Shorts-Trägern Beine machen

Textile Texte (1): Deutsche und Amis missachten das Gebot der langen Hose – und haben dafür Verachtung verdient

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.
Italiener in langen Hosen sind auch am Strand keine Seltenheit: Marcello Mastroianni als sizilianischer Baron Ferdinando Cefalù im Film »Scheidung auf Italienisch« (1961)
Italiener in langen Hosen sind auch am Strand keine Seltenheit: Marcello Mastroianni als sizilianischer Baron Ferdinando Cefalù im Film »Scheidung auf Italienisch« (1961)

Als Gott das menschliche Bein schuf, stand er unter Hochdruck. Er hatte Stunden mit der Konstruktion des Kopfes zugebracht, ohne mit dem Ergebnis so richtig zufrieden zu sein. Und jetzt lief ihm die Zeit davon. Vor allem das Knie erwies sich als hochdiffiziles Gebilde. Schließlich kam dem Allmächtigen die Idee mit dem Meniskus. Ihm war bewusst, dass es sich hierbei nur um eine Notlösung handelte. Kommende Fußballergenerationen würden ihre liebe Not damit haben und ihn verfluchen. »Sei’s drum!«, stöhnte er kurz auf. 24 Stunden waren einfach zu wenig. Da reichte es eben nur für ein Mängelwesen.

Für die Optik blieb erst recht keine Zeit. So musste auf die Schnelle improvisiert werden. Bei der Entwicklung der Schambehaarung hatte Gott sich um eine Null verrechnet. Die überschüssigen Haare konnte er nun für die unteren Gliedmaßen verwenden. Schön sah das nicht aus. Dennoch blieb er verhalten optimistisch. Früher oder später würden die Menschen auf den Dreh kommen, dass man jene rübenartigen Gebilde besser in Hosen steckte. So würde allen der Anblick der unästhetischen Extremitäten erspart bleiben.

Textile Texte

Mode und Verzweiflung: In diesem Sommer beschäftigt sich das nd-Feuilleton mit Hosen, Hemden, Hüten und allem, was sonst noch zum Style gehört.

Gott hatte die Rechnung ohne Deutsche und Amis gemacht. In den meisten Gegenden der Welt war man klarsichtig genug, die Beine als das zu wahrzunehmen, was sie sind: ein notwendiges Übel. Schließlich war allgemein bekannt, dass es auf dem ganzen Erdball nur einen einzigen Menschen mit schönen Beinen gab: die Australierin Elle Macpherson, die zu Recht den Beinamen »The Body« trug. Alle übrigen taten gut daran, den gestalterischen Ausrutscher ihres Schöpfers zu verdecken.

Nur sehen dies Yankees und Teutonen leider anders. Was beide Nationen vereint, ist ein gewisser Hochmut. Im Alleinbesitz der Wahrheit fällt es leicht, sich über allgemeingültige Urteile, auch ästhetische, hinwegzusetzen. Vernunft wäre da nur störend. Wer in »God’s chosen country« lebt, dem von Gott auserwählten Land, zieht seinen Stiefel durch wie John Wayne. Und am deutschen Wesen sollte bekanntlich schon früher die Welt genesen.

Also tauscht man die langen Beinkleider, kaum dass der Sommer an die Tür klopft, gegen Shorts und noch Kürzeres. Wobei »Sommer« ein relativer Begriff ist. Eigentlich genügt es, wenn das Quecksilber die 20-Grad-Marke streift und die Wettervorhersage drei regenfreie Tag am Stück verspricht. Ist dies der Fall, legen Deutsche und Amis ein Verhalten an den Tag, als hätten sie die letzten zehn Jahre in einem Kellerverlies zugebracht. Bloß raus, und das mit möglichst wenig Stoff!

Geschieht dies im eigenen Land, fällt es nicht weiter auf. Längst haben sich die Augen an das visuelle Grauen gewöhnt, das sich an einem sonnigen Tag in Fußgängerzonen darbietet. Die einst beinharte Erfahrung, beinbehaarte Wesen in Scharen zu erleben, ist längst zur Routine geworden. Gelobt sei, was hart macht – auch Augen können abstumpfen. Die bittere Wahrheit: Deutsche und Amerikaner bewegen sich an der Grenze zur Blindheit. Ihre Sehkraft reicht nicht aus, um zu erkennen, was sie da morgens aus dem Kleiderschrank fischen.

Dass es anders sein könnte, wird einem in südlicheren Ländern bewusst. Trotz steigender Temperatur sinkt das Schamgefühl nicht. Dort weiß man, dass Bermudashorts (und erst recht Boxershorts) eine modische Verirrung sind. Eine Erfindung zynischer Modemacher, die den Träger der Hosen bloßstellen, indem sie dessen Beine bloßlegen. Wer in Italien, Spanien oder Portugal mit kurzer Buxe herumläuft, kann sich ebenso gut das Wort »Tourist« auf die Stirn tätowieren lassen. Er mag über Geld verfügen, aber nicht über Stil. Er hat es verdient, mit Verachtung behandelt zu werden. Denn durch sein Auftreten verwandelt er schöne Orte in hässliche. Wir sollten ihm Beine machen!

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