Grüne diskutieren über Hartz IV
Parteilinke fordern im Vorfeld des Bundesparteitags eine deutliche Abkehr von der Agenda-Politik
In ihrem Wahlprogramm für das kommende Jahr wollen die Grünen keine falschen Versprechungen machen. Nach Angaben von Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke werde die Partei durchrechnen, welche Forderungen finanzierbar seien und auf dieser Basis »Prioritäten setzen«. Dies gilt auch für die Sozialpolitik. Strittig ist bei den Grünen derzeit, wie viel Geld in Zukunft Hartz-IV-Betroffene erhalten sollen. In einem Antrag zur heute beginnenden dreitägigen Bundesdelegiertenkonferenz hält der Vorstand zwar grundsätzlich am Ziel der Partei fest, den Regelsatz für Erwachsene auf 420 Euro zu erhöhen. Allerdings soll die Berechnung zunächst in einem ersten Schritt »verfassungskonform gestaltet werden«. Nach Berechnungen des Grünen-Vorstandes müsste ein verfassungskonformer Regelsatz um 17 Euro höher liegen als bisher. Das entspräche in diesem Jahr einer Höhe von 391 Euro. Eine genaue Berechnung der Erhöhung soll 2014 auf Basis der neuen statistischen Daten erfolgen.
Gegen diesen Kurs rebellieren nun Mitglieder des linken Flügels der Partei. Der Berliner Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg will die sofortige Anhebung des Regelsatzes auf 474,15 Euro beziehungsweise 480 Euro bei Alleinstehenden. Die Partei müsse sich in Anbetracht der Erfahrungen mit den rechnerischen Tricksereien der schwarz-gelben Koalition nach dem Urteil des Verfassungsgerichts an den Berechnungen und Berechnungsmodellen der großen Wohlfahrtsverbände orientieren, heißt es in dem Antrag.
Für Diskussionen dürfte auch der Umgang mit der Sanktionspraxis gegen Hartz-IV-Betroffene sorgen. Durch diese wird massiver Druck auf die ALG-II-Empfänger ausgeübt. Die meisten Abstrafungen erfolgten in jüngster Zeit aufgrund von Meldeversäumnissen. Leistungskürzungen sind die Folge. Der Grünen-Vorstand fordert in seinem Antrag schwammig ein »Sanktionsmoratorium«. Der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg setzt sich hingegen für einen Sanktionsstopp ein. Ein Moratorium geht den Antragstellern nicht weit genug. Dieser Meinung ist auch der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Sven Lehmann. Er verlangt gemeinsam mit weiteren Parteilinken eine »sanktionsfreie Grundsicherung, Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe und Wahlrechte für die Arbeitssuchenden«. Sanktionen würden sowohl den kooperativen Charakter des Fallmanagements wie auch ein menschenwürdiges Existenzminimum gefährden. »Die Wirksamkeit von Sanktionsandrohungen zur Vermittlung in Erwerbsarbeit ist nicht belegt«, sagt Lehmann. Bei der Kritik des linken Flügels geht es auch um die Aufarbeitung von Entscheidungen, welche die Grünen einst selbst mitgetragen hatten. Das Sanktionsregime Hartz IV war von der rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden.
Mit weniger Spannung werden die Wahlen zum Bundesvorstand am Samstag erwartet. Die sechs Grünen, die dem Gremium derzeit angehören, stellen sich erneut zur Wahl. Parteichefin Claudia Roth hofft nach ihrer heftigen Schlappe bei der Spitzenkandidaten-Urwahl auf eine deutliche Bestätigung durch die etwa 820 Delegierten. Cem Özdemir will Ko-Vorsitzender bleiben.
Ein Gerangel gibt es hingegen um die Posten im Parteirat. 16 Kandidaten bewerben sich auf 13 Plätze. Der Parteirat berät den Vorstand, koordiniert die Arbeit zwischen den Gremien der Bundespartei, den Fraktionen sowie den Landesverbänden und entscheidet über Strategien der Grünen. Auch die per Urwahl neben Fraktionschef Jürgen Trittin gewählte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt will in den Parteirat. Mit der Thüringer Kirchenfrau konkurrieren unter anderem Anja Siegesmund, Fraktionschefin im Thüringer Landtag, und die Brandenburger Landesvorsitzende Annalena Baerbock.
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