Protest stoppt Zwangsräumung
Auch der zweite Versuch, eine fünfköpfige Familie zu räumen, wurde verhindert
Am kommenden Mittwoch sollte der zweite Versuch einer Zwangsräumung in der Lausitzer Straße erneut blockiert werden. Schon die Ankündigung hatte Erfolg: Gestern Abend wurde bekannt, dass der Termin vom Gericht verschoben wurde. Die betroffene Familie Gübol wurde per Post davon in Kenntnis gesetzt, dass der Termin der Zwangsräumung »aus formalen Gründen« verschoben wird.
Zuvor hatte der Zusammenschluss »stadtvernetzt« dazu aufgerufen, auch diesen Räumungstermin zu verhindern. Die Verschiebung wird nun als Erfolg gewertet, zumal Ulrich Wimmer, Sprecher der Berliner Zivilgerichte, der die Terminabsage bestätigte, einen neuen Termin nicht nennen wollte, da dies das Verfahren »vereiteln« könne, wie er der »taz« sagte.
Sollte das Gericht diesen neuen Termin nicht völlig geheim halten können, sind erneute Proteste sicher. Aktivisten wollen versuchen, mit vielen »hundert bis tausend Menschen die umliegenden Straßen mit unserer Anwesenheit zu verstopfen und somit der Polizei den Zutritt zu dem Viertel zu verwehren«, wie es in einer Erklärung von »stadtvernetzt« zuvor hieß. In dem Netzwerk sind rund 20 Stadtteilinitiativen engagiert. Sie sowie zahlreiche Organisationen, Politiker der LINKEN und der Grünen, Künstler, Wissenschaftler, Vereine und Gewerbetreibende unterzeichneten eine Erklärung, in der sie ankündigen, sich an einer Sitzblockade zu beteiligen, »damit die Gerichtsvollzieherin den Räumungstitel nicht vollstrecken kann«.
Anlass für die Kündigung der fünfköpfigen Familie durch den Hausbesitzer Andre Franell war eine Fristversäumnis. Nach einem verlorenen Rechtsstreit über Mietminderungen hätten die Gübols unaufgefordert die zurückbehaltene Miete überweisen müssen. Das Ehepaar war davon ausgegangen, dass sie dafür eine Aufforderung erhalten. Der Hausbesitzer bestand weiter auf der Kündigung, nachdem die Familie das Geld überwiesen hatte.
Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte im August »das aufgrund der Pflichtverletzung entstandene Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses«. Sara Walter von der Initiative »Zwangsräumungen verhindern« kritisiert die Rechtslage. »Seit Jahren werden die Mieterinteressen zugunsten der Eigentümerinteressen abgebaut.« Für Walter zeigen die zunehmenden Zwangsräumungen ein strukturelles Problem. Verlässliche Zahlen gebe es zwar nicht, aufgrund eigener Untersuchungen geht die Initiative von 3000 Räumungen im Stadtgebiet in den Jahren 2010 und 2011 aus. Zudem erhielten in Berlin rund 70 000 Hartz-IV-Berechtigte zu wenig Wohngeld. Angesichts steigender Mieten seien die Kosten der Unterkunft zu gering angesetzt.
Bereits am 9. Januar muss laut Detlef Kretschmann von der Initiative »Kotti&Co«, eine weitere Zwangsräumung verhindert werden. Im Fall einer Familie sind Mietschulden entstanden, weil die Mieter an die Wohnungsbaugenossenschaft GSW nur das gezahlt haben, was das Jobcenter an »Kosten der Unterkunft« gewährte. In den dortigen Sozialwohnungen beträgt die Nettokaltmiete bereits jetzt etwa sechs Euro pro Quadratmeter, zusätzlich fallen kalte Betriebskosten von durchschnittlich 2,94 Euro an. Viele Mieter knapsen die nicht übernommenen Kosten von ihren Hartz-IV-Bezügen ab.
Angesichts dessen forderten auf einer Konferenz im Abgeordnetenhaus bereits im November Mieterinitiativen ein Moratorium gegen die Aufforderungen zur Kostensenkung. Die Kosten der Unterkunft im Sozialen Wohnungsbau müssten grundsätzlich für angemessen erklärt werden, »um weitere Verdrängung und Verelendung zu unterbinden«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.