Erste Schritte zur Kontrolle des Waffenhandels
Selmin Çalıskan über die Schwierigkeiten, eine Menschenrechtsklausel im Rüstungsgeschäft zu etablieren
nd: Sie sind seit einem Monat neue Chefin von Amnesty Deutschland. Sind Sie in dieser Rolle bereits angekommen?
Selmin Çalıskan: Ich denke schon. Das Themenspektrum hat sich natürlich erweitert, aber politische Inhalte und die Kommunikation politischer Ziele sind mir nicht fremd. Waffengewalt, Krieg - und das was sie mit Menschen machen - waren auch in meiner bisherigen Arbeit wichtige Schwerpunkte.
Am vergangenen Freitag ist schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres der Versuch gescheitert, ein internationales Abkommen für Waffenexporte im Konsens zu verabschieden. Nun reichte eine Zweidrittelmehrheit in der UN-Vollversammlung, um den Vertrag, der vieles offen lässt, doch noch zu verabschieden. Ist das schon ein Erfolg?
Das ist ein sehr großer Erfolg. Enttäuschend ist natürlich, dass drei Länder, die selbst für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, diesen Vertrag blockiert haben, weil sie von Waffenlieferungen abhängig sind. Aber der Vertrag ist ein Fuß in der Tür. Selbst wenn er nicht einstimmig angenommen wurde, kann man die Verabschiedung als gleichwertig anerkennen. Es wird aber wichtig sein, insbesondere bei kleineren Komponenten der Rüstungstechnik, wie etwa der Munition, nachzubessern.
Gerade die USA hatten sich gegen die Aufnahme von Munition in die Richtlinien gesträubt und Ausnahmen bei der Menschenrechtsklausel gefordert, wenn es um die nationale Sicherheit des Empfängerlandes geht. Wie realistisch ist ein konkreter Waffenkontrollvertrag, wenn sich die wichtigsten Akteure stets Schlupflöcher zusichern lassen?
Steter Tropfen höhlt den Stein (lacht). Das ist klar auch eine Aufgabe von großen internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty weiter Druck auszuüben. Der UN-Vertrag verbietet generell Rüstungstransfers, die zu Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beitragen, es fehlt aber an dieser allgemeinen Stelle ein Zusatz über schwere Menschenrechtsverletzungen und dem Vertrag damit der Präventivcharakter. In Bezug auf Verstöße gegen die Menschenrechte deckt der UN-Beschluss damit nicht die volle Bandbreite ab. Menschenrechtsverletzungen sind erst an einer anderen Stelle im Vertrag ein wichtiges Kriterium, nämlich dann, wenn es den einzelnen Ländern obliegt, eine ›Risikoabschätzung‹ bei Waffenexporten vorzunehmen. Übrigens fordert Amnesty schon seit Jahren eine verbindliche Menschenrechtsklausel auch auf nationaler Ebene für deutsche Waffenexporte.
In der EU ist die Lieferung von Waffen an syrische Rebellen stark umstritten. Wie verhält sich Amnesty in dieser Frage?
Wir orientieren uns in diesem Fall an unserer Messlatte: den Menschenrechten. Wir halten uns daran, dass keine Rüstungsgüter exportiert werden sollten, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, egal auf welcher Seite. Regierungen, die die bewaffnete syrische Opposition beliefern wollen, müssten darlegen, wie sie gewährleisten, dass ihre Waffen in diesem Sinne nicht eingesetzt werden.
Amnesty spricht sich, im Gegensatz zu anderen Menschenrechtsorganisationen, nicht für ein generelles Waffenexportverbot aus, warum?
Als Menschenrechtsorganisation, die im Rahmen des Völkerrechts agiert, orientiert sich Amnesty auch hier an den menschenrechtlichen Aspekten. Wir sprechen uns generell gegen alle Rüstungstransfers aus, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts beitragen können.
Sie haben vorher u.a. für zwei Frauenrechtsorganisationen gearbeitet. Wie sieht Ihre künftige Agenda aus, werden Frauenrechte stärker in den Fokus rücken?
Ich beobachte die Arbeitsgebiete von Amnesty momentan noch sehr genau. Natürlich habe ich dabei die Rechte von Frauen und Migranten als ›Herzensthemen‹ immer bei mir. Momentan aber sind der Waffenkontrollvertrag und der arabische Frühling Kern meiner Arbeit. Bei beiden spielt das Thema Gewalt gegen Frauen übrigens eine wichtige Rolle.
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