Gegen das »dauernde Abreißen«: zur Debatte über Linke, Partei und Bewegung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 8 Min.
Mitte November findet erneut ein Bewegungsratschlag bei der Linkspartei statt. Das erste Treffen dieser Art im Sommer hat nicht viel Schlagzeilen gemacht - es ging darum, »gegenseitige Erwartungen, Herausforderungen und Planungen« zu besprechen. Rund 40 Vertreter von Sozialverbänden, Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden und linken Gruppen waren der Einladung der neuen Doppelspitze der LINKEN gefolgt, nach dem Ratschlag war von einer »sehr konstruktiven und solidarischen Debatte« die Rede.

Man ging auseinander mit dem Vorsatz, die Diskussion fortzusetzen: konzentriert auf drei Schwerpunkte (Umverteilung, Kampf um öffentliche Güter, Revitalisierung der sozialen Frage) sollte in den jeweiligen Gruppen und Zusammenhängen soweit Vorarbeit geleistet werden, dass »beim nächsten Treffen eine Verständigung« möglich sei, wie es in der Einladung für den 16. November heißt, »wie wir sie als gemeinsame Projekte (...) entwickeln können«.

Parallel zu dem, was sich im Bewegungsratschlag ausdrückt - ein neuer Versuch, das Verhältnis von Partei und Bewegung, von parlamentarischer Praxis und außerparlamentarischem Protest auszuloten - begann im Juni eine kleine Debatte: Ausgangspunkt war der Eintritt von mehreren Linken in die Linkspartei, prominent erklärt unter anderem von Raul Zelik. Der Schritt blieb nicht ohne Widerspruch, es gab offene Briefe, Podiumsdiskussionen, ein paar Debattenbeiträge auf Blogs und in linken Zeitungen.

Debatte mit Ausstrahlung steht noch aus

Doch die Fäden dieser Verständigungen erscheinen irgendwie unverbunden. Was die Gruppe Soziale Kämpfe einmal als Ziel formulierte, nämlich »die bisherige Arbeitsteilung von linker Partei und linker Bewegung auf den Prüfstand zu stellen«, blieb vereinzelter Versuch. Eine Diskussion, die den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen angemessen wäre, eine Debatte also, die bundesweite Ausstrahlung hat, die einen politischen Magnetismus entfaltet, dem sich auch die großen Gewerkschaftsschiffe nicht entziehen können, eine solche Diskussion müsste erst noch in Gang kommen.

Ein Weg dorthin könnte darin bestehen, das Verhältnis von Bewegung und Parteien mehr inhaltlich zu bestimmen – statt, wie es oft geschieht, auf der Ebene von allgemeinen Bündnisappellen oder grundsätzlicher Parteienkritik stehen zu bleiben. In einem Text über »Finanzdominierte Akkumulation und die Krise in Europa« haben - um nur ein Beispiel zu nennen - Alex Demirovic und Thomas Sablowski ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es innerhalb der fragmentierten Linken »vielleicht Einzelne oder Gruppen« gibt, »die sich mit ähnlichen Fragen und Problemen wie wir beschäftigen«. In diesem Fall mit Fragen der Bestimmung der gegenwärtigen Krisenmomente, von Einstiegsprojekten in eine Transformation, einer sozialistischen Perspektive und einer »linken« Europapolitik. In der Krise sei »es nicht die Aufgabe der Linken, den Euro zu verteidigen oder umgekehrt gegen den Euro zu mobilisieren. Hauptaufgabe der Linken ist es, zur besseren Verteidigung der subalternen Klassen gegen die Austeritätspolitik beizutragen«, schreiben Demirovic und Sablowski.

Wie aus der Summe der einzelnen Teile mehr wird

Wer dabei welche Rolle übernimmt, damit aus der Summe der einzelnen Teile mehr wird als ein zum hundertsten Mal ausgebliebener »heißer Herbst«, was für Lernerfahrungen wo gemacht werden könnten und wie das, was der Autor Michael Wildenhain in der "Tageszeitung" ein "dauerndes Abreißen von Zusammenhängen« nennt, verhindert werden könnte, welche Rolle ein Begriff wie jener der Mosaiklinken in Zeiten noch haben kann, in denen die Steinchen sich allzu oft nicht zu einem Bild fügen - das sind die Fragen, die zu beantworten das nd-Blog »In Bewegung« einen Beitrag leisten will.

Dazu gehört, zusammenzubringen, was noch zu oft nebeneinander läuft: die Fäden der bereits geführten Diskussionen. Man interessiert sich ja mindestens dafür, was die Neu-Mitglieder seit ihrem oben angesprochenen Eintritt im Sommer an Erfahrungen in der Linkspartei gemacht und welche Konsequenzen daraus gezogen haben. Und hiervon ausgehend ließe sich der Streit dann vielleicht sogar ein bisschen thematisch strukturieren und wo nötig ausweiten.

Die nun folgende Übersicht beansprucht keine Vollständigkeit, sie ist nur ein kleiner aktueller Ausriss. Wer Hinweise auf Texte aus früheren Jahren hat, welche die Debatte voranbringen könnten; wer weiß, wo andere wichtiges zur Diskussion beigetragen haben: ein kurzer Kommentar unter diesem Text mit Link - und wir vom nd-Blog »In Bewegung« ergänzen die Liste:

Die Debatte seit Sommer 2012:

Die radikale Linke profitiert von einem Dialog
Lena Kreck über das Verhältnis von Partei und Bewegung, 15. Juni – hier

Widersprüche sind auszutragen
Michael Barg über Linke in und neben der Linkspartei, 15. Juni – hier

Fast eine Liebeserklärung
Raul Zelik erklärt seinen Eintritt in die LINKE, 16. Juni – hier

Und vor zwei, drei Jahren?
Anne Roth ist skeptisch, die Linkspartei von innen zu verändern, 18. Juni – hier

Mosaik statt Mitglied
Thomas Seibert über die Linke als Bewegungs- und Wahlpartei, 18. Juni – hier

Ein Brief an Raul Zelik
Ingo Stützle hat ein paar Nachfragen und kritische Anmerkungen, 21. Juni – hier

Pluralität ist anzuerkennen
Christoph Kleine über das Verhältnis von Partei und Bewegung, 21. Juni – hier

»Weiter so« in der Krise?
Gruppe Soziale Kämpfe über Partei und Bewegung, 30. Juni – hier

Hoffnung auf Aufbruch
Aufruf von Linken, die ihren Eintritt in die LINKE erklären, 30. Juni – hier

»Die Grünen sind mir zu bieder«
taz-Interview mit Michael Wildenhain, 28. Juli – hier

Partei der Bürgermacht
Ein Brief von Peter Grottian an die neue Doppelspitze der LINKEN, 4. August – hier

Realistisch sein, das Unmögliche versuchen
Steven Baldser über Blockupy in Frankfurt, 11. August – hier

Früh gegen kommende Angriffe mobilisieren
Tine Steininger über die europäischen Krisenproteste, 11. August – hier

Kommse rein, könnse rausgucken
Eine Kritik der ak-Redaktion an der Debatte "Partei und Bewegung", 17. August – hier

An der Problematik vorbei
Mario Candeias' Antwort auf »Kommse rein, könnse rausgucken«, 21. September - hier

Ein richtiger Ort für (selbst-)kritische Fragen
Raul Zelik antwortet auf Ingo Stützle und die ak-Redaktion, 21. September - hier

Teil des Problems, nicht der Lösung
Heiko Laning zur Parteipolitik beim Aktionstag umFAIRteilen, 21. September - hier

«Die Revolte ist kein Selbstzweck«
Michael Wildenhain im Gespräch über LINKE und Autonome, 22. September - hier

Es kam mir bedeutsam vor
Interview mit einem Neumitglied der LINKE, 19. Oktober - hier

Setzt nicht auf die Politik!
Ingo Stützle über UmFAIRteilen und die Parteienpolitik, 19. Oktober – hier

Ziviler Ungehorsam und Blockupy
Werner Rätz über Attac und die Krisenproteste, 20. Oktober – hier

Vom Schwarm in Bewegung gehalten
Anja Mayer und Jörg Schindler: Vorschläge für eine »neue Linke«, 22. Oktober - hier

Zielt aufs Schienenbein!
Peter Grottian plädiert für eine Eskalationsstrategie, 2. November - hier

Das Wahljahr und die antikapitalistsiche Bewegung
Christine Buchholz über die Linkspartei, die Linke und 2013, 2. November - hier

Partei, Bewegung, radikale Linke
Christoph Kleine über die Eigenständigkeit der Akteure in Bündnissen, November - hier

Mehr als Mäusepiepen
Thomas Seibert über die Aufgaben der radikalen Linken 2013, 8. November - hier

Ich geh weg
Gerhard Hanloser über Szene-Klüngel und Parteistrukturen, 15. November - hier

Ältere Texte:

Suchen, finden, fördern
Sören Benns Überlegungen zum Selbstverständnis einer neuen Linken (2006) - hier

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.