Xi Jinping: Die Seidenstraße entzweit Europa

Der Besuch von Xi Jinping zeigt, dass es in der EU keine einheitliche Strategie zum Umgang mit China gibt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.
Täuschend echt: Eine Wachsfigur des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Madame Tussauds Museum in Budapest.
Täuschend echt: Eine Wachsfigur des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Madame Tussauds Museum in Budapest.

Es war kurz vor Mitternacht am 7. Mai 1999, als Bomben der Luftstreitkräfte der Nato in der chinesischen Botschaft in Belgrad einschlugen. Drei chinesische Journalisten wurden getötet, insgesamt 21 Menschen verletzt. Dieses Bombardement war Teil des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien, der in dem Nachfolgestaat Serbien unvergessen ist.

Das gilt auch für China. Genau 25 Jahre später gedachte Präsident Xi Jinping in einem Beitrag, der am Dienstag in der serbischen Zeitung »Politika« veröffentlicht wurde, des Angriffs auf die chinesische Botschaft. China werde niemals zulassen, »dass sich eine solch tragische Geschichte wiederholt«, schrieb er darin. Am Abend traf Xi in der serbischen Hauptstadt ein. Er war vor einem Vierteljahrhundert gerade Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas geworden. Sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vučić, der Xi in Belgrad empfing, bekleidete damals das Amt des Informationsminister unter Präsident Slobodan Milošević. In westlichen Medien wurde er durchgehend »Propagandaminister« genannt.

Vučić ging mit dem Zeitgeist. Er war seit 2014 Ministerpräsident Serbiens, ist seit sieben Jahren Staatsoberhaupt, regiert das Land autoritär und setzt auf ungezügelten Neoliberalismus. Es kam zu Privatisierungen. Renten und Gehälter im öffentlichen Sektor wurden gekürzt. Als Ziel hat Vučić ausgegeben, dass Serbien eines Tages Mitglied der Europäischen Union werden soll. In Brüssel sah man seine Politik lange mit Wohlwollen und bewertete Vučić nicht mehr als gefährlichen Nationalisten von einst. Doch seit einiger Zeit hat sich der Ton zwischen beiden Seiten verschärft. Die Verhandlungen über einen serbischen EU-Beitritt laufen schon seit mehr als zehn Jahren und können aus Brüsseler Sicht erst dann abgeschlossen werden, wenn die Kosovo-Frage, die 1999 der Anlass für den Nato-Krieg gegen Jugoslawien war, geklärt ist. Vučić hat sich stets geweigert, die Unabhängigkeit der einstigen serbischen Provinz anzuerkennen.

Angesichts dieser bestehenden Konflikte mit der Europäischen Union wächst der Einfluss anderer Mächte in dem Balkan-Land. Trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine pflegt die Regierung in Belgrad weiter enge Beziehungen zu Russland. Auch China hat als politischer Partner und Investor in Serbien an Bedeutung gewonnen. Bei ihrem Treffen haben die Delegationen von Xi und Vučić 28 zwischenstaatliche Abkommen und Memoranden unterschrieben. Diese beinhalten die Zusammenarbeit in den Bereichen Infrastruktur, Handel, Wissenschaft, Umweltschutz, Technologie, Kultur, Sport und Informatik. Hinter diesen fortschrittlich klingenden Begriffen verbargen sich in den vergangenen Jahren auch der Import von Rüstungsgütern und Überwachungstechnologien, die von China nach Serbien geliefert wurden. Darunter befanden sich Kampf- und Spionagedrohnen. Am 1. Juli soll ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern in Kraft treten.

Serbien ist für China ein wichtiger Partner in dem von Beijing ausgerufenen Infrastrukturprojekt »Neue Seidenstraße«. Das Land liefert unter anderem Kupfer nach China. Außerdem produzieren chinesische Unternehmen dort Stahl, Solarpanels und Autoreifen.

Ungarn, das Xi nach seiner Visite in Serbien besuchte, hatte sich 2015 als erster EU-Staat der »Neuen Seidenstraße« angeschlossen. Wichtige Großprojekte sind der Budapester Flughafen und die Zugstrecke zwischen Ungarn und Serbien. In keinem anderen EU-Staat sind die chinesischen Direktinvestitionen höher als in Ungarn. Sie betrugen im Jahr 2023 insgesamt 4,34 Milliarden US-Dollar. In den kommenden Jahren sollen in Ungarn chinesische E-Autos und Batterietechnik produziert werden.

Zwar ist Ungarn im Unterschied zu Serbien Mitglied der Europäischen Union. Alles, was den rechtsnationalen Regierungschef Viktor Orbán an dieser Mitgliedschaft interessiert, sind allerdings die EU-Fördergelder. Ein Teil dieser Gelder war zuletzt mit der Begründung zurückgehalten worden, dass es Mängel an der Rechtsstaatlichkeit gebe und Ungarn nicht ausreichend gegen Korruption vorgehe. Diese Vorwürfe sind durchaus gerechtfertigt, allerdings liegt der Verdacht nahe, dass die EU-Kommission mit der Aussetzung von Zahlungen die ungarische Regierung in erster Linie deswegen bestrafen wollte, weil sie zu enge Beziehungen zu Russland und China unterhält.

Orbán ignoriert diese Kritik. Sein Außenminister Péter Szijjártó hatte vor dem Besuch von Xi die Unterzeichnung von mindestens 16 bilateralen Abkommen mit China angekündigt. Dagegen ist die Bundesregierung darum bemüht, dass die heimischen Firmen ihre Handelsbeziehungen diversifizieren. In der deutschen China-Strategie heißt es, dass die Bundesregierung »in kritischen Bereichen« weniger abhängig von China sein wolle und »das Potenzial anderer Länder und Regionen« ausschöpfen möchte. Im ersten Quartal dieses Jahres haben die USA die Chinesen als Deutschlands wichtigsten Handelspartner überholt.

Olaf Scholz hätte seine Differenzen mit Xi zu Beginn dieser Woche in Paris besprechen können. Doch der Bundeskanzler war bereits im April zu Gesprächen in China und besuchte nun stattdessen die deutschen Truppen im Baltikum an der Grenze zu Russland. Xi sprach mit dem Gastgeber, Frankreich Präsident Emmanuel Macron, und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Wichtigstes Thema waren die geplanten EU-Strafzölle auf chinesische Elektroauto-Importe, die von der Leyen und Macron vorantreiben. »Wir verteidigen unsere Unternehmen. Wir verteidigen unsere Volkswirtschaften. Und wir werden nie zögern, dies zu tun, wenn es nötig ist«, sagte die Kommissionspräsidentin.

Der eingeladene, aber nicht anwesende Olaf Scholz war bisher zurückhaltender. Er fürchtet, ebenso wie deutsche Unternehmen, die vom chinesischen Standort profitieren, eine harte Revanche von chinesischer Seite in dem sich anbahnenden Handelskonflikt. Somit hat der Besuch von Xi auch die Konflikte innerhalb Europas über eine einheitliche Strategie gegenüber der Großmacht in Fernost offengelegt.

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