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Vattenfall: Die Wärme kommt heim

Berlin erwirbt die Fernwärmesparte von Vattenfall – für die Beschäftigten ändert sich wenig. Bis zur Klimaneutralität ist der Weg noch weit

Im Heizkraftwerk in Lichtenrade wird Wärme aus Gasverbrennung gewonnen. Bis 2030 will die Berliner Energie und Wärme (BEW) den Gas-Anteil von 75 Prozent auf 50 Prozent senken.
Im Heizkraftwerk in Lichtenrade wird Wärme aus Gasverbrennung gewonnen. Bis 2030 will die Berliner Energie und Wärme (BEW) den Gas-Anteil von 75 Prozent auf 50 Prozent senken.

Per Hand mit einem Schraubendreher schraubt Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) vor allerlei Presse und im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner und des Finanzsenators Stefan Evers (beide CDU) ein Schild an: »Willkommen zuhause: Die Wärme ist zurück in der Familie der Berliner Landesunternehmen«. Die gemauerte Wand dahinter gehört zum Heizkraftwerk Mitte.

Im Kraftwerk in der Köpenicker Straße wird Fernwärme durch die Verbrennung von Erdgas erzeugt. 60 000 Haushalte werden von hier mit Wärme versorgt. Mittels Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt das Werk im selben Prozess 500 Megawatt Strom. Das gesamte Berliner Stromnetz umfasst 2200 Megawatt, bis 2033 muss die Kapazität aufgrund des steigenden Energiebedarfs verdoppelt werden. Das Kraftwerk an der Spree ist eines von zehn großen und 105 kleineren Blockkraftwerken, das das Land Berlin von Vattenfall zurückerworben hat. Auch das zugehörige 2000 Kilometer lange Fernwärmenetz, das größte in Westeuropa, geht in Landesbesitz über. Den Übergang feierte das Land Berlin am Freitagmorgen mit einem Festakt, in dessen Rahmen auch der symbolische Schildanschlag der Wirtschaftssenatorin erfolgte.

»So ein großes Geburtstagsgeschenk hatte ich noch nie«, sagt Giffey. »Das ist die wichtigste energiepolitische Weichenstellung dieses Jahrzehnts.« 1,4 Milliarden Euro bekommt der schwedische Staatskonzern Vattenfall im Rahmen der Transaktion von Berlin – kreditfinanziert, wie Finanzsenator Evers erklärt. 1997 hatte Berlin mit Verweis auf klamme Kassen die letzten seiner Anteile an der Bewag, die seinerzeit die Fernwärme der Hauptstadt betrieb, an private Investoren verkauft.

Die Rekommunalisierung soll Berlin vor allem Unabhängigkeit bringen: »für eine sichere, effiziente und nachhaltige Energieversorgung, zu bezahlbaren Preisen«, sagt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Der Rückerwerb besetze in der Transformation eine strategisch maßgebliche Funktion. Es sei aber eben nur ein Aufbruch. Zur tatsächlichen Dekarbonisierung der Fernwärme bis 2045 seien weitere Investitionen notwendig. Laut Senatorin Giffey würde derzeit noch 95 Prozent der Fernwärme aus Steinkohle und Gas erzeugt – nur fünf Prozent aus erneuerbaren Energien. Für einen möglichst schnellen Ausbau setze man auf Vielfalt der Energieträger. Giffey nennt Müllverbrennung, Abwärme, die in der Industrie anfällt, Wasserstoff und Geothermie.

»Der Hebel zur klimaneutralen Stadt liegt in der Wärmewende«, sagt Christian Feuerherd. Wie überfällig die Wärmewende im Angesicht des Klimawandels sei, verdeutliche das diesjährige Ende der Heizperiode im März. »Noch nie haben wir die Kraftwerke so früh abgeschaltet«, sagt Feuerherd. Feuerherd war bis eben Vorstandsvorsitzender der Vattenfall Wärme Berlin AG, nun sitzt er der neu gegründeten Berliner Energie und Wärme AG, der BEW, vor. »Was für ein wunderschöner Name«, findet Bürgermeister Wegner. Giffey wird dem Aufsichtsrat der BEW vorsitzen.

Es ist davon auszugehen, dass das Geschäft ohne die Bereitschaft von Vattenfall nicht zustande gekommen wäre, und dass die Bereitschaft in erster Linie ökonomisch begründet ist. Das Unternehmen stelle jedes Jahr neue Bewertungen an, sagt Christian Feuerherd am Rande des Festaktes. Die nötigen Investitionsmittel, um die Infrastruktur weiter tragen zu können, wolle Vattenfall nicht mehr bereitstellen. »Vattenfall kann durch den Verkauf des Wärmegeschäfts alle Ressourcen darauf konzentrieren, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben«, erklärte eine Sprecherin »nd«. Alle Investitionen und Geschäftsentscheidungen zielten darauf ab, den Betrieb zu dekarbonisieren und die Produktion erneuerbarer Energien auszubauen. Aufgrund der CO2-Bepreisung wird die Vernutzung von fossilen Energieträgern zunehmend zu einem Verlustgeschäft. 1997 bekam Berlin für die 50 Prozent der Aktien, die es zu diesem Zeitpunkt noch hielt, 2,9 Milliarden D-Mark. Dem stehen heute 1,4 Milliarden Euro für die komplette Fernwärme gegenüber. Ein Hinweis auf ein absolutes Schnäppchen oder die im Kauf eingepreisten Extrakosten, die in Zukunft noch anfallen. Finanzsenator Evers spricht von einem »ausgewogenen Verhandlungsergebnis«.

René Gladis ist seit 40 Jahren bei der Berliner Fernwärme. Noch bei der Bewag erlernte er den Beruf des Energieanlagenelektronikers, ist dann über verschiedene Stationen, unter anderem als Kraftwerker im Schichtbetrieb, vor 26 Jahren das erste Mal in den Betriebsrat gewählt worden. Er war zuletzt dessen Vorsitzender bei der Vattenfall Wärme Berlin AG, ist es nun bei der BEW. »Für die Beschäftigten ändert sich im Grunde nichts«, sagt Gladis im Gespräch mit »nd«. Die Arbeitsverträge blieben dieselben, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge behielten ihre Gültigkeit, das Gehalt sei identisch. Das habe man als Interessenvertretung in einer bis mindestens 2030 gültigen Vereinbarung durchgesetzt, sagt Gladis.

Die Stimmung innerhalb der Belegschaft beschreibt als »eher optimistisch«. Betriebsrat und Unternehmensleitung hätten versucht, die Belegschaft durch »regelmäßige Meetings über die digitalen Medien abzuholen und umfassend zu informieren«. Die Zustimmung zum Eigentümerwechsel sei daher »recht groß«.

Gladis sieht die BEW vor zahlreichen Herausforderungen. Als Betriebsrat beschäftige ihn da nicht zuletzt die Personalbeschaffung. Um die Fernwärme als eigenständige Stadtgesellschaft aufzustellen, bräuchte es 200 bis 300 neue Mitarbeiter*innen. »Aus Sicht der Mitbestimmung sind Neueinstellungen natürlich viel erfreulicher als Entlassungen«, sagt Gladis. Wäre da nicht der Fachkräftemangel. Bis 2030 gehen zudem viele Mitarbeitende in den Ruhestand. Heute arbeiten 2000 Menschen für die BEW.

Ob die BEW für künftige Arbeitskräfte attraktiver werde, hänge von den potenziellen Bewerber*innen ab. Für Menschen, die sich eher international orientieren wollen, sei eine Stadtgesellschaft sicher weniger interessant. »Wer sich aber aktiv an den Transformationsprozessen hin zu den Erneuerbaren beteiligen will, findet bei uns den passenden Arbeitsplatz.«

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