»Eine bösartige Anklage«
Verhandlung gegen Jenaer Jugendpfarrer begonnen / Lothar König hofft auf fairen Prozess
So unterschiedlich lässt sich Musik hören - »Paint It Black« zum Beispiel. Dresdner Staatsanwälte hören in der Rolling-Stones-Nummer aus dem Jahr 1966, die der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bei der großen Antinazi-Demo am 19. Februar 2011 in Dresden aus dem Lautsprecher seines blauen VW-Busses abspielte, Musik mit »aggressiv-aufheizendem Rhythmus«. König selbst sagt, das sei eine »olle Kamelle«, von der sich keiner anheizen lässt. Wenn er aber zur Demo mitfahre, wolle er »auch mal alte Musik spielen«.
So völlig unterschiedlich lässt sich auch jener 19. Februar darstellen, an dem 20 000 Menschen den europaweit größten Naziaufmarsch verhindern und 4500 Polizisten sie daran hindern wollten. Als Tag voller Gewalttätigkeiten beschrieb ihn Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer gestern zum Auftakt der Verhandlung gegen König am Dresdner Amtsgericht - und der Pfarrer habe dazu beigetragen: Der blaue Bus sei »Führungszentrale« gewesen, aus der Attacken auf Polizisten koordiniert worden seien. König dagegen erklärt, er habe sich als Teil einer »aufgeweckten Menge« erlebt, die sich Nazis in den Weg gestellt habe - und deren Mitglieder er »zusammenhalten, ihnen Mut machen und sie davor bewahren wollte, sich selbst strafbar zu machen«. Zu Gewalt gegen Polizisten, betonte er, habe er nicht aufgerufen.
König ist, so charakterisiert ihn sein Verteidiger Johannes Eisenberg, ein »Mann, der Friedfertigkeit predigt«. Der Pfarrer zeigt sich denn auch nur ehrlich verwundert über die Vorwürfe: »Wie können zwei Menschen dasselbe Geschehen so diametral anders sehen?«, fragte er in seiner nachdenklichen Einlassung die Staatsanwältin. Eisenberg dagegen predigt nicht; er ficht mit scharfer Klinge - und sezierte die Anklage genüsslich. Sie stütze sich in Teilen auf »dreiste Falschdarstellungen« und sei in anderen Punkten »bösartig«. In der Schrift, die König unter anderem schweren Landfriedensbruch, Strafvereitelung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorwirft, wimmele es von Fehlern, die der »Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft« gegenüber König geschuldet seien. Eisenberg warf der Anklagebehörde zudem »Amtsmissbrauch« vor, etwa, weil König während der Ermittlungen nie befragt worden sei: »Das interessierte offenbar niemanden.«
Zu Beginn der Verhandlung in dem mit 116 Zuschauern und Medienvertretern voll besetzten Saal hatte die Verteidigung beantragt, die Anklage gar nicht zu verlesen. Diese liefere ein »unscharfes, lückenhaftes Gesamtbild« und mache »Stimmung gegen den Angeklagten«, sagte dessen Co-Verteidigerin Lea Voigt. Sie gab zu bedenken: »Wie soll jemand nachweisen, was er nicht gesagt hat, wenn er nicht weiß, was er gesagt haben soll?!« Eisenberg ergänzte, die Anlage sei so fehlerhaft, dass sich »der Angeklagte nicht verteidigen kann«. Dieser Antrag wurde vom Vorsitzenden Richter Ulrich Stein aber zurückgewiesen.
Absehbar ist für die bis 30. Juni angesetzten sechs Verhandlungstage nun ein mit harten Bandagen geführter Streit um grundlegende Fragen des Demonstrationsrechts, aber auch um ominöse »Aufenthaltsverbotszonen«, die in der Anklage dutzendfach erwähnt werden, obwohl es sie laut Auskunft der sächsischen Regierung nicht gab, und um einzelne Lautsprecherdurchsagen, die Anklage und Verteidigung völlig unterschiedlich wiedergeben. König erklärte derweil, er erhoffe sich einen »fairen Prozess« - und »Signale, dass wir Leute brauchen, die Widerspruch anmelden«.
zum Liveticker des ersten Verhandlungstages
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