Gaza-Krieg: Ringen um ein diplomatisches Meisterstück

Die Hamas ist uneins bezüglich des jüngsten Vorschlags für eine Waffenruhe in Gaza

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Hamas-Führer im Libanon, Osama Hamdan (re.)
Der Hamas-Führer im Libanon, Osama Hamdan (re.)

Der Druck auf die Hamas ist enorm: Die Zeit für einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas sei gekommen, sagte US-Außenminister Anthony Blinken während seiner siebten Nahost-Reise seit Kriegsbeginn vor sechseinhalb Monaten. Alles hänge nun an der Hamas: »keine Verzögerungen, keine Ausreden mehr.« Man müsse sich auf die Menschen im Gazastreifen konzentrieren, die unter dem litten, was die Hamas verursacht habe. Ähnliche Aussagen sind auch von den Regierungen der meisten arabischen Staaten zu hören: Man will, dass der Krieg ein Ende hat. Katar, Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate drohen gar damit, Hamas-Funktionäre des Landes zu verweisen.

Doch die Signale aus den Reihen der Hamas zum jüngsten Vorschlag für eine Waffenruhe sind widersprüchlich. Israels Regierung hat einen Deal vorgeschlagen, der zweierlei umfasst: In einer ersten, drei Wochen dauernden Phase sollen die Kampfhandlungen eingestellt und 20 israelische Geiseln gegen mehrere hundert palästinensische Gefangene in israelischer Haft ausgetauscht. In der zweiten Phase würden beide Seiten über einen langfristigen Waffenstillstand verhandeln. So lautet der Vorschlag grob zusammengefasst, denn tatsächlich ist er komplexer und weist starke Ähnlichkeiten zu dem im April 2022 vereinbarten Waffenstillstand zwischen den Huthi-Milizen im Jemen und der dortigen Regierung auf. Dieses Abkommen gilt als diplomatisches Meisterstück.

Die Reaktionen aus dem in Katar ansässigen Politbüro der Hamas sind positiv. Ganz anders bei den Funktionären im Gazastreifen und den Flüchtlingslagern im Libanon: »Unsere Position zum israelischen Vorschlag ist negativ«, sagte Osama Hamdan dem der Hisbollah nahestehenden Fernsehsender Al Manar. In den selbstverwalteten palästinensischen Flüchtlingslagern befindet sich die Hamas in einem gewaltsam ausgetragenen Machtkampf mit der Fatah-Fraktion, die die Regierung im Westjordanland dominiert. De facto hat die Hamas nun die Kontrolle über die Flüchtlingslager, Hamdan ist damit eine Art »Regierungschef« dort.

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Negative Reaktionen der Gaza-Führung

Auch im Umfeld der Führung im Gazastreifen sind die Reaktionen negativ: Es gebe zu viele Fallstricke, zitieren arabische und israelische Medien ungenannte Quellen dort. Israel wolle seine Besatzung ausweiten. Deutlich wird dabei, dass die örtliche Führung weiterhin auf ihren Maximalforderungen besteht: einen vollständigen Truppenabzug, eine Rückkehr der Geflohenen und komplette Handlungsfreiheit für die Hamas. Aus israelischer Sicht würde das bedeuten, dass die Uhr auf die Zeit vor Kriegsbeginn zurück gedreht werden würde und die Hamas wieder aufrüsten könnte.

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Hamas in dieser Frage gespalten ist: Im Politbüro scheint man eine politische Kraft mit Führungsanspruch werden zu wollen. In Gaza und im Libanon gibt man sich hingegen militant und kompromisslos. Neu ist das nicht: Seit dem letzten großen Krieg im Sommer 2014 hatten Israels Regierung und die Hamas immer wieder indirekt über ägyptische Vermittler miteinander gesprochen. In der politischen und militärischen Führung Israels und auch bei den Geheimdiensten hatte sich daher die Meinung durchgesetzt, dass die Hamas dialogbereit ist.

Seltene Einblicke ins Innere der Hamas

Die Aussagen Hamdans geben aber auch einen seltenen Einblick ins Innere der Hamas-Führung in Gaza: Der dortige Chef Jihia al-Sinwar vertraue nur auf das Urteil seines inneren Kreises. Einiges deutet darauf hin, dass dieser aus höchstens vier Personen besteht, zu denen neben seiner als ausgesprochen radikal geltenden Ehefrau auch Hamdan und eine Person aus der Führung der Kassam-Brigaden zählen dürften. Auch die Darstellung Hamdans, dass Äußerungen von Funktionären »im Exil« seien keine offiziellen Positionen der Hamas, ist bemerkenswert: Es ist nämlich völlig unüblich, dass Hamas-Funktionäre das Politbüro öffentlich angreifen.

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