Selbstmorde trotz »grünem« Apfel

Aus gegebenem Anlass: Ein Blick auf die öko-sozialen Schattenseiten der bunten digitalen Welt

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 6 Min.
Einige deutsche Unternehmen müssen ihre Produktion einschränken – weil ihnen die Hightech-Metalle ausgehen. Doch drohende Rohstoffknappheit ist nicht das einzige Problem der IT-Industrie: Die Arbeitsbedingungen sind übel, die Energieverschwendung ist enorm und giftige Chemikalien belasten die Umwelt.
Grüne IT – meist graue Theorie...
Grüne IT – meist graue Theorie...

Es muss wohl viel geschehen, wenn ein (halbwegs kluger Gedanken ansonsten unverdächtiger) FDP-Wirtschaftsminister betont, wie wichtig es sei, Rohstoffe klüger wieder zu verwerten. »Recycling ist wichtigste heimische Rohstoffquelle«, sagte Rainer Brüderle unlängst auf einem Rohstoffkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Dazu müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden. Also: Mehr staatliche Regulation! Doch die BDI-Leute, ansonsten eher als Freunde des Marktes bekannt, protestierten nicht. Seit Jahren warnen sie: Die Versorgung mit Rohstoffen sei von »strategischer Bedeutung für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland«. Allerdings gebe es dabei erhebliche Probleme. In ihrer Verzweiflung riefen die BDI-Oberen bereits 2007 nach – Achtung: – ausgerechnet dem Staat, der ansonsten, zusammen mit den Gewerkschaften, für alle Übel der Welt, mindestens aber den drohenden Untergang deutscher Firmen verantwortlich gemacht wird.

Aktueller Anlass der Brüderle-Initiative: »Deutschen Firmen gehen Hightech-Metalle aus«, so eine SPIEGEL-ONLINE-Überschrift. Erste Firmen in Deutschland bekämen keine Metalle für die Hochtechnologie mehr geliefert, »die sogenannten Seltenen Erden sind ihnen ausgegangen«. SPON: weiter: »Die Betriebe werden ihre Produktion vermutlich einschränken müssen.« Zitiert wird der Geologe Harald Elsner von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: »Wir stehen am Beginn einer Versorgungskrise«.

Rohstoffknappheit: Wann ist die Party vorbei?

Die Seltenen Erden sind unverzichtbar für viele Produkte, darunter Computer, Handys, Autos, Rüstungsgüter. 97 Prozent der Hochtechnologie-Rohstoffe werden in China gefördert. Doch China schränkt die Ausfuhr ein, um seine Ressourcen zu schonen. Will meinen: Die aufstrebende Wirtschaftsmacht braucht seine Ressourcen selbst. Die Frage ist: Wie lange reichen sie aus, um den hungrigen und immer größer werdenden Marktmagen zu sättigen? Und: Wie lange werden wir es uns leisten können, im Zwei-Jahres-Takt immer neue Smartphones, Tablet-Computer, Laptops und Schreibtisch-PCs zu kaufen? Dass für den in der Handyproduktion bisher unverzichtbaren Rohstoff Coltan blutige Kriege angeheizt werden, kann der westliche Konsument getrost ignorieren (es sterben ja »nur« Afrikaner). Wenn aber all die wichtigen Rohstoffe ausgehen oder extrem teuer werden – dann ist die Party vorbei.

PC-Produktion: Enormer Energie- und Rohstoffverbrauch

Die Produktion von Computern und anderer IT-Komponenten ist äußerst energie- und materialintensiv. Beim Bau eines durchschnitllichen PC werden 22 Kilogramm oft hochgiftige Chemikalen verarbeitet, dazu über neun Kilogramm meist energieintensiver Metalle wie Stahl und Kupfer, schließlich werden 240 Kilogramm fossiler, also klimaschädlicher Brennstoffe verfeuert. Viele der Chemikalien gelangen in die Umwelt. Die Zahlen stammen aus einer Studie der United Nations University – und sind über zehn Jahre alt. Neuere Zahlen liegen meines Wissens nicht vor. Selbst dann, wenn die Branche heute ein wenig energieeffizienter und umweltschonender produzieren sollte als seinerzeit – die Zahl der Computer steigt von Jahr zu Jahr. Das Wachstum fräße alle Öko-Fortschritte auf.


China: Üble Arbeitsbedingungen in der globalen IT-Werkbank

»Die zentrale IT-Werkbank der Welt ist China«, sagt Sarah Bormann vom Projekt »PC Global«, »alle großen Hersteller haben ihre Produktion ausgelagert.« Die Kontraktfertiger im Reich der Mitte seien immer dieselben – unabhängig, welch wohl klingenden Markennamen die dort hergestellten Rechner tragen werden. Entsprechend gebe es keine Unterschiede bei den Sozialstandards: »Wenn HP sich als sozialer darstellt als Dell, dann ist das Nonsens. Beider Computer werden an den selben Fließbändern hergestellt.« Und dort geht es durchaus nicht romantisch zu. »Extreme Gewerkschaftsfeindlichkeit, extrem lange Arbeitszeiten, extrem monotone und anstrengende Arbeit«, so fasst die Politologin Bormann die Situation in den »HighTech-Sweatshops« zusammen. Die Menschen, die unsere Computer zusammenbauen, seien zudem vielen toxischen Stoffen ausgesetzt. Die Konsequenz für die Gesundheit reiche von Atemwegsproblemen bis hin zu Krebs. Ein Problem: die schlechte Schulung. »Die Arbeiter wissen oft nicht, mit welchen Stoffen sie hantieren«. Deswegen nähmen sie beispielsweise den Mundschutz ab, um weniger stark zu schwitzen. Ob es positive Ausnahmen gebe? »Im Sozialen nicht, in der Ökologie schon.« Green IT sei in aller Munde: »Meist geht es ums Stromsparen«, sagt Bormann, »also ums Geldsparen.«

Ex-Deutsche-Bank-Chefökonom: Unternehmen nutzen selbst profitable Einspar-Chancen nicht Informations- und Kommunikationstechnologie »ist nicht ‚grün‘ und wird es niemals sein«, glaubt Norbert Walter, der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank Gruppe. Doch könnten die Unternehmen der Branche immerhin einiges tun, um ein Stück weit weniger ungrün zu werden: Ihre Energieeffizienz verbessern, ihr Gebäudedesign umweltverträglicher gestalten, ihre IT-Systeme intelligenter nutzen und – selbst das passiert also offenbar nicht: – die »umweltverträgliche Entsorgung von alter Hardware gewährleisten«. Ein vernichtendes Urteil, ausgestellt durch einen ehemals hohen Manager der mächtigsten Bank Deutschlands. Als Beispiele nennt Walter die ineffiziente Nutzung von Serverrechnern: Die nutzten selten mehr als sechs Prozent ihrer Kapazität. Und: »In manchen Unternehmen [sind] bis zu 30% der Server permanent im Leerlauf.« Mancher Stromfresser ließe sich also umstandslos einsparen, bei materiellem Gewinn für die Unternehmen. Walter spricht entsprechend von einer »Strom- und Platzverschwendung«. Unternehmen sollten ferner, fordert der Ökonom, »bereits existierende Energie- Management-Technologien« nutzen. Was nichts anderes bedeutet als: sie tun es nicht. Auch könnten »überflüssige Energie-und Kühlsysteme« reduziert werden. Glaubt man Norbert Walter, dann vernachlässigen IT-Unternehmen sinnvolle Maßnahmen selbst dann, wenn sie sich, zumindest mittelfristig, auch finanziell rentieren.

Gibt es ein positives Gegenbeispiel?

Auf der Suche nach einem positiven Gegenbeispiel fragte ich beim Internetdienstleister Strato an: Hey, Sie verwenden doch Ökostrom in ihren Rechenzentren! Wie kam es dazu? Doch die Antwort von Stratos PR-Managerin Annette Hoxtell ist ernüchternd. Man verbrauche, trotz aller Einsparmaßnahmen, derer sich das Unternehmen rühmt, »so viel Strom, wie 5000 Vier-Personen-Haushalte«. In dieser Größenordnung gebe es nur drei Anbieter, die »Ökostrom« sicher und »zu einem akzeptablen Preis« liefern könnten. Man habe sich daher für »klimafreundlichem Strom aus Laufwasserkraft« der Firma EnergieDienst entschieden. Die jedoch gehört zum Atom- und Kohle-Giganten EnBW. Der Ökostrom konventioneller Anbieter steht ja in der Kritik: Oft würden alte Anlagen »wiederentdeckt« – und der dort seit ewigen Zeiten produzierte Strom schlicht unter dem Label »Öko« neu (und teurer!) vermarktet. Stratos Wasserkraftwerk wurde vor über hundert Jahren erbaut. Der Strompreis, sagt Strato-PR-Frau Hoxtell, »liegt etwas höher als günstige Tarife für klimaschädlichen Egalstrom«. Dass so wirklich Treibhausgase eingespart werden, ist fragwürdig.

Die Webseite kwh-preis.de liefert eine Übersicht von Webhostern, die vermeintlichen oder tatsächlichen Ökostrom nutzen. Das Fazit: »Es ist sehr erfreulich, dass inzwischen schon einige Webhoster auf Ökostrom umgestellt haben. Es fällt auf, dass die größeren Marktplayer ihren Ökostrom überwiegend von der Naturenergie AG beziehen.« Einige kleinere Anbieter »setzten dagegen häufig auf Greenpeace Energy« – also auf ein anerkanntes Ökostrom-Unternehmen. Immerhin, das.

Öko ist nicht immer auch sozial

Und die Gegenwehr gegen all die Übel? Selten sind zumindest teilweise erfolgreiche Kampagnen wie »Greening My Apple«. Doch obwohl sich die Umweltschutzorganisation Greenpeace rühmt, den Computer-Konzern Apple ein Stück weit ökologisiert zu haben: Auch Apple lässt in China produzieren. Die »Selbstmordserie« beim Apple-Zulieferer Foxconn erzeugte im Mai Negativ-Schlagzeilen. Als Grund für die neun Suizide wurden die schlechten Arbeitsbedingungen ausgemacht. All den schönen Lifestyle-Produkten mit dem angebissenen Apfel darauf sieht man das natürlich nicht an.

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