Gewinnen, um zu überleben

Zar Amir Ebrahimi über die iranisch-israelische Koproduktion »Tatami«. Filmische Versöhnung?

  • Interview: Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.
Wohin mit der Wut über Manipulation und Repression?
Wohin mit der Wut über Manipulation und Repression?

Es heißt, »Tatami« sei der erste Spielfilm mit iranisch-israelischer Ko-Regie. Was bedeutet das für Sie?

Für mich ist die Botschaft: Freundschaft und Frieden. Mein Ko-Regisseur Guy Nattiv und ich sind beide in Systemen aufgewachsen, die uns einer Gehirnwäsche unterzogen haben. Von uns wurde erwartet, dass wir Feinde sind. Durch das Leben im französischen Exil haben sich für mich Fenster zur Welt geöffnet. Ich habe viele jüdische Israel*innen getroffen, die Freund*innen und Kolleg*innen geworden sind. Mir wurde immer klarer, wie weit die ideologische Beeinflussung gegangen ist. Als ich das erste Mal nach Tel Aviv kam, habe ich mich gefragt: Wie ist das möglich? Wieso sind wir verfeindet? Wir sehen uns ähnlich, wir mögen dasselbe Essen, wir haben dieselbe Kultur. Es ist fast, als lebten wir in demselben Land.

Wie haben Sie regiert, als Guy Nattiv Sie fragte, ob Sie in dem Film über eine iranische Judoka mitwirken würden?

Für mich war es nicht einfach, mich für dieses Projekt zu entscheiden. Ich hatte Ängste – auch, was die künstlerische Arbeit betrifft. Wie können zwei Regisseure mit ihren jeweiligen Egos zusammenarbeiten? Und dann ist da noch der hochbrisante politische Aspekt. Ich bin Iranerin, er ist Israeli. Andererseits: Ich hatte Angst vor meinem eigenen Land, dem Land, in dem ich aufgewachsen bin. Menschen werden in Iran allein schon dann hingerichtet, wenn jemand behauptet, der- oder diejenige hätten mit Israel und den Zionistinnen zusammengearbeitet. Oft geht es dabei nur um Propaganda und darum, Menschen zu manipulieren.

Ich hätte aber wohl mit Guy nicht den Film gemeinsam machen können, wenn er eine ganz andere politische Auffassung hätte als ich. Wir haben zwar anfangs viel diskutiert und ich habe mir mit meiner Entscheidung Zeit gelassen. Ich mag seine Filme sehr. Und nach und nach habe ich auch verstanden, dass wir dieselbe Vision haben. Ich dachte bei mir: Vielleicht ist es ein Fehler mitzumachen, aber das wäre menschlich. Das Wagnis zu unterlassen, wäre jedenfalls grundfalsch gewesen. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich zugesagt habe. Es ist nicht nur ein politischer Film. Ich bin sehr stolz auf das starke künstlerische Ergebnis.

Interview

Zar Amir, bekannt auch als Zar Amir Ebrahimi, ist eine iranische Schauspielerin, die im Exil in Paris lebt. Sie hat an der Schauspielakademie in Teheran studiert, spielte auf der Bühne sowie in Fernsehserien und Filmen. Außerhalb Irans wurde sie durch ihre Mitwirkung an dem Rotoskop-Animationsfilm »Tehran Taboo« bekannt, der beim Festival in Cannes 2017 Premiere feierte. Sie wurde für ihre Arbeit mehrfach international ausgezeichnet, unter anderem 2022 beim 75. Festival de Cannes als beste Schauspielerin für ihre Darstellung im Film »Holy Spider«. 2019 hat sie ihre eigene Produktionsfirma Alambic Production gegründet.
»Tatami« war der erste Spielfilm, bei dem sie Regie führte. Außerdem spielt sie eine der Hauptrollen. Ihr Ko-Regisseur Guy Nattiv ist ein israelischer Filmemacher, in dessen jüngstem Spielfilm »Golda – Israels eiserne Lady« Helen Mirren die erste Premierministerin von Israel spielte. Sein Kurzfilm »Skin« gewann 2019 den Oscar für den besten Live-Action-Short-Film.

Sie haben sich entschieden, die Geschichte als eine Art Thriller in Schwarz-Weiß zu erzählen. Warum?

Von Anfang an war uns beiden klar, dass es wichtiger ist, die Geschichte einer iranischen Frau zu erzählen, als einen unterhaltsamen, bunten Sportfilm zu machen. Es sollte ein guter, künstlerisch wertvoller Film werden. Wir sind beide dem Independent-Cinema sehr verbunden und haben uns auch deshalb sehr gut verstanden. Ich mochte die Idee, diese starke Geschichte in Schwarz-Weiß zu erzählen. Und alles dementsprechend zu orchestrieren: die Stimmungen, das Make-up, die Kameraschwenks. Wir mussten auch einen Weg finden, wie wir uns der Sportart nähern. Für uns ist Judo eine Art von Tanz – also haben wir uns darauf geeinigt, dass die Kamera mit den Judokas »tanzt«.

Wie lange währten die Dreharbeiten?

Wir hatten nur 24 Tage für den Dreh. Das war eine sehr intensive Zeit – auch, weil wir alle aus verschiedenen Ländern kamen und die Kommunikation manchmal schwierig war. Um Konflikte zu vermeiden, haben Guy und ich uns geeinigt: Er kümmert sich mehr um die Vorbereitungen der Dreharbeiten und die Kameratechnik und ich mehr um die Schauspieler*innen und Kostüme. Sobald wir am Set waren, haben wir Hand in Hand gearbeitet.

Sie wurden zuerst gefragt, die Trainerin von Leila zu spielen, Maryam. Sie wird zwischen ihren sportlichen Ambitionen und dem Druck des Regimes förmlich zerrissen. Später erst sind Sie Teil des Regie-Teams geworden. Wie kam es dazu?

Nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte, habe ich Guy gesagt, dass ich den Charakter von Maryam noch nicht richtig erkennen kann. Die Basis war da und auch interessant. Aber es fehlte etwas. Ich bemerkte, dass der eigentliche Kern der Handlung ist, wie zwei Generationen von Frauen mit der gegebenen Situation umgehen. Die Jüngere will nicht mehr lügen und die Ältere lebt seit Jahren mit ihren Lügen und bedauert das irgendwann. Ich habe Guy vorgeschlagen, den Charakter der Maryam zu überarbeiten. Irgendwann entstand eine Version der Figur, die mir gefiel. All diese Diskussionen über Authentizität, die wir hatten, kamen dem Film zugute. Zu jenem Zeitpunkt kam gerade auch »Holy Spider« raus, in dem ich die Hauptrolle spielte, und Guy wusste, wie sehr ich unter anderem in die Produktion und das Casting involviert war. Also schlug er vor, dass ich den Rest des Castings bei »Tatami« übernehme. So bin ich zu einer Art Partnerin für ihn geworden.

Kann man gleichzeitig spielen und Regie führen?

Seit vielen Jahren mache ich unterschiedlichste Dinge beim Film, die ich alle interessant finde. Ich bin nie damit zufrieden, nur zu spielen. Wenn ich spiele, bin ich in alle Regie-Entscheidungen eingebunden. Manche Regisseur*innen mögen das nicht, aber dann arbeiten sie nicht mit mir. Ich bin Schauspielerin, aber ich muss über meinen Charakter diskutieren, über die Kameraführung und darüber, wie wir uns im Raum bewegen und was als nächstes passiert. Das ist nicht einfach, es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Es war gut, Guy an der Seite zu haben. Wenn ich mit meiner Leistung nicht zufrieden war, wollte ich es noch einmal machen. Das hat er verstanden.

Sie haben durch die Arbeit an »Tatami« Ängste überwunden, sagen Sie. Vermag der Film auch andere Menschen einander anzunähern?

Ich weiß, dass wir die Welt nicht mit Filmen verändern können. Aber ich glaube, dass wir Menschen inspirieren können. Wenn nur zehn Zuschauerinnen aus der Vorführung kommen und Tränen in den Augen haben, denke ich: Wir haben unseren Job erledigt. Es geht nicht nur um den Mittleren Osten. Gerade drehe ich im Kaukasus. Zwischen Armenier*innen und Aserbaidschaner*innen wütet derselbe Hass wie zwischen Iran und Israel. Überall auf der Welt gibt es verfeindete Parteien und Extremistinnen. Wenn wir Menschen ermuntern, einander besser kennenzulernen und zu verstehen, dann hätten wir eine bessere Welt. Wir müssen einander zuhören, uns gegenseitig berühren und fühlen.

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In »Tatami« muss sich die Judoka Leila entscheiden, ob sie den Forderungen des Regimes gehorcht oder ein Leben im Exil in Kauf nimmt. Sie selbst haben Iran aus politischen Gründen verlassen. Welche Parallelen gibt es zwischen Sportler*innen und Filmemacher*innen?

Sport und Kino haben insofern Ähnlichkeiten, dass sie ein großes Publikum erreichen und viel Einfluss haben. Jedes Mal, wenn eine Filmemacher*in oder eine Sportler*in den Mund aufmacht, hat das auf einer symbolischen Ebene viel verändert. Wir brauchen diese Held*innen, die sich zu Wort zu melden. In unserem Film geht es um die große, lebensverändernde Entscheidung, das Land zu verlassen und für die eigene Freiheit und die eigene Karriere zu kämpfen. Es gibt inzwischen ein internationales Flüchtlings-Judoka-Team. Der Trainer ist ein guter Freund geworden und gab uns viele Ratschläge. Er war einer der ersten Sportler, die »Nein« gesagt haben. Die Liste von iranischen Sportler*innen, die ihre Karriere wegen Irans Problem mit Israel aufgeben mussten, ist lang.

Im Exil zu leben ist nicht einfach. Das gilt für Sportler*innen wie für Künstler*innen. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich die neue Kultur kennengelernt habe und die Sprache beherrschte und ein Netzwerk aufgebaut hatte, damit ich meine Geschichten erzählen und wieder arbeiten konnte. Sportler*innen sind in derselben Situation. In dem Moment, in dem sie die Entscheidung getroffen haben, ist klar, dass sie nicht zurückkönnen. Die einzige Möglichkeit zu überleben, ist zu gewinnen.

Während Sie den Film gemacht haben, starb die junge Iranerin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei festgenommen worden war. Das führte zu enormen Protesten, die das Land erschütterten. Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Arbeit?

Wir haben zwei Monate nach ihrem Tod mit dem Dreh begonnen, zum Höhepunkt der Demonstrationen. Jeden Tag gab es neue Videos von Protesten. Am Set herrschte eine begeisterte Stimmung – nicht nur bei der iranischen, sondern auch bei der israelischen, der georgischen, der amerikanischen Crew. Alle waren involviert. Es gibt einige Momente im Film, die wir nicht wirklich erwartet hatten, sondern die passiert sind, weil uns alle das gleiche Gefühl, die gleiche Empörung und die gleiche Euphorie einte. Es hat war für uns wie ein revolutionärer Akt, diesen Film über eine neue Generation weiblicher Athleten zu machen.

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