- Politik
- Migranten in Libyen
»Libyen ist kein sicheres Land für Asyl«
Caroline Gluck vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht über die Situation der Migranten in Libyen
Wie ist die Lage für Flüchtlinge und Migranten in Libyen aus ihrer Sicht zur Zeit ?
Caroline Gluck ist für die Außenbeziehungen und Kommunikation des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Libyen verantwortlich. Das UNHCR ist eine weltweite Organisation mit dem Mandat, Flüchtlinge, Asylbewerber, Vertriebene, Rückkehrer und Staatenlose zu schützen und zu unterstützen, so auch in Libyen.
Ihre Schwesterorganisationen Internationale Organisation für Migration (IOM) kümmert sich um Menschen, die aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nach Libyen gekommen sind. Während des Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi im Frühjahr 2011 und des 18-monatigen Kriegs um die Hauptstadt Tripoli kümmerte sich das UNHCR auch um libysche Vertriebene. Der UN zufolge beträgt die Zahl der registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber in Libyen 42.024 (Stand: 1.2.2022), die der intern Vertriebenen 179.047 (Stand: 30.11.2021).
Libyen ist weder ein sicheres Land für Asyl noch ein sicherer Ort. Das Land hat weder die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Protokoll von 1967 unterzeichnet. Libysche Behörden betrachten Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten ohne offizielle Papiere als illegale Einwanderer. Sie werden verhaftet und inhaftiert ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens. Das tägliche Leben war für diese Gruppe schon immer sehr schwierig. Nach dem 1. Oktober vergangenen Jahres verschlechterte sich die Lage in Tripolis jedoch massiv. Bei mehreren gewaltsamen Aktionen der libyschen Sicherheitskräfte wurden mehr als 4000 Personen in Gewahrsam genommen wurden. Mehrere Tausend wurden obdachlos, da ihre Behelfsunterkünfte zerstört wurden und sie ihr Hab und Gut zurück lassen mussten.
Für die Sicherheit aller Personen in Libyen sind die libyschen Behörden verantwortlich. Sie sind verpflichtet, die Menschenrechte und die Würde aller Personen in ihrem Hoheitsgebiet, einschließlich der Migranten und Asylbewerber, zu achten. Wir fordern die libyschen Behörden weiterhin dazu auf, die willkürlich Inhaftierten freizulassen und die am stärksten gefährdeten Personen, insbesondere Frauen und Kinder, sowie Personen mit gesundheitlichen Problemen, die unter schwierigen und überfüllten Bedingungen festgehalten werden, unverzüglich freizulassen.
Wo leben die Menschen seit der Stürmung ihrer Unterkünfte in Gargaresch, Ain Zara und den anderen Stadtteilen in Tripolis?
Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, befinden sich immer noch in überfüllten Gefängnissen. Andere leben in prekären Verhältnissen in den Städten, nachdem sie ihre Häuser und all ihren Besitz verloren haben. Das UNHCR und seine Partner haben Tausende von bedürftigen Menschen mit Bargeld, Lebensmittelpaketen und anderen Hilfsgütern, medizinischer Hilfe und ärztlichen Überweisungen versorgt. UNHCR-Mitarbeiter haben auch UNHCR-Dokumente ersetzt oder neu ausgestellt, die während der Sicherheitsoperationen verloren gegangen oder zerstört worden waren.
Was ist die Aufgabe des UNHCR in Libyen, wie sieht ihr Alltag in Tripolis aus?
Die Bedürfnisse der Flüchtlinge und Asylsuchenden sind enorm und die UNHCR-Teams versuchen auf die sehr schwierigen operativen und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen immer wieder schnell zu reagieren. Das UNHCR hat allerdings kein Gastlandabkommen mit Libyen, was unsere Arbeit und die Genehmigung unserer Operationen ebenso erschwert wie die Möglichkeit für internationale Mitarbeiter, ein Visum für die Arbeit in Libyen zu erhalten.
Nach der Bombardierung mehrerer Unterkünfte der Migranten während des Krieges um Tripolis versorgten sie die Menschen über Verteilungszentren in Tripolis. Sind diese sogenannten Community Day Centres (CDC) nun alle geschlossen?
Das CDC, das von unseren Partnern als zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge und Asylsuchende betrieben wird, wurde Ende des Jahres geschlossen. Es kam immer wieder zu Sicherheitsvorfällen, als einzelne Personen vor dem Gebäude kampierten und so verhinderten, dass Menschen mit vereinbarten Terminen dort Hilfe bekamen. Das UNHCR und seine Partner setzten jedoch die Verteilung von Hilfsgütern an anderen Orten in Tripolis fort. Das UNHCR-Hauptbüro, wo wir Registrierungsaktivitäten durchführen, bleibt geöffnet.
Nach dem Milizen-Angriff auf die Menschen, die rund um das CDC kampierten, wurde es also geschlossen. Die Migranten und Flüchtlinge beschweren sich, dass bei der Vertreibung kaum UNHCR-Mitarbeiter vor Ort waren. Was war der Grund für die passive Haltung Ihrer Organisation?
Mitarbeiter und Menschen mit Terminen konnten das CDC fast drei Monate lang nicht betreten, da viele Menschen vor dem Gebäude kampierten und ihnen den Zugang versperrten. Wir boten weiterhin Dienstleistungen an anderen Orten an, einschließlich der Unterstützung für diejenigen, die draußen kampierten. Unsere Mitarbeiter, einschließlich unser Missionsleiter, hielten regelmäßig Treffen mit den Vertretern der Protestierenden ab, um ihre Bedürfnisse und Sorgen besser zu verstehen und um zu erklären, was der UNHCR als Reaktion auf ihre Forderungen tun konnte – und was nicht.
Fliegt das UNHCR weiterhin identifizierte Flüchtlinge zurück in ihre Heimat oder Drittländer?
Das UNHCR repatriiert keine Flüchtlinge aus Libyen, denn sie dürfen niemals an einen Ort zurückgeführt werden, an dem ihr Leben oder ihre Freiheit gefährdet sein könnten. Unsere Schwesterorganisation, die IOM, betreibt ein Programm zur freiwilligen Rückkehr. Der UNHCR arbeitet jedoch mit der IOM zusammen, um sicherzustellen, dass alle Personen, die internationalen Schutz benötigen, an den UNHCR verwiesen werden.
Viele der Opfer haben weder Reisepässe noch ein Dach über dem Kopf. Geben sie weiterhin UNHCR-Ausweise aus?
Das UNHCR führt weiterhin Registrierungsgespräche mit Asylbewerbern durch, und diejenigen, die die Kriterien erfüllen, erhalten Registrierungsbescheinigungen, die ihnen Zugang zu den UNHCR-Diensten verschaffen.
Wie würde eine Lösung der aktuellen humanitären Krise aussehen?
Gemeinsam mit anderen UN-Organisationen ist das UNHCR bereit, mit den libyschen Behörden an der Entwicklung eines Plans zu arbeiten, um die Situation von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten auf humane und rechtebasierte Weise anzugehen. Eines der dringendsten Probleme ist die Unterbringung und die Verfügbarkeit von erschwinglichem, sicherem und preiswertem Wohnraum. Ein weiterer Fortschritt wäre, wenn die Behörden Flüchtlinge und Asylbewerber, die ohne gerichtliche Überprüfung festgehalten werden, geordnet aus der Haft entlassen würden, wobei mit den dringendsten Fällen, einschließlich Frauen und Kindern, begonnen werden sollte. Letztendlich können die humanitären Bemühungen in Libyen jedoch nur dann größere Fortschritte machen, wenn es einen dauerhaften Frieden im Land gibt und eine politische Lösung zur Wiederherstellung von Stabilität und Sicherheit.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.