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Für viele der erste Streik

Die Auszubildenden im öffentlichen Dienst können vom Gehalt kaum eigenständig leben

Morgens um 3.30 Uhr aufstehen, um die Hauptstadt sauber zu halten, und alle drei Wochen eine Woche Berufsschule – das ist der Arbeitsalltag von Phillip, Berufskraftfahrer in Ausbildung bei der Berliner Stadtreinigung (BSR). »Ich hab aber auch den längsten Weg zur Arbeit«, erklärt er, das besonders frühe Klingeln seines Weckers. An diesem Donnerstagmorgen hingegen sitzt Philipp nicht hinter dem Steuer des Müllwagens, sondern steht auf der Straße. »Ich bin hier, weil wir mehr Ausbildungsgehalt fordern«, sagt er zu »nd«. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat im Rahmen der Tarifverhandlungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst (TVöD) die Auszubildenden und dual Studierenden der BSR, der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), der Wasserbetriebe, der Rentenversicherung und der Krankenhausbetriebe Charité und Vivantes zum Warnstreik aufgerufen.

Diese sind zahlreich erschienen. Mit den hellgrünen Fahnen der Gewerkschaftsjugend führen sie die große Streikdemonstration am Donnerstag an. Für viele ist es der erste Streik. Philipp ist im zweiten Jahr seiner Ausbildung, auch er hatte zuvor an keinem Streik teilgenommen, mittlerweile ist er aber Gewerkschaftsmitglied. Bei der BSR möchte der 21-Jährige gerne auch in Zukunft arbeiten. Die unbefristete Übernahme ist neben der Erhöhung des Gehalts die zweite Forderung der Azubis. Philipp hält es für »absolut gerechtfertigt«, 200 Euro mehr im Monat zu verlangen. »Ich wohne noch bei meinen Eltern, deshalb komme ich gerade so hin mit dem Gehalt. Aber in eine eigene Wohnung zu ziehen, ist für mich nicht möglich.«

Im zweiten Lehrjahr verdienen die Auszubildenden 1118 Euro brutto, nur die Pflegekräfte verdienen etwa 130 Euro mehr. Wer den Berliner Wohnungsmarkt kennt, weiß, wie schwierig es ist, mit so wenig Geld eine Bleibe zu finden. Nun steigen die Lebenshaltungskosten durch die Inflation rasant, was die Menschen mit den geringsten Einkommen am stärksten trifft.

»Liebe Berliner*innen, hier läuft eure Zukunft und kämpft für gute Ausbildungs- und Studienbedingungen«, so schallt es vom Lautsprecherwagen auf der Streikdemonstration. Marie Schellhorn ist inzwischen ausgelernte Industriemechanikerin bei den Berliner Wasserwerken und dort in der Jugendvertretung. Sie unterstützt die Forderungen der Auszubildenden, zu denen die 22-Jährige bis vor kurzem selbst noch gehörte. »Ich finde es super, dass wir hier heute alle zusammen streiken«, ruft sie von der Bühne.

Gerade für die jungen Menschen ist es nicht leicht, am Arbeitskampf teilzuhaben. »Auszubildende stehen vor besonderen Herausforderungen, wenn es um Tarifverhandlungen und Streiks geht«, sagt Lucas Krentel, Landesjugendsekretär bei Verdi Berlin-Brandenburg, zu »nd«. Es gebe zum überwiegenden Teil keine Erfahrungen mit Streiks und dem Streikrecht, was zu Verunsicherungen und Falschinformationen führe. »Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen sind ein weiteres Hindernis«, so Krentel.

Das Streikrecht für die Auszubildenden scheint in der Tat für Unsicherheit zu sorgen. So werden auch die anwesenden Landespolitiker*innen von den Arbeitskämpfer*innen darauf angesprochen. »Streiktage dürfen nicht als Fehltage angerechnet werden«, sagt Katina Schubert, Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei. Es habe deshalb ein Rundschreiben von Arbeitssenatorin Katja Kipping gegeben, welches darauf hinweist, dass Auszubildende durch die Teilnahme an Streiks keine Nachteile erfahren dürfen. Die Schwierigkeit ist, dass Auszubildende nur eine bestimmte Anzahl an Fehltagen haben dürfen, um zur Abschlussprüfung zugelassen zu werden. In Kippings Rundschreiben wird deshalb angewiesen, streikbedingte Fehlzeiten den Auszubildenden nicht zur Last zu legen.

»Das Streikrecht muss für alle gelten«, sagt Robert Jung, Elektroniker in Ausbildung bei der BVG. Er hält die Forderung von 200 Euro mehr Monatsgehalt für zu niedrig angesetzt. »Die Preissteigerungen haben uns hart getroffen, meine Gasrechnung hat sich verdoppelt. Mein Vater musste die Unterhaltszahlungen einstellen, weil er sie sich als Rentner nicht mehr leisten kann. Mir fehlen dadurch 300 bis 400 Euro im Monat«, erzählt er. Auch die für ihn geltende Übernahmeregel sieht er kritisch, sie garantiert ihm eine befristete Anstellung auf ein Jahr nach Ausbildungsabschluss. »Das ist doch fern der Realität, bei der BVG gehen in den nächsten Jahren sehr viele Menschen in Rente«, so Jung.

Die Streikdemonstration habe ihm ermöglicht, sich stärker mit den Azubis in anderen Bereichen bei der BVG zu vernetzen. Gerade derzeit sei es wichtig, als Arbeiter*innen und Auszubildende gemeinsam Druck aufzubauen. »Wir können den Fachkräftemangel ausnutzen, um Arbeitskämpfe zu führen. Jetzt können wir unsere Forderungen durchsetzen, weil wir für die Betriebe nicht zu entbehren sind«, ist sich Jung sicher.

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