Kentern statt Ändern
Nach Misserfolgen in den Bundesländern verliert die Piratenpartei nun auch den Rückhalt auf Bundesebene
Sie haben es nicht geschafft. Gute zwei Prozent, zu mehr hat es bei der Bundestagswahl für die Piraten nicht gereicht. Überrascht ist aber niemand auf der Wahlparty der Bundes- und Berliner Piraten in der Urban Spree Gallery im hippen Berliner Stadtteil Friedrichshain. Etwa 300 von ihnen und einige verirrte Partygänger aus den benachbarten Clubs feiern - wenn schon nicht den eigenen Erfolg, dann doch wenigstens das schlechte Ergebnis der FDP. Eine Unterstützerin hat Kuchen mitgebracht. »Hier, zum Trost«, sagt sie. Nussecken gegen Wahlkater.
Auch der Bundesvorstand tröstet sich mit der Niederlage der Liberalen. »Es ist gekommen, wie wir es erwartet haben«, sagt Parteivorsitzender Bernd Schlömer. Und gesteht indirekt auch die Fehler der Partei in den letzten Jahren ein. Für die Zukunft, so Schlömer, brauche man ein aussagekräftigeres Programm, mehr Geschlossenheit und mehr Verständlichkeit: »Die Menschen wissen nicht, wofür wir eigentlich stehen.« Leicht betreten ist man hier, es regt sich Kritik und Unzufriedenheit - auch mit der Parteispitze. »Das Ergebnis ist eine Backpfeife«, sagt Ralf Gehrlich, Piratenchef in Berlin-Lichtenberg.
Noch vor einem Jahr schien der Einzug in den Bundestag mit Spitzenwerten bis zu zehn Prozent in den Sonntagsumfragen so gut wie sicher. Jetzt sind die Piraten wieder da, wo sie 2009 angefangen haben. Auch damals erreichte die Piratenpartei nur eine zwei vor dem Komma. In der Presse wird der Niedergang mit Personalquerelen um die Geschäftsführer Marina Weisband und Johannes Ponader erklärt. Weder Nachfolgerin Katharina Nocun noch Parteivorsitzender Bernd Schlömer haben die Lücke prominenter Gesichter in der Partei in der öffentlichen Wahrnehmung füllen können.
Tatsache ist wohl, dass jeder Hype auch mal zu Ende geht. Was zeitweise eine themensetzende politische Kraft war, erreicht heute nur noch die Kernwähler - die machen aber nicht mehr als zwei, drei Prozent aus. Dabei wäre die Prism-Affäre eine Steilvorlage für die Partei gewesen, um ganz oben mitzuspielen. Starke Statements von Seiten der Datenschützer aber blieben aus, Kritik an der Bundesregierung verpuffte. Die Partei konzentrierte sich stattdessen auf kleine, regionale Maßnahmen: Demos, Verschlüsselungspartys und Infoveranstaltungen.
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Dabei steht die Piratenpartei Deutschland nicht so schlecht da, sieht man sich ihre Kollegen in den anderen europäischen Staaten an. Nur in Island (5,1 Prozent) ist sie stärker, in Tschechien und der Ukraine sind es neun Prozent - dort trat die Partei allerdings nicht in allen Wahlkreisen an. Ihre Internationalität haben die Piraten bisher leider nicht für sich zu nutzen gewusst. Möglicherweise wird das anders, wenn im nächsten Jahr die Europawahlen anstehen. Der Parteivorstand setzt schon jetzt auf den Wahlkampf 2014. »Wir haben jetzt Zeit, uns zusammenzuraffen - 2014 ziehen wir ins Europaparlament!«, ruft Geschäftsführerin Katharina Nocun optimistisch. Sicher ist eins: Nicht nur Prism beweist, dass »piratige« Themen wichtiger werden. Wenn sich der Wert auf zwei Prozent einpegelt - das kann eine Basis sein. In Deutschland gibt es derzeit keine alternative Bürgerrechtspartei, die die technologisch-gesellschaftlichen Veränderung in ähnlicher Weise begreift. Jemand wird den Job machen. Wenn nicht die Piraten, dann jemand anders. Und das war von Anfang an ihr Hauptziel.
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