Geht die Reform weit genug?

Kirstin Drenkhahn ist Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der FU Berlin

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Das Bundesverfassungsgericht hat für die Neuordnung der Sicherungsverwahrung einen deutlichen Unterschied zur Strafhaft und eine realistische Chance auf Freilassung gefordert. Setzt das gestern im Bundestag beschlossene Gesetz diesen Anspruch um?
Drenkhahn: Im Kern wird das Urteil umgesetzt. Die Lebensbedingungen der Sicherungsverwahrten müssen sich verbessern. Zudem müssen Gerichte künftig regelmäßig überprüfen, ob die geforderten Maßnahmen zur Therapie und Entlassungsvorbereitung tatsächlich stattfinden. Auch wenn das von Karlsruhe nicht gefordert wurde, hätte ich mir aber gewünscht, dass die Delikte für die Anordnung von Sicherungsverwahrung noch stärker eingeschränkt werden.

Bis vor Kurzem konnten beispielsweise auch Diebe von dieser härtesten Sanktion des deutschen Strafrechts getroffen werden. Das sollte sich doch ändern.
Hat es sich auch: Der Katalog der Straftaten ist vernünftigerweise eingeschränkt worden. Gerade deshalb ist es fragwürdig, warum schwere Staatsschutz- und Drogendelikte noch drin sind.

Einige Unions- und SPD-Politiker kritisieren, dass Sicherungsverwahrung künftig nicht mehr nachträglich angeordnet werden darf. Hatte nicht gerade das der Europäische Menschenrechtsgerichtshof verworfen?
Freiheitsentzug wegen Gefährlichkeit muss schon im Strafurteil enthalten sein, damit es nicht gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Das Gesetz behält trotzdem eine Variante der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei. Sie betrifft nur wenige Fälle, aber es ist weiterhin möglich, Menschen aus der Psychiatrie in Sicherungsverwahrung zu »überweisen«.

Teilen Sie die Kritik am Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung?
Das Grundproblem dabei ist: Die Entscheidung fällt während der Gefängniszeit. Wie sich jemand im Strafvollzug verhält, ist aber keine verlässliche Grundlage, um zu prognostizieren, wie sich jemand in Freiheit verhalten würde. Am problematischsten ist, dass künftig auch bei Jugendlichen im Strafurteil Sicherungsverwahrung vorgemerkt werden kann. Man muss sich das klar machen: Es geht hier um 14- bis 17-Jährige, die in ihrer Entwicklung noch nicht fertig sind.

Sicherungsverwahrung verspricht Sicherheit vor schweren Gewalttaten. Zu Recht?
Sicherungsverwahrung ist vor allem ein Symbol »Wir sorgen für Sicherheit«. Wer eingesperrt ist, hat keine Chance sich zu bewähren. Insofern ist es schwer zu sagen, was dadurch für Straftaten verhindert werden.

Sie haben im Jahr 2010 einen Appell für eine grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung unterzeichnet. Findet die von Ihnen gewünschte Debatte statt?
Es gibt viel öffentliche Diskussion, aber sie ist eher von Gefühlen und Unkenntnis bestimmt. Auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu Resozialisierung von Sicherungsverwahrten helfen nur bedingt weiter: So sollte eigentlich ein guter Strafvollzug aussehen! Was soll daran der Unterschied zur Strafhaft sein? Eine Grundsatzdebatte findet nicht statt: Was macht man mit Menschen, die als gefährlich gelten? Wie hält man es mit Gutachtern, deren Prognosen weit weniger vertrauenswürdig sind, als allgemein angenommen?

Fragen: Ines Wallrodt

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