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  • Debatte um Verbot der AfD

AfD-Verbot: Zähe Extremismusformel

Ein Parteiverbot ist keine Demokratieförderung, auch wenn es ausnahmsweise die Rechte treffen würde

  • Sarah Schulz
  • Lesedauer: 6 Min.
So deutlich die Signale der Zivilbevölkerung gegen rechts waren, was gegen das Erstarken der Rechten hilft ist noch Gegenstand der Diskussion.
So deutlich die Signale der Zivilbevölkerung gegen rechts waren, was gegen das Erstarken der Rechten hilft ist noch Gegenstand der Diskussion.

Und nun die Kommunal- und Europawahlen. Verwunderlich ist eher die Überraschung über die Stärke der Rechten als das Ergebnis selbst. Schon nach den letzten Landtagswahlen wurden in Sachsen und Sachsen-Anhalt notgedrungen Koalitionen aus drei Parteien gebildet. Besonders brenzlig war es 2020 in Thüringen, als sich der FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, inklusive Gratulation von Björn Höcke. Einzig die damalige Landesvorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, warf ihm den Blumenstrauß vor die Füße und verweigerte sich. Nur aufgrund der folgenden großen Empörung trat Kemmerich zurück und eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen wurde gebildet, die seitdem ständig um neue Mehrheiten für Gesetzesvorhaben ringen muss.

Und da sind wir mittendrin im Problem: Nach den vielen und harten Krisen der letzten Jahre braucht es eine nachhaltige soziale und ökologische Politik von handlungsfähigen Regierungen. Stattdessen werden die Länder aber nach den Wahlen mit Mehrheitsverhältnissen konfrontiert sein, die eine noch kompliziertere Regierungsbildung zur Folge haben. Neben der Hoffnung, dass sich die CDU an ihre Brandmauer nach rechts auch nach den Wahlen noch erinnert, scheint ein Verbot der AfD die Lösung zu sein.

Ein Parteiverbot braucht Zeit und gerichtsfeste Belege. Auch wenn die Aussichten auf Erfolg nicht schlecht sind, schafft es für die Landtagswahlen in diesem Jahr keine Abhilfe. Ohnehin scheint die Debatte um ein Verbot eher zivilgesellschaftlich geführt zu sein. Um die eigentlich Antragsberechtigten ist es seltsam still. Das Verbot einer Partei kann nur vom Bundeskabinett, dem Bundesrat oder aus der Mitte des Bundestages beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Vielleicht wartet man hier auf die Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden. Im Mai hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen und sie damit auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten darf. Man muss sich allerdings bewusst machen, dass die Beobachtung durch einen Inlandsgeheimdienst und ein Parteiverbot repressive Maßnahmen sind und keine Förderung der demokratischen Kultur – auch wenn es ausnahmsweise mal die extreme Rechte trifft.

Autoritäre Geschichte der
wehrhaften Demokratie

In der Bundesrepublik gab es 1952 das Verbot der Sozialistischen Reichspartei und 1956 das der KPD. Beide Parteiverbote waren getragen von einem anti-totalitaristischen Zeitgeist. Helmut Ridder, Verfassungsrechtler und »Feuerkopf der Demokratie« (Ulrich K. Preuß), hat das KPD-Verbot auch einmal das »antikommunistische Manifest« des Bundesverfassungsgerichts genannt. Obwohl also die wehrhafte Demokratie und mit ihr das Instrument Parteiverbot als antinationalsozialistische Lehre aus der Vergangenheit gelten, waren ihre ersten Anwendungsfälle eher anti-totalitaristisch, eigentlich viel mehr noch antikommunistisch.

Die Analyse der Funktionsweise des NS-Staates war nicht gerade das Topthema der 1950er Jahre. Der Kalte Krieg hatte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verdrängt. Statt um die jüngste Vergangenheit ging es darum, die Institutionen der neu gegründeten Bundesrepublik zu stabilisieren und die frühere NS-Funktionselite in sie zu integrieren. Ebenjene NS-Belasteten hatten einen großen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der wehrhaften Demokratie, auch im damaligen Bundesjustizministerium. Dadurch wurde nicht nur ihr Antikommunismus quasi als Expertenwissen aufgenommen, sondern es hat sich eine demokratiehemmende und den Status quo sichernde Vorstellung von Demokratie durchgesetzt. Eine Demokratie, die durch den Staat vor ihren Bürger*innen geschützt werden müsse. Das heißt erstens, dass frühere Nazis in der Ausgestaltung der wehrhaften Demokratie stark mitmischten. Zweitens bedeutet es, dass diejenigen, die von den Nazis verfolgt wurden, ins Hintertreffen gerieten – und damit ihre (Verfolgungs-)Erfahrungen und ihr Wissen. Für sie bedeutete Demokratieschutz etwas anderes als für die ehemalige NS-Funktionselite, auch wenn Letztere sich inzwischen opportunistisch integriert hatte.

Liberale Wende durch
das NPD-Urteil 2017

Nun gut, das ist lang her, möchte man sagen. Mag sein, aber hier hat sich eine resistente Hegemonie entwickelt, die auch heute noch trägt. Erst vergangene Woche erörterten Jurist*innen in der Landeszentrale für politische Bildung unter dem Titel »Freiheitliches Demokratieverständnis – Die neue fdGO-Formel als Zäsur«, warum die Neufassung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die das Bundesverfassungsgericht im NPD-Urteil 2017 vorgenommen hat, kaum bei den Verfassungsschutzbehörden, in der politischen Bildung oder im Bereich der Antidiskriminierung angekommen ist.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung wurde in diesem Nicht-Verbot der NPD als ein Dreiklang aus Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip definiert. Vor allem sollen Demokratie und Rechtsstaat die Basis bilden, auf der sich die Würde des Menschen und seine Subjektqualität überhaupt erst entfalten könne. Das war neu und impliziert heute, dass rassistische Deportationspläne und ein biologistisches Volksverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen, mithin die wehrhafte Demokratie nicht mehr Staats-, sondern Demokratieschutz ist. Der etatistische Unterbau der wehrhaften Demokratie aus den 1950er Jahren hat sich jedoch fest in die Institutionen eingeschrieben und wirkt auch durch die zähe Extremismusformel fort, die das stets eingängige Bild von den extremen Demokratiefeinden links und rechts der Mitte zeichnet. Dass die Probleme eigentlich aus der Mitte kommen, ist vielfach als Kritik am Extremismusmodell dargestellt worden. Und damit wird klar, dass ein Parteiverbot an der Ursache vorbeigeht.

Nicht falsch verstehen: Ein AfD-Verbot kann ein Weg sein, um die Lage zu verbessern. Es würde an einigen Stellen institutionelle Erleichterung verschaffen. Die Partei funktioniert als Sammelbecken für die (extreme) Rechte. Diese Organisationsstruktur wäre mit einem Parteiverbot geschwächt. Sie würde außerdem keine staatliche Finanzierung mehr erhalten. Weiterhin könnten Stadt- oder Gemeindehallen der AfD ihre Räumlichkeiten verwehren, und ihre Wahlwerbespots könnten aus dem öffentlich-rechtlichen Funk- und Fernsehen herausgehalten werden. Auch die letztes Jahr viel diskutierte Finanzierung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung wäre geklärt: Ohne Partei in den Parlamenten kein Geld. Fertig.

Die Ironie der Geschichte ist, dass die AfD selbst die Zivilgesellschaft mithilfe des Extremismusmodells gängelt.

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Die Verdrängung der Verfolgtenperspektive in der Entstehungszeit der wehrhaften Demokratie wiederholt sich aber gewissermaßen heute. Fährt man in die Landstriche, in denen sich Initiativen und einzelne Engagierte schon lange der rechten Hegemonie entgegenstellen, dann sind es neben einem Parteiverbot vor allem politische Lösungen, die ihnen helfen würden, und nicht Symptombekämpfung. Sie benötigen finanzielle, aber auch deutliche ideelle Förderung ohne Verdächtigungen, und es braucht einen Ausbau der vernachlässigten Infrastruktur in ländlichen Regionen, vor allem, aber nicht nur im Osten. Die Ironie der Geschichte ist, dass die AfD selbst die Zivilgesellschaft mithilfe des Extremismusmodells gängelt. Auf der Linksextremismus-Welle nimmt die AfD gern auch andere politische Lager mit, diffamiert alle Engagierten und bringt sie in finanzielle Nöte. Ein Verbot der AfD verschafft diesen Engagierten nur vorübergehend Erleichterung. Wichtiger ist jedoch eine sichere Zukunftsperspektive ihrer Projekte und Initiativen, damit diejenigen, die sich an die mühsame Arbeit machen, den Nährboden trocken zu legen, nicht nur durchhalten, sondern gestärkt werden.

Sarah Schulz ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Kassel und forscht zu Verschränkungen von Politik und Recht. Sie promovierte zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Aktuell forscht sie zu Richter*innen in der Sozialgerichtsbarkeit.

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