Nach der Kohle nicht nur Billigketten
LINKE debattierte über sozial-ökologischen Umbau des Ruhrgebiets
In Gelsenkirchen ist die Armut mit Händen zu greifen. Die Arbeitslosenquote liegt bei konstant hohen 14,5 Prozent, seit die Montan-Industrie auch hier ihren Niedergang erlebt. Das Ende von Kohle und Stahl ist aus ökologischer Sicht vorbehaltlos zu begrüßen - die Gelsenkirchener Innenstadt verwahrlost aber derweil. Billigkettenläden reihen sich aneinander, und alle paar Meter sieht man einen Menschen, der sein Elend nicht mehr verbergen will oder kann. Immerhin inszeniert sich Gelsenkirchen seit ein paar Jahren als »Solarstadt«, versucht mal mehr, mal minder erfolgreich, entsprechendes Wissen und Können anzusiedeln. Sogar die Solarzellen für den Berliner Hauptbahnhof stammen aus der Schalke-Stadt.
Gelsenkirchen dürfte so ziemlich das perfekte Beispiel dafür sein, wie die Linkspartei sich den von ihr so genannten »sozial-ökologischen Umbau« gerade nicht vorstellt. Das Soziale darf beim Öko-Umbau nicht unter die Räder geraten, darüber herrscht Konsens. »Plan B« heißt das entsprechende Projekt, das die Linksfraktion im Bundestag vor rund einem Jahr initiierte. Plan B ist die Antwort auf Plan A, die kapitalistische Marktwirtschaft, aber auch auf alle Versuche, die ökologische Frage lösen zu wollen, ohne grundlegende Strukturen anzutasten. Und die soziale Frage, sofern die denn überhaupt pressiert, gleich mit.
Als Beispiel mögen grüne Träume von einem »Green New Deal« oder von »grünem« Wachstum genannt sein, das perspektivisch zwölf Milliarden Menschen mit westlichem Lebensstil beglücken will - Überkonsum kurzlebiger Waren und regelmäßige Flugreisen inklusive.
Näher am Boden der Realität debattierten am vergangenen Freitag im Gelsenkirchen rund 70 Menschen, darunter viele LINKE-Kommunalpolitiker, wie ein ökosozialer »Plan B« in einer Krisenregion wie dem Ruhrgebiet ausschauen könnte. Dazu hatte man sich Impulsgeber geladen. So referierte Jan Schaare, ein Mitarbeiter von »Innovation City Ruhr«, einem konzern- und politiknahen Unternehmen, das Bottrop zu einer ökologischen Modellstadt machen will, über ein Projekt zu Wärmedämmung und vernetzter Ökostromerzeugung vor Ort. Das Plenum war nicht gänzlich überzeugt: Nach der Modernisierung steige die Kaltmiete, das könnten sich sozial schwache Mieter kaum leisten. Im Ruhrgebiet gibt es jedoch ein Spezifikum: Auch viele Vermieter würden, allen staatlichen Anreizen zum Trotz, nicht über die notwendigen Rücklagen verfügen, um halbwegs ökogerecht zu sanieren. Von einigen Zuhörern wurden auch passgenaue wohnungspolitische Maßnahmen gefordert, um etwaige Härten auszugleichen.
Erfrischend und erheiternd war der Vortrag des Wirtschaftsprofessors Ralf-M. Marquardt, der den Aufkauf des Energieunternehmens STEAG durch ein Ruhr-Stadtwerke-Konsortium untersucht hatte. Wenn die Stadtwerke wirklich die Energiewende voran treiben wollten, sollten sie Solarzellen installieren und Windräder aufstellen, riet der Wissenschaftler.
Stattdessen aber hätten sie ein Unternehmen aufgekauft, dessen Kürzel für »Steinkohlen-Elektrizität AG« stünde. Die Kompetenzen der STEAG lägen im Bau von Steinkohlekraftwerken und im Handel mit dem entsprechenden Rohstoff. Das sei auch gut so für eine Übergangsphase, befand der Ökonom. Aus dem Publikum kam Widerspruch: Kohle sei nicht nur klimaschädlich, sondern viel zu schade zum Verbrennen. Man solle sie lieber als Rohmaterial für hochwertige Kunststoffe nutzen.
Geladen hatte die LINKE sich darüber hinaus einen gewieften Provokateur: Eckhard Stratmann-Mertens, mittlerweile parteiloser Ökosozialist, doch 1983 der erste Grüne, der je im Bundestag sprach, 1986 Hauptautor des grünen »Umbauprogramms« und eines ähnlichen Papiers für die Krisenregion Ruhrgebiet. Der Lehrer blieb ganz Pädagoge, als er sich das Industrie-Kapitel in der »Denkanstoß und Einladung zur Debatte« betitelten »Plan B«-Broschüre vornahm: Erst kam das Lob, dann die Kritik. Stratmann-Mertens beschied der LINKEN einen »enormen konzeptionellen Fortschritt«. So erkenne er einen für diese Partei neuen, systematischen Ansatz, Ökologie und Wirtschaftsdemokratie programmatisch zu integrieren.
Doch in puncto Wachstumskritik und Suffizienz (in etwa: Genügsamkeit bei steigender Lebensqualität) bleibe der »Plan B« vage. Der skizzierte Umbau sei zu halbherzig angelegt. Und schließlich werde die Illusion genährt, der Prozess schaffe Arbeitsplätze in enormer Zahl. Stratmann-Mertens jedoch hält einen industriellen Schrumpfungsprozess für unvermeidlich, den er mit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auffangen will.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!