Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen
Ob Genossenschaften oder selbstverwaltete Betriebe: In Spanien befinden sich Modelle jenseits des klassischen kapitalistischen Eigentumsmodells im Aufwind
Manchmal leben Totgesagte länger. In Spanien bietet die Pleite der einst erfolgreichsten Genossenschaft des Landes, Fagor-Eletrodomésticos, seit Monaten Stoff für Diskussionen. Fagor war das Filetstück des Genossenschaftskonzerns Mondragón, der mit 80 321 Mitarbeitern der größte Unternehmensverbund dieser Art in Spanien ist. Zu Mondragón gehören 110 Genossenschaften, darunter eine Bank und eine Universität, allerdings auch 179 gewöhnliche Betriebe. Geleitet wird der Konzern von einem Generalrat, in dem zwölf Vertreter aus verschiedenen Mitgliedsbetrieben sitzen. In diesem Gremium war in den letzten Monaten ein heftiger Streit über die zukünftige Ausrichtung entbrannt. Der Vorsitzende Txema Gisasola forderte nachdrücklich eine Professionalisierung und weitergehende Zentralisierung der Genossenschaftsstrukturen im Rahmen einer Holding-Gesellschaft ein. Doch die Mehrheit des Rates sah dies anders und hielt an der bisherigen Struktur fest, in der die einzelnen Betriebe eine weitestgehende Autonomie genießen. Gisasola trat schließlich Mitte Januar von seinem Amt zurück. Offiziell aus persönlichen Gründen.
Die Pleite von Fagor und die daraus folgende Krise des Selbstverständnisses von Mondragón wurde in den spanischen Medien vielfach zum Anlass genommen, das Genossenschaftsmodell als solches infrage zu stellen. Tatsächlich werden jedoch immer mehr Spanier in alternative ökonomische Strukturen einbezogen, die ihrem Selbstverständnis nach wesentlich kapitalismuskritischer sind als der marktkonforme Genossenschaftskonzern Mondragón. »Momentan befinden sich sämtliche ökonomischen Alternativen zum Krisen-Wirrwarr in einem fortlaufenden Aufschwung«, sagt José Luis Carretero dem »nd«. Er ist Anwalt für Arbeits- und Genossenschaftsrecht und Mitglied des Institut für Wirtschaftswissenschaften und Selbstverwaltung (ICEA). »Angesichts des immer weiter fortschreitenden Abbaus der öffentlichen Leistungen und der Massenarbeitslosigkeit suchen immer mehr Menschen nach Alternativen, um ihr tagtägliches Überleben sichern zu können.« Zwischenzeitlich leben in Spanien mehr als 3 Millionen Personen in extremer Armut, sie verfügen über weniger als 307 Euro im Monat. Als von Armut bedroht gelten 28,2 Prozent der Bevölkerung.
In den letzten Jahren wurden insbesondere im Zusammenhang mit der 15-M-Bewegung, den so genannten Empörten, im ganzen Land zahlreiche Häuser und Brachflächen besetzt. Sie werden zum Wohnen, als soziale Zentren oder Gärten genutzt. An vielen Orten wurden Tauschringe auf der Basis von unterschiedlichen Konzepten gegründet. In den sogenannten Bancos del Tiempo (Zeibanken) etwa, von denen momentan um die 300 existieren, gilt Zeit als Währung. Eine Stunde entspricht dabei einer Einheit. Die Teilnehmer bieten diese in Form von konkreten Tätigkeiten auf der Homepage der lokalen »Zeitbank« an. Nicht zuletzt mittellose Menschen können sich in diese alternativen Wirtschaftskreisläufen einbringen.
Einen entsprechenden Anspruch vertreten auch die Cooperativas Integrales. Diese »ganzheitlichen Genossenschaften« haben sich zum Ziel gesetzt, regional alles unter einem Dach zu vereinen: Produktion, Konsum, Finanzierung, Ernährung, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Energie und Transport sollen in der Genossenschaft Platz finden und aufeinander abgestimmt werden. Das spanische Genossenschaftsrecht bietet dabei Vorteile für hoch verschuldete Menschen, denn individuelle Schulden können nicht auf die Genossenschaft übertragen und Mitgliedsbeiträge auch in Form von Sachleistungen erbracht werden. Dies erlaubt es verarmten Menschen, Genosse zu werden und somit wieder etwas ökonomische Handlungsfähigkeit zu erlangen.
In Abgrenzung zum traditionellen Genossenschaftsmodell zielen die Cooperativas Integrales allerdings ausdrücklich auf die Etablierung einer basisdemokratischen und antikapitalistischen Wirtschaftsform. José Luis Carretero betont in diesem Zusammenhang die hohe Relevanz, die einer engen Vernetzung der kapitalismuskritischen Genossenschaften untereinander zukommt. Sie sollten einen möglichst autarken Wirtschaftskreislauf anstreben, meint er. Sei dies nicht gewährleistet, dann bestehe die Gefahr einer schleichenden Anpassung an die Sachzwänge des Marktes oder aber eine Stagnation der Entwicklung, womit man nicht über eine »Selbstverwaltung des Elends« hinaus komme.
Momentan existieren neun Initiativen für solche ganzheitliche Genossenschaften in verschiedenen Regionen des Landes. Womöglich können diese ihren Teil zur Modernisierung der spanischen Genossenschaftsbewegung im Kontext der Krise beitragen. Etwas Vergleichbares geschah bereits in der argentinischen Krise nach 2001. Damals wurden bankrotte Betriebe vielfach besetzt und durch Genossenschaften in Belegschaftshand übernommen. Dies wiederum wäre vielleicht auch eine Alternative für Fagor. Zumindest wäre es eine Überlegung wert.
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