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Puigdemont entkommt dem »Käfig«
Rückkehr des katalanischen Exilpräsidenten überlagert Parlamentseröffnung
Die katalanische Hauptstadt Barcelona befindet sich am Donnerstag quasi im Ausnahmezustand. An jeder Ecke steht Polizei, es gibt Straßensperren, Kontrollen in Zügen und Hubschrauber kreisen über der Stadt. Der Eindruck ähnelt dem vor sieben Jahren, nachdem islamistische Terroristen am 17. August Anschläge in Barcelona verübten und 16 Menschen auf den Ramblas ermordeten. Nun wird kein Terrorist gesucht, sondern der Exilpräsident Carles Puigdemont, der am 1. Oktober 2017 eine friedliche Abstimmung über die Unabhängigkeit von Spanien durchführen ließ, ohne Madrid um Erlaubnis zu fragen.
Für die Neukonstituierung des im Mai gewählten katalanischen Parlaments hatte Puigdemont versprochen, nach sieben Exiljahren in seine Heimat zurückzukehren. Er will als gewählter Abgeordneter seinen Sitz in einem von der Polizei umzingelten Parlament einnehmen. Puigdemont war zur Wahl zugelassen und gewählt worden. Doch trotz Amnestiegesetz besteht bis heute ein Haftbefehl gegen ihn, der mit der »Operation Käfig« vollstreckt werden sollte.
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»Puigdemont, unser Präsident«
So plötzlich wie Puigdemont nach dem Unabhängigkeitsreferendum und nach Verkündigung der Unabhängigkeit wegen der spanischen Repression Ende Oktober 2017 nach Belgien verschwinden konnte, tauchte er vor seinen Anhängern am Triumphbogen in Barcelona am frühen Donnerstag wieder auf. Hier waren Tausende Menschen zusammengeströmt, um ihn zu empfangen und zu schützen. Sie wollen ihn wie Marta Sabatés ins Parlament begleiten. »Ich habe meinen Urlaub unterbrochen, bin eilig mit meiner Tochter zurückgefahren«, erklärt sie in der schwülen Hitze. Sie wartet darauf, dass Puigdemont die Bühne betritt.
Der war, begleitet vom Anwalt Gonzalo Boye und Vertrauten, durch die engen Gassen geleitet worden. In der Trafalgar-Straße wurde er von den Abgeordneten seiner Partei »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) empfangen, um ihn zur Kundgebung zu geleiten. Auf der Bühne hält er eine kämpferische Rede. »Wir sind noch immer hier«, rief er dem breiten Spektrum derer zu, die sich versammelt haben. »Puigdemont, unser Präsident«, schallt es zurück. Niemand habe das Recht, »auf die Selbstbestimmung zu verzichten, da es sich um ein kollektives Recht handelt«. Ein Referendum zu organisieren, um dieses Recht umzusetzen, »ist kein Verbrechen und wird niemals ein Verbrechen sein«, fügte er an. »Unabhängigkeit«, schallt es aus der Masse zurück.
Viele wollten »meine Verhaftung feiern« und damit sogar ein vom »spanischen Parlament verabschiedetes Gesetz brechen«. Er bezieht sich auf das Amnestiegesetz. Trotz Amnestie hält der spanische Richter Pablo Llarena mit einer absurden Argumentation an seinem Haftbefehl fest, um sie auszuhebeln. Sein Kollege Manuel García-Castellón verfolgte dasselbe Vorhaben und erhob den Vorwurf des »Terrorismus«. Er musste sein Verfahren bereits einstellen. Der frühere Richter am Obersten Gerichtshof José Antonio Martín Pallín verweist auch darauf, dass Puigdemont als Parlamentarier »Immunität« genießt.
Vor dem Parlament ist die Wut groß, dass die für Unabhängigkeit eintretende »Republikanische Linke Kataloniens« (ERC) nach ihrer Wahlschlappe nun den Unabhängigkeitsgegner Salvador Illa zum Regierungschef küren will. Illas PSC hat 42 Sitze, Comuns, der katalanische Ableger der Linkspartei Podemos, hat sechs Sitze, sodass sämtliche Stimmen der 20 ERC-Abgeordneten für die absolute Mehrheit von 68 Sitzen benötigt werden. Marta Sabatés hat die ERC noch im Mai gewählt und fühlt sich betrogen. »Die ERC hat immer gesagt, mit Illa nicht paktieren zu wollen.« Dass die ERC Illa küren will, kann auch der ERC-Veteran Joan Puig nicht verstehen. Er befürchtet, dass sich die ERC mit diesem Schritt »auf den Müllhaufen der Geschichte befördern wird«. Illa stehe für den spanischen Nationalismus. Er habe nicht nur die Repression beklatscht, sondern habe auch mit Faschisten gegen das Selbstbestimmungsrecht demonstriert. Dass die Parteispitze nach einem knappen Ja von 53,6 Prozent der Mitglieder diesen kontroversen Weg geht, bringt die ERC der Spaltung näher.
Illa muss um Mehrheit kämpfen
lllas Wahl ist nicht nur wegen knapper Mehrheiten in der Schwebe. JxCat hat zudem die Suspendierung der Sitzung beantragt, da Puigdemont der Zugang verwehrt wurde. Eine Abstimmung könnte illegal sein. Die Prügelaktionen der Polizei vor dem Parlament gegen Puigdemonts Anhänger inklusive Pfeffersprayeinsatz erinnern an brutale Übergriffe auf Wähler beim Referendum durch spanische Sicherheitskräfte. Nun ist es die katalanische Polizei unter einer ERC-Regierung. Tanzt nur ein ERC-Parlamentarier aus der Reihe, weil er das nicht mittragen will, fällt Illa durch. Puigdemont ist derweil weiter unauffindbar.
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