Anerkennung statt Strafandrohung
David Bergrich über den Prozess gegen Pfarrer Lothar König
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat weder Kosten noch eine Hausdurchsuchung in Königs Pfarramtszimmer gescheut, um ihren Willen zu demonstrieren. Lothar König soll kriminalisiert werden. Die Erstürmung einer Pfarrerdienstwohnung durch bewaffnete Polizisten war ein Vorgang, den sich innerkirchliche Beobachter in einer Demokratie nicht hatten vorstellen können. Ebenso wenig, wie in den Tagen danach Zweifel aus der evangelischen Kirche am Vorgehen der Polizei von den sächsischen Behörden zurückgewiesen wurden. Lag doch die letzte politisch motivierte polizeiliche Haussuchung in einem Pfarrhaus im Keller der Berliner Zionskirchgemeinde 23 Jahre und einen Systemwechsel zurück.
Der Angelpunkt der Vorwürfe gegen Pfarrer König sei, so ist zu hören, das Abspielen von aggressiver Musik aus dem von König gelenkten Lautsprecherwagen der Jungen Gemeinde Jena Stadtmitte. Aggressive Rockmusik, so ließ sich der Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft im Zuge der Ermittlungen mehrfach sinngemäß vernehmen, sei geeignet zur Gewalt aufzuwiegeln. Mit diesem Vorwurf begeben sich die sächsischen Behörden sicher ganz unfreiwillig in die Tradition jener, die in der DDR jahrzehntelang mit aller Rigidität erst gegen Beat- und Rockmusik und später gegen Punks vorgingen. Drakonische Strafen hagelte es gegen jene, die just im August 1968 öffentlich den Rolling-Stones-Song »Sympathy for the devil« abspielten, später die Lieder von Ton Steine Scherben sangen oder es in den 1980er Jahren wagten, zur Musik der Dead Kennedys öffentlich gegen Neonazis in der DDR zu protestieren. Zumindest kann der Vorwurf gegen Pfarrer König, die Musik und die Lautsprecherdurchsagen hätten in Dresden zur Gewalt angestiftet, solche Parallelen wecken, denn er selbst macht Erfahrungen mit an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen von Staatsbürokraten eben bereits zum zweiten Mal.
5. Februar 2011
Beginn der Telefonüberwachung und Observation des Jenaer Stadtjugendpfarrers Lothar König. Ermittelt wird zunächst in einem Verfahren nach § 129 Strafgesetzbuch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
13. und 19. Februar 2011
In Dresden protestieren Zigtausende Menschen gegen geplante Aufmärsche von Neonazis. Die von der Polizei geplante Trennung beider Seiten scheitert. Es kommt zu erfolgreichen Blockaden, zugleich aber zu Auseinandersetzungen, bei denen auch Beamte verletzt werden.
12. April 2011
In Sachsen und Brandenburg finden Durchsuchungen bei 14 Personen statt, denen die Bildung einer vermeintlichen »Antifa-Sportgruppe« zur Last gelegt wird. Deren angeblicher Anführer: Lothar König.
1. August 2011
Im Nachrichtenmagazin »Spiegel« erscheint ein Beitrag, in dem Lothar König angesichts der verdeckten Ermittlungen seine Zweifel am Rechtsstaat äußert und von »DDR-Methoden« spricht: »Nichts hat sich geändert.«
10. August 211
Drei Dutzend sächsische Polizeibeamte führen eine Razzia in den Räumen von Königs Gemeinde in Jena durch. Der Lautsprecherwagen, mit dem König im Februar an der Dresdner Demo teilnahm, wird beschlagnahmt. In der Thüringer Politik äußert man sich über den nicht abgestimmten Einsatz deutlich befremdet.
19. August 2011
Das Verfahren wegen Bildung der kriminellen Vereinigung wird vorläufig eingestellt, weil im Verfahren wegen Landfriedensbruchs eine höhere Strafe zu erwarten ist.
8. Dezember 2011
Anklage wegen schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs wird erhoben. Sechs Wochen später nimmt Königs Anwalt Johannes Eisenberg zu den Vorwürfen Stellung.
Dezember 2011
Zwölf Monate nach Erhebung der Anklage lässt das Amtsgericht Dresden diese zu.
Man muss nicht jede eigenwillige Aktion von Pfarrer König und der JG Stadtmitte goutieren. Doch darum geht es gar nicht. Am Beispiel des Pfarrers König will die sächsische Justiz den gewaltfreien, aber konsequenten Protest gegen Neonazis moralisch delegitimieren und strafrechtlich verfolgen. Pfarrer König war in der DDR und ist heute ein im Wortsinne unbequemer Aufrührer für Demokratie, seine zuweilen sperrigen Einmischungen in die vermeintlich inneren Angelegenheiten staatlicher Autoritäten werden gebraucht. Lothar König hat in einer Zeit über die Gefahr von Neonazis gesprochen, als andere noch auf der Welle der Euphorie der Wiedervereinigung schwammen.
Bestraft werden soll eben dieses Engagement gegen Neonazis, wie es im Fall Tim H. bestraft worden ist, der vom Amtsgericht Dresden zu knapp zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Das Mittel der gewaltfreien Blockade stammt aus dem reichen historischen Fundus der Demokratiebewegungen von Ohio bis Ostberlin. Es ist im Angesicht des NSU-Terrors und der mehr als 150 seit der Wiedervereinigung durch Neonazis zu Tode gekommenen Menschen hohe Zeit, jenen Anerkennung zu zollen, die sich Neonazis friedlich und konsequent in den Weg stellen.
David Begrich Der evangelische Theologe und Sozialwissenschaftler ist Mitarbeiter des Vereins Miteinander e.V. in Magdeburg.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.