Die Schere im Kopf
Die Pressefreiheit ist eine wunderbare Freiheit. Zu ihr gehört auch die Freiheit des Journalisten, in eine Partei einzutreten oder nicht, zu ihr gehört auch die Freiheit, dort zu agieren, zu diskutieren und die Freiheit, sich dort nominieren zu lassen - für Hierarchien innerhalb und außerhalb der Partei. Aber freier ist man als Journalist, wenn man nicht in einer Partei ist.
Wer als politischer Journalist Mitglied in einer Partei ist, wird deswegen nicht zum Parteischreiber. Aber wenn er nicht in der Partei ist, muss er auch nicht gegen die Vorurteile anschreiben, er könnte ein Parteischreiber sein. Vertritt das Parteimitglied als politischer Journalist die Linie seiner Partei, heißt es: Ist ja klar, da schreibt der Parteisoldat. Vertritt er nicht die Linie seiner Partei, heißt es: Jetzt muss er sich mal abgrenzen, auf dass man ihn nicht für einen Parteisoldaten hält.
Es ist der Vorwurf der Befangenheit, der den parteipolitisch engagierten Journalisten zeitlebens begleitet. Gewiss: Den Vorwurf kann man wegschreiben, man kann sich den Ruf erarbeiten, zwar ein Mitglied der Partei zu sein, aber trotzdem nicht ihr Propagandist. Von Rudolf Augstein hat jeder gewusst, dass er FDP-Mitglied ist; aber für einen FDP-Propagandisten hat man ihn nicht gehalten. Nicht jeder Journalist, der ein Parteimitglied ist, ist auch ein Rudolf Augstein.
Ich war als politischer Journalist noch jung im Geschäft, als ich, es war noch zu Bonner Zeiten, mit einem alten, erfahrenen, bewunderten Kollegen zusammen ein großes Interview mit einem Parteichef führte. Es war ein gutes, ein kontroverses Gespräch - bei dem es dem Parteivorsitzenden aber offenbar allmählich ein wenig unwohl wurde. Er fand die richtigen Sätze nicht, um eine neue Position zu verteidigen, verhedderte sich in den alten und neuen Argumentationslinien und kam mit kritischen Einwänden nicht zurecht. Da brach der Parteivorsitzende auf einmal den Duktus des Interviews ab und sprach mit vertrauensvollem, leicht herablassenden Ton zum Kollegen, er könne das dann ja noch passend formulieren, er, der Kollege, kenne sich ja aus, er wisse ja, wie man das den Genossen beibringen müsse. Ich war wie vom Donner gerührt.
Der Kollege war, was jeder wusste, einst eine Zeit lang Redenschreiber bei Willy Brandt gewesen, er kannte die SPD in allen Verästelungen, er kannte ihr Innenleben aus eigenem Erleben. Der Kollege war aber keiner, der die Partei schonte, er beschrieb sie mit kritischer innerer Distanz. Nie, wirklich nie, in Diskussionen nicht und in seinen Artikeln schon gleich gar nicht, habe ich ihn als Parteisoldaten erlebt - nur in dieser Interviewsituation, in der zwar nicht er als Parteisoldat auftrat, aber ihn der Parteichef zu seinem Parteisoldaten machte. Er vereinnahmte ihn, er sprach mit ihm so, wie mit seinem Parteisprecher, er vereinnahmte ihn als Genosse, er versuchte es zumindest. Dem Kollegen war das peinlich, er moderierte über die peinliche Situation etwas gequält hinweg und das Gespräch fand allmählich wieder zum Interview zurück. Aber diese fünf Minuten waren für mich eine journalistische Lehrstunde. Der Kollege hatte seinerzeit, im Rahmen einer SZ-Serie zum Grundgesetz, ein glänzendes Stück zum politischen Journalismus, zum Artikel 5 und der »Schere im Kopf« geschrieben. Da lag diese Schere auf einmal auf dem Tisch; der Parteichef hatte sie wie selbstverständlich hingelegt.
Bevor ich Journalist geworden bin, war ich Richter. Ein Richter kann wegen »Besorgnis der Befangenheit« abgelehnt werden; er kann sich, wenn er das Gefühl hat, man könne ihn für befangen halten, auch selbst ablehnen. Solche Befangenheitsregeln gibt es für Journalisten nicht. Es gibt auch keine Inkompatibilitäten, wie es sie für Angehörige der drei Staatsgewalten gibt: Ein Mitglied der Judikative beispielsweise darf keine öffentlichen Ämter in Exekutive oder Legislative innehaben. Für Mitglieder der sogenannten Vierten Gewalt existieren solche offiziellen Unverträglichkeitsregeln nicht. Aber es ist gut, sich als politischer Journalist an den Sinn und an den Geist solcher Regeln zu halten.
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