Stauffenberg: Er wollte der Retter sein

80 Jahre Hitler-Attentat: Warum wird Claus Schenk Graf von Stauffenberg so verehrt?

Stauffenberg als stramm stehenden Offizier (l.) und Hitler auf der Wolfsschanze, fünf Tage vor dem Attentat
Stauffenberg als stramm stehenden Offizier (l.) und Hitler auf der Wolfsschanze, fünf Tage vor dem Attentat

Es ist ein rundes Jubiläum, das morgen stattfindet. Der 20. Juli 1944, Tag des wohl bekanntesten Attentats auf Hitler, jährt sich zum 80. Mal. Und das Jubiläum wird standesgemäß begangen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) werden bei der Gedenkveranstaltung im Berliner Bendlerblock anwesend sein. Und am Nachmittag gibt es ein »feierliches Gelöbnis von Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr im Gedenken an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft«. Der Oberst der Wehrmacht, Claus Schenk Graf von Stauffenberg hatte am 20. Juli 1944, knapp ein Jahr vor der Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, versucht, Hitler zu töten. Eine von ihm platzierte, in einem Aktenkoffer versteckte Bombe ging bei einer Besprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze in die Luft und tötete vier Personen. Hitler überlebte leider, wenn auch leicht verletzt. Der angestrebte Staatsstreich gegen ihn scheiterte und die Verschwörer vom 20. Juli wurden hingerichtet.

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Stauffenberg, fotogener Adliger, ist zu dem Symbol des Deutschen Widerstands gegen Hitler geworden. Je genauer man auf den Helden Stauffenberg blickt, desto mehr verwundert allerdings die grenzenlose Ehrerbietung, die ihm entgegengebracht wird. Selbst wohlwollende Biografen wie Harald Steffahn bescheinigen ihm eine »großdeutsche, reichsbezogene, völkische Denkweise, die revisionistische Tendenz und schließlich die Faszination durch alles, was aussah nach Tat, nach Ruhm, nach Größe«. Stauffenberg hatte die antisemitische und rassistische Denkweise des Nationalsozialismus verinnerlicht. Nach dem Überfall auf Polen, den er zuvor noch als »Erlösung« bezeichnet hatte, schilderte er in einem Brief an seine Frau die Situation in den eroberten Gebieten: »Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.«

Die Gräueltaten, die SS und Wehrmacht begangen haben, dürften ihm, der an der Ostfront gedient hat, nicht entgangen sein. Ob das der Grund für seine Entscheidung war, sich dem Widerstand anzuschließen, ist nicht klar. Sicher ist, dass er Sorge um die drohende militärische Niederlage und die erwarteten Bedingungen, die die Alliierten dem Deutschen Reich stellen würden, hatte. Nachdem er in Tunesien verwundet wurde, soll Stauffenberg im Lazarett gesagt haben: »Es wird Zeit, dass ich das Deutsche Reich rette.«

Stauffenberg war eine widersprüchliche Figur. Denn trotz allem haben er und seine Mitverschwörer sich, wenn auch spät, dafür entschieden, Widerstand zu leisten – anders als die große Mehrheit der Deutschen. Allein das verdient Respekt. »Wenn sie den Krieg beendet hätten, hätte das Millionen Menschen das Leben gerettet«, sagt Ruth Hoffmann, Autorin des jüngst erschienenen Buches »Das deutsche Alibi«.

Warum aber ist Stauffenberg zu dem Symbol für den Widerstand gegen den deutschen Faschismus geworden? Warum nicht all die Sozialdemokrat*innen, Sozialist*innen und Kommunist*innen, die schon lange vor der drohenden deutschen Niederlage Widerstand gegen den Faschismus geleistet hatten und deswegen unter seinen ersten Opfern waren? Bevor Stauffenberg zum Symbol wurde, galten er und seine Mitverschwörer in der BRD vor allem als eines, als »Verräter«, arbeitet Hoffmann in ihrem Buch heraus. Die Schutzbehauptung, die Deutschen seien von einer bösen Clique an Faschisten verführt worden, war weitverbreitet. Der Gedanke, dass man sich gegen das, was zwischen 1933 und 1945 passiert war, hätte wehren können, hätte diesem einfachen Selbstbild widersprochen.

Befördert wurde diese Deutung nicht zuletzt dadurch, dass der gesamte Verwaltungsapparat der BRD und nicht zuletzt die CDU und die FDP durchsetzt war mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Hans Globke etwa, der an den Nürnberger Rassegesetzen mitgeschrieben hatte, war einer der engsten Vertrauten des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU). Wer im Widerstand war, hatte es schwer. Anders als die wenigen überzeugten Nationalsozialisten, die der halbgaren Entnazifizierung wegen ihre Berufe nicht mehr ausüben konnten, erhielten zahlreiche Hinterbliebene von Widerstandskämpfern keine Rente, beschreibt Hoffmann. Die NS-Urteile wegen Hochverrats galten noch immer und wurden von der Justiz als Begründung herangezogen.

Mit der Entwicklung des Kalten Krieges jedoch setzte Stück für Stück ein Wandel ein. Zum einen galt es, die junge Bundesrepublik wiederzubewaffnen. Da bot sich eine Fokussierung auf die Militärangehörigen unter den Beteiligten am Attentat vom 20. Juli an. Diese konnte man als das »andere Deutschland« präsentieren und vor allem gegenüber dem Ausland eine neue militärische Tradition begründen. Mit dem fortbestehenden Antikommunismus – neben Antisemitismus einem der zentralen Elemente der NS-Ideologie – verbunden, ließen sich in der Frontstellung zu DDR und Sowjetunion auch die vielen kommunistischen Widerstandskämpfer*innen vergessen machen. Hoffman zitierte eine von ihnen, Greta Kuckhoff, die an der »Roten Kapelle« beteiligt gewesen war. Sie warnte schon 1947, dass vor lauter Fokussierung auf den 20. Juli all diejenigen in Vergessenheit gerieten, »die sich nicht erst dann für den Widerstand entschieden, nachdem Hitlers Pläne in einen erfolglosen Krieg geführt hatten«.

Das aktive Vergessen macht aber selbst vor Beteiligten der Verschwörung vom 20. Juli nicht halt. Schließlich waren nicht nur reaktionäre Militärs, konservative Beamte und Politiker an den Umsturzplänen beteiligt. Julius Leber etwa, SPD-Politiker, oder Anton Saefkow, Mitglied der KPD. Dass man sich heute kaum noch an sie und andere erinnere, sei Ergebnis zahlloser Vereinnahmungsversuche vonseiten der Konservativen, schreibt Hoffmann in ihrem Buch. Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl etwa behauptete 1979, es seien die Christdemokrat*innen gewesen, die das »moralische und politische Vermächtnis des Widerstandes in die Politik der zweiten deutschen Republik eingebracht hätten.« Stauffenberg, der konservative Adlige, überstrahlt alle anderen Widerstandskämpfer*innen.

Und heute? Geschichte wird gemacht und baut auf vergangenen Diskussionen auf. Kasernen, Straßen und Plätze sind nach Stauffenberg benannt. Nicht nur wird der Widerstand vom 20. Juli auf Stauffenberg verengt. Er wird auch allseits instrumentalisiert – selbst die AfD beruft sich auf Stauffenberg. Die Rolle die ihm dabei in der geschichtlichen Nachbetrachtung zukommt, ist relativ klar: Das Bürgertum und den Adel als Totengräber der Weimarer Republik und Steigbügelhalter des Faschismus vergessen machen. Er ist die Versicherung, dass man gegen Nazis sein kann, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Faschismus hervorbringen, infrage zu stellen. Für diese Selbstvergewisserung ist man allzu schnell bereit, bei der Betrachtung seines Wirkens und Denkens viel zu übersehen und gleichzeitig andere Widerstandskämpfer*innen, die sich nicht so einfach in eine bürgerliche Tradition stellen lassen, zu ignorieren.

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