmazeutisch-Technischen Assistenten, die in Brandenburg nur bei ihr in Eisenhüttenstadt ausgebildet werden. 72 Stellen für solche Assistenten seien im Bundesland im Moment frei, aber im April seien nur 15 Schüler fertig geworden. Bei anderen Gesundheitsberufen sei es ähnlich. Die aktuellen Zahlen seien »beängstigend«. Und dabei sei zu berücksichtigen, dass viele Heime und Pflegedienste offene Stellen den Arbeitsagenturen schon gar nicht mehr melden.

Wie mit dem Fachkräftemangel umgegangen werde, das grenze teilweise an illegales Verhalten, so Böttcher. Da würden Stellen von medizinischen Laboranten mit Chemielaboranten besetzt oder die noch übrigen Kollegen sollen alles ohne Hilfe schaffen, was einfach nicht möglich ist. Es komme auch immer wieder dazu, dass Krankenhäuser Stationen schließen, weil Personal fehlt.

In der Anhörung sollen die Experten den Politikern Lösungsvorschläge machen. Böttcher hat ein paar. Dazu gehört, dass die Pharmazeutisch-Technischen Assistenten während ihrer Ausbildung eine Vergütung bekommen sollten, was bisher nicht der Fall ist. »Sonst stirbt der Beruf aus«, warnt Böttcher. In anderen Gesundheitsberufen gibt es 1000 Euro im Monat.

Ein weiteres finanzielles Thema spricht Gregor Weiß von der Strausberger Sozialwissenschaftlichen Fortbildungsgesellschaft mbH an. Für sechs Azubis müsse eine Klinik 150.000 Euro vorstrecken und bekomme das Geld erst später über die Krankenhausfinanzierung wieder herein. Das sei ein Batzen Geld, der erst einmal aufgetrieben werden müsse, jetzt in den schwierigen Zeiten nach der Coronakrise. Mit Delia Klages kommt in der Anhörung auch eine Krankenschwester zu Wort. 30 Jahre Berufserfahrung hat sie – und in dieser ganzen Zeit sei über den Fachkräftemangel gesprochen worden, erinnert Klages. »Alle waren informiert. Aber niemand war in der Lage, das zu regeln.« Die Bezahlung sei schlecht, die Arbeitsbedingungen seien katastrophal, werde immer gesagt. Mal ehrlich: Wer würde sich für einen Pflegeberuf entscheiden, wenn er das hört? Das möchte die Krankenschwester von den Landtagsabgeordneten wissen.

Die Altenpflege müsste ein anderes Image haben, meint Efrun Makowski, Fachbereichsleiterin beim Regionalverband Brandenburg Süd der Arbeiterwohlfahrt. Oft sagten junge Leute beim Bewerbungsgespräch, sie dürften es ihren Eltern oder Schulkameraden nicht erzählen, dass sie hier sind, denn diese würden ihnen abraten, in die Pflege zu gehen. Wenn es nicht gelinge, der Altenpflege ein modernes Image zu geben, werde es »immer, immer schwerer, für diesen Beruf Nachwuchs zu finden«, glaubt Makowski.

Teilweise werden die Lücken im Gesundheitswesen durch Kollegen aus dem Ausland gestopft. Ohne polnische Krankenschwestern ginge es in Brandenburg schon lange nicht mehr. Personal aus dem Ausland nach Brandenburg zu holen, ist jedoch gar nicht so einfach. Über Wartezeiten von sieben bis acht Monaten bis zur Genehmigung beklagt sich im Ausschuss Sören Heinz. Seine Heinz Personnel Solutions GmbH hat sich darauf spezialisiert, philippinische Pflegekräfte nach Berlin und Brandenburg zu vermitteln. Obwohl der Pflegenotstand allseits bekannt ist, findet noch immer eine Vorrangprüfung durch die Arbeitsagentur statt. Das heißt, es wird erst einmal geschaut, ob sich nicht im Inland eine Arbeitskraft für den Job finden lässt. Wenn das sieben, acht oder sogar neun Monate dauert, dann haben die Philippinos oft schon wieder vergessen, was sie vorher im Deutschkurs gelernt haben, so sagt Heinz. Er erlebe das immer wieder. Vor Ort kann er sich mit den Bewerbern gut unterhalten, acht Monate später sind die Sprachkenntnisse dann mangelhaft, weil die Leute in ihrer Heimat in der Zwischenzeit keine Gelegenheit hatten, Deutsch zu sprechen.

»Sie sind fachlich qualifiziert. Das Problem ist die Sprache«, versichert Heinz. Die Ausbildung von Krankenschwestern ist auf den Philippinen besser als in der Bundesrepublik. Aber es ist auch nicht mehr so, »dass die Menschen Schlange stehen, um nach Deutschland zu kommen«, erklärt der Personalvermittler. »Andere Länder suchen auch.« Nach der Abwahl von US-Präsident Donald Trump sei Amerika wieder offen für ausländische Fachkräfte.

In Brandenburg werden die Philippinos außerhalb des Berliner Speckgürtels nicht so schnell warm. »Ein Ausländer ist da noch ein bisschen etwas Komisches«, bedauert Heinz. »Die Leute wundern sich, wenn da ein Asiate rumläuft.« Aus Bad Saarow hört Heinz als Rückmeldung nach der Ankunft: »Die Menschen sind freundlich, aber es ist fremd.«

»Wir müssen in Brandenburg unsere Hausaufgaben machen«, lernt der Landtagsabgeordnete Ronny Kretschmer (Linke) aus der Anhörung. Zum Beispiel bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Es könne nicht sein, dass es dafür im zuständigen Landesamt nur eine Stelle gebe, die damit heillos überfordert sei, so Kretschmer.

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