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Trick 17 an der Aldi-Kasse
An den Kassen bei Aldi geht es stressig zu, denn Effizienz und Gewinnmaximierung sind das Ziel
So ist es, dachte ich, als ich die Samstags-Kolumne des Kollegen Leo Fischer und dessen Beobachtungen von der Aldi-Kasse gelesen hatte: Menschen, die in rasantem Tempo die Waren einzupacken versuchen, die eine – immer, immer – noch schnellere Kassiererin über den Scanner hat fliegen lassen. Lichtgeschwindigkeit Hilfsausdruck, wie der Schriftsteller Wolf Haas sagen würde.
Doch anstatt wütend zu sein, dass man beim Einkaufen überhaupt unter Stress gerät, dass die Gewinnmaximierung schwer atmende Menschen beim Gang zum Auto hervorbringt, internalisiert man das Mantra des Kapitalismus: Der Markt hat immer recht, die Plage ist die Oma, die nicht schnell genug ist und dann noch dreisterweise nach Münzen kramt. »Ein schönes Beispiel, was der Kapitalismus mit uns macht«, schreibt Fischer. Und ich nickte heftig. Und dann las ich den Satz noch mal, diesmal mit Betonung auf dem »uns« statt auf »Kapitalismus«. Verdammte Hacke, dachte ich, genau so bin ich wirklich: Omas und Ampelschaltungen verfluchend, einer, der am liebsten Menschen körperlich zusetzen würde, die langsam reden, oder umständlich nach Worten suchen. Ja, es stimmt, das verdammte Effizienzdenken, auch wenn man es intellektuell noch so sehr ablehnt, das zeitigt Folgen.
Zu Haupt- und Nebenwidersprüchen des Kapitalismus befragen Sie bitte ihre örtliche K-Gruppe, mir scheint gerade ein privatistischer Widerspruch am offensichtlichsten: Ich gehöre zu den Menschen, die mit dem Rad noch mal einen Spurt einlegen, wenn die Ampel umspringt und würde auch immer einer Tram hinterherlaufen, wenn ich die Chance sähe, sie an der Haltestelle noch zu erreichen. Wenn man mich aber fragen würde, was ich am gleichen Tag mit den Sekunden gemacht habe, die ich dadurch gespart habe, würde ich doof aus der Wäsche gucken. Ich fürchte, es handelt sich bei diesem Irrsinn um ein Massenphänomen. Anders ist nicht zu erklären, wie viele auf Effizienz getrimmte Menschen in ihrer Freizeit Stunde um Stunde mit leerem Blick vor (Handy)-Bildschirmen verbringen und schon abends um neun nicht mehr wissen, was sie sich dort zwischen sechs und sieben angeschaut haben.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Was tun? Einstweilen scheint es, als stehe die Abschaffung des Kapitalismus nicht unmittelbar auf der Tagesordnung, man wird also erst mal nach individuellen Wegen suchen müssen, nicht auch noch das Privatleben im inneren Hamsterrad verbringen zu müssen. Empfohlen sei hier die gute alte Subversion. Es gibt nämlich noch einen zweiten Grund, warum Fischers Kolumne bei mir im Kopf so nachbimmelt und der hat mit meinen Studienzeiten zu tun. Seither bin ich mit einem Franzosen befreundet, der schon damals gerne konische Rauchwaren zu sich nahm – doppelt so schnell wie der natursedierte Kretschmann sprach er trotzdem. Ende der Neunziger verschlug es den Mann aus Südfrankreich dann nach Leipzig, wo er während des Auslandssemesters mit Aldi und dem damals schon spektakulären Tempo an den Kassen in Berührung kam. Er wusste sich zu helfen. Zum Einkaufen nahm er immer einen schwarzen Filzstift mit, mit dem er den Strichcode auf einem seiner Einkäufe manipulierte. Erst tillte die Kasse, dann die Kassiererin, die Hilfe holen musste. Und schon hatte er Zeit genug, in aller Seelenruhe seine Einkäufe zu verstauen.
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