Mehr als Mäusepiepen

  • Thomas Seibert
  • Lesedauer: 9 Min.
Manche Beiträge zu der Debatte, die vom Beitritt bisher parteiungebundener Linker zur LINKEN ausgelöst wurden, kommen über ein Mäusepiepen nicht hinaus. Dabei dienen die unterschwellig aggressive Aufgeregtheit und der Tonfall anmaßender Belehrung wesentlich dazu, die Müßigkeit der aufgefahrenen Argumente zu verdecken. Für diese Müßigkeit selbst gibt es zwei Gründe, einen guten und einen schlechten.

Fangen wir mit dem Positiven an. Ein Streit, ob Linke in der LINKEN oder außerhalb ihrer arbeiten sollen, ist insoweit müßig, als die Kommunikation zwischen verschiedenen linken Praxisformen historisch noch nie so gut war wie im Moment: es reden viele vertrauens- und verständnisvoll mit vielen, und wenn sie das tun, spielt die jeweilige „Anbindung" meist eine pragmatische, nur am Rand eine identitäre Rolle. Viele Linke anerkennen im Prinzip die Unverzichtbarkeit unterschiedlicher linker Praxisformen wie ihre Angewiesenheit aufeinander. Die Teilhabe an der einen oder anderen oder an mehreren zugleich ist keine Bekenntnisfrage mehr. Verglichen mit dem 20. Jahrhundert ist das ein ungeheurer historischer Fortschritt.

Der negative Grund der Müßigkeit mancher jüngst wieder aufgelegten Argumente liegt in der wenig veränderten gesamtgesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit sämtlicher linker Praxisformen. Von ihr her ist es relativ schnuppe, ob eine Linke Mitglied der Partei DIE LINKE oder der Interventionistischen Linken, Gewerkschafter_in oder Bewegungsaktivist_in ohne Organisationszugehörigkeit ist, leider. Diskussionswürdig am gezielten Beitritt parteiungebundener Linker zur LINKEN sind deshalb eher praktische Fragen der Regie als die Sache selbst. Geschadet hat es sicher nicht, geholfen erstmal nur wenig.

Wo's wirklich weh tut

Wirklicher Diskussionsbedarf besteht insofern über die Tatsache unserer fortdauernden weitgehenden Bedeutungslosigkeit und wie sie geändert werden könnte. In der bisherigen Debatte kam das im Beitrag Mario Candeias' zur Sprache, in seinem Satz: „Es gibt keine transformatorische Perspektive, das Mosaik ergibt eben kein Bild." Hier sind wir am wunden Punkt, hier tut's weh. Wobei der Skandal nicht bloß darin liegt, dass Mario an dieser Stelle recht hat, sondern mehr noch darin, dass sich quer durch alle linken Praxisformen viele, zu viele Linke so sehr mit diesem Faktum abgefunden haben, dass sie es gar nicht mehr in Frage stellen.

Fatal wird diese Resignation dort, wo sie sich gleichsam wider besseres Wissen mit einem oft sogar aufwendigen Aktivismus verbindet, der sich irgendwie sozialistisch/kommunistisch gerichtet glaubt und das wiederholt verkündet, ohne ernsthaft in den Blick zu nehmen, wie der Übergang erreicht, der Sieg errungen werden könnte. Um das, was fehlt, die Transformationsperspektive, an dem Beispiel zu erläutern, das uns heute nicht mehr weiterhilft: Die relevanten linken Strömungen des 20. Jhdts. hatten eine Perspektive des Übergangs, den „Aufbau des Sozialismus (erstmal je) in einem Land". Ihr folgten nicht nur ML-Linke aller Strömungen, ihr folgten die antikolonialen Befreiungsbewegungen und auch die sozialdemokratische Linke. Aus ihr bestimmten sich je und je die Parteiform, ihr Verhältnis zu Gewerkschaften und Bewegungen, die Rolle bewaffneter Formationen – und der immer identitär und oft blutig ausgetragene Streit mit den Linken, die zwar in derselben Perspektive, doch anders dachten.

Erste Annäherung an eine Transformationsperspektive

Natürlich können wir die uns fehlende Perspektive nicht einfach malen. Doch müssen die Analyse des Bestehenden, die strategische Bestimmung des eigenen Handelns und das Verhältnis der verschiedenen linken Praxisformen zueinander aus der Achtsamkeit auf solche Transformationsperspektiven oder eben auf ihr Fehlen erfolgen. Andeuten lässt sich das im Blick auf die Krise der EU und die zurückliegenden und kommenden Krisenproteste. Beide, Krise wie Krisenproteste, entfalten sich entlang einer Nord-Süd-Spaltung, schlagen im Süden durch und bleiben im Norden gedeckelt.

In Griechenland gibt es immerhin einen relevanten linken Ansatz, das Projekt von Syriza: die Option einer linken Regierung, die sich eben keinen „Sozialismus in einem Land", wohl aber einen Bruch mit dem Krisenregime der EU zum Ziel setzt. Interessant daran ist, dass sich viele in Syriza dieses Projekt (anders etwa als die KKE) als europäisches und deshalb historisch wirklich neu denken: sie wollen in der EU bleiben, um ihr eine konstitutionelle politische Krise mit offenem Ausgang aufzuzwingen. Eine Krise, die zur Transformationsperspektive werden könnte, wenn sie in den spanischen, portugiesischen und italienischen Kämpfen als solche aufgegriffen würde: was nicht ausgeschlossen ist, so unbewiesen das vorläufig bleibt. Mir geht's hier zugleich um das konkrete Beispiel und ums Prinzip: die eine nehme ich trotz ihrer Unbestimmtheit ernst, und von dem Prinzip – der Orientierung an Transformationsperspektiven – wünsch' ich mir, dass es in allen linken Praxisformen aufgegriffen wird, das aber ernsthaft.

Was das mit Blockupy zu tun hat

In Vorbereitung und Durchführung der Frankfurter Blockupy-Proteste 2012 war der Blick nach Griechenland nicht für alle, doch für einige der strategische Bezugsrahmen. In ihm gründete die Übereinkunft, sich im ersten Schritt auf die Bewegungen in Südeuropa zu beziehen und erst nachgeordnet auf die eigene, bis auf Weiteres im Standortkorporatismus vereinte Mehrheitsgesellschaft. Das teilten Genoss_innen der LINKEN, von Attac, der Interventionistischen Linken und des …ums Ganze!-Bündnisses, also Linke deutlich unterschiedner Praxisformen. Dabei bezogen alle die Frankfurter Maifestspiele nicht nur auf den Resonanzraum der vorangegangenen Großdemonstrationen in Südeuropa, sondern auch auf den 17. Juni, den Wahltag in Griechenland, an dem Syriza trotz des Sprungs auf 26,8 Prozent vorerst scheiterte. Vor, während und nach den Blockupy-Tagen wurde immer wieder diskutiert, was ein Wahlsieg bedeuten könnte: ob Syriza der Situation überhaupt gewachsen wäre, was das für das Verhältnis zu den Kämpfen dort bedeuten würde, wie das griechische Militär, wie die EU reagieren würden, wie ein solches Beispiel in Madrid, Rom und Lissabon aufgenommen würde. Diskutiert wurde auch, was wir hier in diesem Fall tun könnten und zu tun hätten, in dem Land, dessen Regierung den politischen und ökonomischen Angriff auf ein Syriza-Griechenland steuern würde. Das schloss und schließt die Frage ein, was sich in Deutschland ändern müsste, um das zu verhindern oder wenigstens spürbar zu stören. Eine Antwort wäre ohne jeden Zweifel eine deutlich gestärkte Position der LINKEN, gesellschaftlich und parlamentarisch. Das schloss übrigens zu keiner Zeit aus, dass alle, und das zu Recht, je ihr Ding im Sinn hatten.

Blockupy 2013 und darüber hinaus

Der relative Gleichklang im Blockupy-Bündnis war insofern ein Musterbeispiel mosaiklinken Herangehens und hielt auch in der Durchführung. So problemlos wird das allerdings kaum bleiben können, weil das nächste Jahr die Beteiligten vor ganz unterschiedliche Anforderungen stellt. Die LINKE hat Wahlen zu bestehen, im Bund wie in Hessen. Alle Linken, die ihre Sinne beisammenhaben, müssen wollen, dass die Position der Partei gehalten, womöglich gestärkt wird. Die radikale Linke muss im nächsten Jahr dennoch ihren eigenen Punkt, die Selbstermächtigung zur antagonistischen Aktion, deutlich besser zur Geltung bringen als 2012.

Das wird nicht ohne inneren Konflikt gehen: die einen müssen stärker als zuvor auf eine gute Presse hoffen, die anderen müssen sich fragen, welches Vorgehen die Staatsmacht so alt aussehen lässt, dass auch andere Lust auf praktisch gewordenen Antagonismus bekommen. Im günstigsten Fall ließe sich beides zusammenbringen, doch würde ich darauf nicht setzen und mich darauf auch nicht verpflichten lassen. Eine Maßgabe zum produktiven Austrag des möglichen Konflikts aber kann das Gemeinsame sein, ein strategischer Bezug immer auch auf den heute noch nicht absehbaren südeuropäischen Prozess.

Wenigstens drei Dinge werden dabei wichtig sein: eine Eskalation der Kämpfe im Süden, wo sie die symbolische Dimension überschreiten können. Die wenigstens symbolische Besetzung der Straße und Plätze hier, im Vorgriff auf die Idee eines Metropolenstreiks – zu dem sich Frankfurt übrigens bevorzugt anbietet. Und: Die gesicherte parlamentarische Präsenz einer Partei, die in der Lage ist, die Anliegen der Kämpfe dort wie hier auf ihre Weise in gesellschaftliche Milieus zu tragen, die selbst (noch) nicht auf die Straße gehen und es aktuell nicht einmal richtig finden, wenn andere das tun. So unsicher es ist, ob es wirklich zu einer Eskalation im Süden kommt und das Syriza-Projekt sich deshalb überhaupt konkretisiert: noch unsicherer ist der Gleichklang von Bewegung und Partei hierzulande. Das spricht nicht dagegen, erst einmal anzufangen, und zwar gemeinsam.

Put your money where your mouth is

Wenn die eben umrissene Konstellation im nächsten Jahr oder im Jahr darauf tatsächlich zu unserer werden könnte, wäre die in den zurückliegenden Jahren gewachsene Kommunikation unterschiedlicher linker Praxisformen ihrer ersten wirklich ernsten Probe ausgesetzt. Auf dem Prüfstand stünden eine ganze Reihe strategischer Hypothesen: Dass die Transformation von Gesellschaft ein komplexer Prozess ist, der auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch unterschiedliche Praxisformen und Subjekte auszutragen ist. Dass dieser komplexe Transformationsprozess in sich immer auch konfliktiv sein wird, und das auf Dauer. Dass die ihm entsprechende Mosaiklinke deshalb keine zentristische Veranstaltung ist, in der man gemütlich zusammenkommt, wenn alle etwas ab- und zugeben. Sondern dass in ihr, wenn es ernst wird, Praxisformen aufeinanderstoßen, die sich manchmal nur gegeneinander entfalten können. Dass dieser Versuch auch zu Brüchen führen kann, vielleicht sogar zu tiefer gehenden. Weshalb jede_r sich rechtzeitig und gut überlegen sollte, an welche Praxisform er oder sie sich primär bindet: So viel ist wahr an einer Debatte um Parteibeitritte.

Einstweilen müssen wir aber in jedem Fall gemeinsam wollen, dass einerseits die Partei im Parlament bleibt und dass andererseits den Robocops erfolgreich die Kontrolle über die Straßen genommen wird. Das heißt nicht, dass alle überall mitmachen müssen, und es heißt auch nicht, dass alle überall mitmachen können. Es heißt übrigens auch nicht, zugunsten von Kampagnen oder gar Staatsaktionen die stete Basisarbeit in Betrieb und Stadtteil zu überspringen: auch die wird deutlich an Fahrt gewinnen, wenn sie auf eine Transformationsperspektive bezogen wird und nicht bloß auf alltägliche Kärrner_innenarbeit. Wenn das alles aber nicht ohne Verwerfungen auch unter uns geht, bin ich froh, in der parlamentarischen Partei dieses Mosaiks Genoss_innen zu wissen, mit denen darüber produktiv gestritten werden kann, und das nicht erst seit den jüngsten Beitritten. So wie ich mich freue, dass es solche auch unter fast allen anderen Telefonnummern gibt.

Über die Zukunft der Krisenproteste, das Verhältnis von Partei und Bewegung sowie die Herausforderungen für eine gesellschaftliche Linke wird auf neues-deutschland.de engagiert diskutiert. Eine Übersicht über die Diskussion und einige Beiträge auch in anderen Publikationen findet sich hier.

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