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Workers for Future

Zehntausende Industriebeschäftigte demonstrieren für Klimaschutz und Jobsicherheit

Um halb fünf in der Früh ging es in Chemnitz los, erzählt Ariane Grund, damit sie und ihre Kolleg*innen pünktlich um acht Uhr am Freitag im Berliner Regierungsviertel für ihre Sache einstehen konnten. Ariane Grund ist IG-Metall-Vertrauensfrau im VW-Motorenwerk Chemnitz. »Die Kollegen haben natürlich Angst um die Zukunft ihres Werkes, weil wir noch immer Verbrennermotoren bauen«, sagt sie. »Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht.« Dabei sei man im Werk im benachbarten Zwickau bereits weiter. Dort habe VW seit einiger Zeit auf Elektromotoren umgestellt.

Grund und ihre Kolleg*innen sind dem Aufruf der IG Metall gefolgt, um für einen »fairen, sozial-ökologischen Wandel der Industrie« zu demonstrieren: Der Umbau in klimaneutrale Fabriken soll nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen. »Keine Entlassungen in der Transformation« lautet eine zentrale Forderung der Gewerkschaft. Rund 1000 Menschen sind nach Berlin zu der Kundgebung zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Paul-Löbe-Haus am Ufer der Spree gekommen. Bundesweit haben laut IG Metall mehr als 50 000 Menschen in über 50 Städten an Protestaktionen teilgenommen. An Kundgebungen der kleineren Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie beteiligten sich Tausende Beschäftigte. Auch hier ging es darum, die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion »fair« zu gestalten.

»Jeder Arbeitsplatz auf dem Prüfstand«

»Plötzlich steht jeder Arbeitsplatz auf dem Prüfstand«, sagt der Vertrauensmann Patric Succo vom Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde, dem ältesten produzierenden Standort des Autokonzerns. Die Transformation sei für ihn und seine Kolleg*innen nicht nur ein Wort. Es gehe um Existenzen. »Wir reden hier von Menschen und nicht von irgendwelchen Kostenfaktoren«, sagt er am Rande der Kundgebung im Berliner Regierungsviertel.

Der Strukturwandel werde dazu führen, dass in vielen Betrieben »kein Stein auf dem anderen« bleibt, prophezeit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bei einem Pressebriefing vor dem Aktionstag. Politik und Unternehmen könnten viel tun, damit Menschen nicht um ihre Arbeitsplätze und damit ihr Einkommen bangen müssten.

Wenn es künftig keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr gibt, hätten beispielsweise Zehntausende Ingenieure keine Perspektive mehr. Ähnliches gilt für Beschäftigte mit anderen Fertigkeiten. Darum verlangt die IG Metall unter anderem, Menschen eine zweite Berufsausbildung oder einen zweiten Hochschulabschluss zu ermöglichen. Das von der FDP vorgeschlagene »Midlife-Bafög« sei zu niedrig. Wer eine neue Ausbildung machen müsse, sollte Unterstützung in Höhe des Arbeitslosengelds 1 erhalten. Die IG Metall könnte sich in Tarifrunden dafür einsetzen, dass Unternehmen diese öffentliche Förderung aufstocken. Für tarifpolitische Forderungen kann die Gewerkschaft streiken und damit ihr stärkstes Machtmittel einsetzen.

IG Metall für Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs

»Die IG Metall fordert zurecht ein, dass die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen darf. Dazu braucht es einen besseren Schutz vor Kündigungen und eine stärkere Mitbestimmung insbesondere bei wirtschaftlichen Fragen«, sagt der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion, Pascal Meiser, dem »nd«.

Mit den Protestaktionen will die IG Metall auch und gerade Druck auf SPD, Grüne und FDP machen, die derzeit Koalitionsverhandlungen führen. Die Gewerkschaft plädiert für öffentliche Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Verwendet werden sollen die Mittel etwa für Stromnetze, Ladesäulen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Bei SPD und Grünen kann die Gewerkschaft dafür in einer möglichen Ampel-Koalition Fürsprecher haben. Beide Parteien waren mit ähnlichen Forderungen in den Bundestagswahlkampf gegangen. »Ihr könnt Euch auf Olaf Scholz und die SPD verlassen«, ruft der noch geschäftsführende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Gewerkschafter*innen in Berlin zu. »Wir brauchen Investitionen«, pflichtet Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bei.

»Kein staatliches Geld für Unternehmen, die Standorte schließen«

Öffentliche Mittel bräuchten auch kleine und mittlere Unternehmen und Zulieferer in der Autoindustrie, um in neue Geschäftsmodelle investieren und Beschäftigte weiterbilden zu können, so die Gewerkschaft. Dabei müsse sichergestellt werden, dass staatliches Geld nicht in Unternehmen gesteckt wird, die Standorte schließen oder verlagern wollen oder die Tarifverträge ablehnen.

Der IG-Metall-Chef sieht die Gefahr, dass Firmen den Umbau nutzen, um neue Produktionsanlagen in sogenannten Best-Cost-Countries aufzubauen, also in Länder mit niedrigem Lohnniveau. Als Beispiel nennt Hofmann den Konzern ZF, der in Serbien ein Werk für Elektroantriebe errichtet hat.

Um die Investitionen für einen sozialen Klimaschutz zu finanzieren, hat die Gewerkschaft in einem Positionspapier vom Sommer für eine Abschaffung der Schuldenbremse, einen höheren Spitzensteuersatz und die Besteuerung hoher Vermögen plädiert. Wenn die Schuldenbremse bleibt, was insbesondere die FDP will und wahrscheinlich ist, müsse man ausloten, was innerhalb dieser Vorgabe möglich ist, so Hofmann. Ökonomen haben hierzu bereits Vorschläge vorgelegt, nach denen trotz Schuldenbremse erhebliche Investitionen möglich sind.

Für Gewerkschafter*innen wie Succo ist indes wichtig, dass die Kosten gerecht verteilt werden. »Diese Transformation können wir nicht alleine stemmen«, sagt der Vertrauensmann aus Berlin.

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